Gegen den Wahnsinn des Krieges

Angesichts der anhaltenden Konflikte im Libanon mutet es utopisch an, gewaltfreie Erziehungsmethoden vermitteln zu können. Doch genau das hat Walid Slaybi motiviert, eine Universität der Gewaltlosigkeit zu gründen.

الكاتبة ، الكاتب: Mona Naggar

Evet Abou Hamdan ist beruflich und privat voll ausgelastet. Die Mutter von vier Kindern arbeitet sechs Tage in der Woche als Kunsterzieherin. Trotzdem hat sich die Endvierzigerin entschlossen, noch einmal die Schulbank zu drücken.

Abou Hamdan hat sich an der neu gegründeten Universität der Gewaltlosigkeit in Beirut eingeschrieben - aus mehreren Gründen. Sie hat beobachtet, dass im Libanon viele Kinder in einer Atmosphäre konfessioneller Hetze aufwachsen: "Von den Eltern und in der Schule wird ihnen eingetrichtert, Angst vor dem anderen zu haben."

Außerdem ließen die Lehrpläne Kindern keinen Raum, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten: "Nie können Kinder mitgestalten und äußern, was sie wollen. Ihre Persönlichkeit wird unterdrückt. Das fördert die Gewaltbereitschaft."

Aufgeregt erzählt Abou Hamdan, dass ihr 13jähriger Sohn vom Sportunterricht ausgeschlossen worden ist, weil er einen Text nicht fehlerfrei auswendig gelernt hatte. Kindern die nötige Bewegung vorzuenthalten, sei eine beliebte Strafe.

Außerdem werde an libanesischen Schulen geschlagen, und viele Eltern akzeptierten das. Abou Hamdan ist überzeugt, dass die Kinder dadurch anfälliger für Hetzkampagnen gewaltbereiter Politiker werden - und damit zu Kanonenfutter für die vielen Kriege im Libanon.

Gewaltlosigkeit ist lernbar

Energisch fordert sie ihre Mitbürger auf, zu handeln: "Solange jeder von uns sagt, dass er mit diesen Dingen nichts zu tun hat, macht er sich mitschuldig. Das müssen wir stoppen." Für Evet Abou Hamdan beginnt die Gewaltlosigkeit mit der Erziehung.

Die leidenschaftliche Lehrerin will an der Universität alternative Erziehungsmethoden kennenlernen. Dafür studiert sie Philosophie und Methoden der Gewaltlosigkeit, aber auch praktisches gewaltfreies Verhalten in Konflikten.

​​Einiges davon konnte Abou Hamdan bereits in ihrem Unterricht umsetzen. Sie legt beispielsweise einige Dinge auf den Tisch und fordert jedes Kind auf, von seiner Position aus die Dinge zu beschreiben: "Es ist eine wunderbare Übung, um zu zeigen, dass die Wahrheit mehrere Blickwinkel haben kann."

Der Libanon ist tief gezeichnet von Gewalt. Vor zwanzig Jahren endete der Bürgerkrieg, aber die Ereignisse von damals sind nie gründlich aufgearbeitet worden. Viele Gebäude in Beirut tragen noch die Spuren von Geschossen und Raketen. Es gibt bis heute kein gemeinsames Geschichtsbuch, das Schülern die Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte erklärt.

Und auch nach Kriegsende ist das Land nicht zur Ruhe gekommen. Der Südlibanon war bis zum Jahr 2000 von Israel besetzt. Vor fünf Jahren brachte die Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri den Libanon an den Rand eines neuen Bürgerkrieges. Im Sommer 2006 kämpften die Hisbollah und die israelische Armee im Libanon gegeneinander.

Angesichts dieser Lage mutet es utopisch an, gewaltlose Konfliktlösung und Erziehungsmethoden zu vermitteln. Doch gerade das hat den Physiker und Wirtschaftswissenschaftler Walid Slaybi motiviert, die Universität der Gewaltlosigkeit mitzugründen.

Während des Bürgerkrieges weigerte er sich, sein Land zu verlassen, und entschloss sich stattdessen, mit Gleichgesinnten etwas gegen den Wahnsinn des Krieges zu tun.

Konfessionelle Vorurteile erkennen

"Wir beschäftigten uns mit den Ideen der Gewaltlosigkeit. Wir haben im ganzen Land viele Märsche und Demonstrationen veranstaltet. Einmal haben wir eine Großdemonstration geplant, und in der Nacht zuvor haben die Milizen unseren Versammlungsort beschossen. Sie hatten einfach Angst!"

Er ist überzeugt, dass viel Gewalt aus dem Konfessionalismus entsteht, der die libanesische Gesellschaft durchdringt. Alle öffentlichen Posten werden nach einem religiösen Proporzsystem verteilt - sei es im Parlament, in der Verwaltung, bei den Gewerkschaften oder an den Universitäten. Dieses System fördert die Feindseligkeit zwischen den Bevölkerungsgruppen, sagt Slaybi.

Mit den Studenten übt er, die tief sitzenden Ängste zu überwinden. Er teilt zum Beispiel die Teilnehmer eines Seminars nach Konfessionen auf und fordert jede Gruppe auf zu erzählen, was in ihrem Umfeld über die anderen gesagt wird.

Die Reaktionen faszinieren den erfahrenen Professor: "Viele verkrampfen sich, regen sich auf und sprechen voller Hass von den Anhängern anderer Religionen. Man könnte meinen, ein Bürgerkrieg breche aus!"

Diese Ressentiments und Vorurteile sind schon in der Kindheit angelegt worden, erklärt Slaybi. Die universitäre Übung bringe viele dazu, über ihre Gefühle und Meinungen endlich nachzudenken.

Mona Naggar

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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