Manifest für starke arabische Frauen

Die libanesische Publizistin Joumana Haddad hat ein provokantes und subjektives Buch über sich selbst, ihr Frauenbild und die politischen Probleme der arabischen Welt geschrieben. Das sind viele Themen für ein kurzes Buch von 120 Seiten, das dennoch sehr lesenswert ist, findet unser Rezensent Stefan Weidner.

​​Die traut sich was: Lesen und Masturbieren seien ihre Lieblingsbeschäftigungen in der Kindheit gewesen, schreibt sie unverblümt. Mit zwölf hatte sie Balzac ausgelesen und entdeckte de Sade: "De Sade griff mich an den Schultern und sprach: 'Die Phantasie ist dein Königreich. Alles ist möglich'."

De Sade sollte Recht behalten, für Joumana Haddad scheint nichts mehr unmöglich zu sein: Weder ein arabisches Gedicht zu schreiben, in dem das Wort "Penis" vorkommt, noch die Herausgabe einer in Beirut erscheinende Hochglanzzeitschrift mit dem Titel "Körper" – kein Pornoheft, aber doch eine lustvolle Durchkreuzung aller nahöstlichen Tabus, die sich um den Körper und die Sexualität ranken.

Das jetzt auf Deutsch erschienene Bekenntnisbuch der 1970 geborenen libanesischen Schriftstellerin hat denn auch mehr von einem J'accuse als von einer Confessio. Es ist kleiner, wilder Leserausch, der unser Bild von der arabischen Welt auf den Kopf stellt.

Die Ermordung Scheherazades

Die Frage einer schwedischen Journalistin, ob es als arabische Frau überhaupt möglich sei, eine erotische Zeitschrift zu machen, war der Anlass für diese "Ermordung" Scheherezades, der Erzählerin von 1001 Nacht, die hier (ein wenig ungerecht freilich) als Sinnbild für das westliche Orientphantasma begriffen wird. Joumana Haddad erklärt ihren journalistischen Mut aus ihrem biografischen Werdegang.

Titelbild des Magazins Jasad; Foto: www.joumanahaddad.com
"Kein Pornoheft, aber doch eine lustvolle Durchkreuzung aller nahöstlichen Tabus, die sich um den Körper und die Sexualität ranken", schreibt Weidner über das Magazin "Jasad".

​​Aber das Buch ist mehr als die Darstellung von Haddads Selbstbefreiung und auch mehr als die Widerlegung der westlichen Klischees von den unterdrückten arabischen Frauen. Es ist vor allem eine Kampfansage an die herrschenden körper- und frauenfeindlichen Strukturen in der arabischen Welt, die es schonungslos benennt.

Der mit ebenso viel Herzblut wie Wut im Bauch geschriebene Essay wird allerdings von der Dialektik zwischen individueller Befreiung und gesellschaftlicher Unterdrückung fast zerrissen: Einerseits zeichnet Haddad in den autobiografischen Partien das Bild einer tabulosen, befreiten Frau, andererseits beklagt sie gleichzeitig die Unüberwindbarkeit der Tabus; einerseits empört Haddad sich zurecht über die westlichen Klischees, andererseits muss sie zugleich feststellen:

Vieles davon stimmt, und alle Frauen in der arabischen Welt leiden darunter, vor allem sie selbst; einerseits fordert sie zurecht Aufklärung für die eigene Gesellschaft, andererseits wehrt sie sich gegen den verächtlichen Blick von außen, der die Araber als hoffnungslos unaufgeklärt abtut.

Glaube an die Freiheit des Einzelnen

Joumana Haddad bezieht damit forsch und unerschrocken Stellung, sie macht sich weder mit westlicher Islamkritik noch mit arabisch-islamischer Apologetik gemein. Das ist bisweilen verwirrend, in der Summe jedoch ein erfrischend unvoreingenommener Blick auf die Thematik, zumal Haddad mit ihrem Selbst- und Sendungsbewusstsein nicht hinter dem Berg hält.

Der Stolz, eine schöne, finanziell unabhängige, freie, hochgebildete, weitgereiste und dabei zugleich modebewusste und lebenslustige Frau zu sein, dieser Stolz schwingt durch jede Zeile und versieht das Buch mit einem Yes-we-can-Optimismus, der auch vor den Schilderungen einer schmerzhaften Kindheit im libanesischen Bürgerkrieg und des entmutigenden Gesamtzustandes der arabischen Welt nicht verblasst.

Joumana Haddad; Foto: Wikipedia
"Einerseits zeichnet Haddad in den autobiografischen Partien das Bild einer tabulosen, befreiten Frau, andererseits beklagt sie gleichzeitig die Unüberwindbarkeit der Tabus", schreibt Weidner.

​​Es ist ein Optimismus, der vom unerschütterlichen Glauben an die Freiheit des Einzelnen lebt, sein Schicksal selbst zu wählen.

Das ist die Größe, aber auch die Grenze dieses Essays. So sehr Haddad Kritik an den politischen Umständen in der arabischen Welt übt, so unpolitisch ist doch ihre Sichtweise auf die Probleme. Denn die Annahme, die Befreiung der arabischen Frau sei unabhängig von sozialen und politischen, vor allem aber auch den ökonomischen Bedingungen, ist naiv.

Dem Buch fehlt, was es freilich auch nicht sein will: eine tiefere Analyse der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Das Buch ist somit vor allem als autobiografischer Essay einer faszinierenden Persönlichkeit empfehlenswert.

Will man es als Rezept für die Befreiung der arabischen Frau lesen, lässt sich eigentlich nur das herausdestillieren, was schon bei Joumana Haddad selbst am besten gewirkt hat: Lest mehr de Sade!

Stefan Weidner

© Qantara.de 2010

Joumana Haddad: Wie ich Scheherezade tötete: Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau. Aus dem Englischen von Michael Hörmann. Hans Schiler, Verlag, Berlin 2010.

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

Qantara.de

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