Migrationsberichterstattung als Stimmungsmache

Seit den Anschlägen vom 11. September schlagen die Medien gegenüber Migranten schärfere Töne an. Alte Vorurteile und neue Zerrbilder haben Konjunktur.

By Christoph Butterwegge

Über die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer berichten deutsche Massenmedien ähnlich wie über das Ausland – nämlich nur im Ausnahmefall, der möglichst spektakulär sein und katastrophische Züge tragen sollte.

Meist werden Zuwanderer mit Chaos und Kriminalität in Verbindung gebracht: (Mafia-)Morden, (Banden-)Raub und (Asyl-)Betrug. Das angelsächsische Bonmot "Only bad news are good news" abwandelnd, kann man für deutsche Medien feststellen: Nur böse Ausländer sind gute Ausländer!

Menschen, die zuwandern, werden von Journalisten nach zwei Kriterien beurteilt: einerseits nach ihrem Nutzen für die Deutschen beziehungsweise unseren "Wirtschaftsstandort", andererseits nach ihrer ethnischen Abstammung. Migration erscheint als Bedrohung oder Bereicherung der Einheimischen, jedoch selten als Normalität in einer globalisierten Welt.

Während das Kapital in Sekundenbruchteilen alle Grenzen überwindet, bleibt Zuwanderung besonders aus ärmeren Ländern unerwünscht – außer bei hoch qualifizierten Experten oder jungen Familien, die als demografische Lückenbüßer fungieren.

Medien im Fahrwasser restriktiver Migrationspolitik

Überschriften wie "Wegen Überalterung und Facharbeitermangels: Deutschland braucht mehr Ausländer" (Süddeutsche Zeitung vom 26.6.2007) oder "Migranten gegen den Arbeitskräftemangel" (Die Welt vom 26.6.2007) lassen erkennen: Die Medien nehmen kaum Anstoß daran, wenn Zuwanderer nach ihrer ökonomischen Verwertbarkeit beurteilt werden, sondern unterstützen überwiegend die restriktive Migrationspolitik des am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungs(begrenzungs)gesetzes.

"Ethnisierung" ist ein sozialer Exklusionsmechanismus, der Minderheiten schafft, diese fast immer negativ etikettiert und damit die Privilegien einer dominanten Mehrheit zementiert.

Je mehr im Zuge der Globalisierung das Thema Konkurrenz ins Zentrum zwischenstaatlicher und zwischenmenschlicher Beziehungen rückt, desto leichter lässt sich Kulturdifferenz politisch aufladen. Die Medien treiben diesen Ausgrenzungsprozess voran, indem sie als Motoren und Multiplikatoren der Ethnisierung wirken.

"Ausländerkriminalität" in der Berichterstattung

Das fängt schon bei der Wortwahl an. "Wanderungswellen", "Migrationsströme" und "Asylantenfluten" machen Angst. Ob der Fernsehmoderator von "Asylanten" oder "Flüchtlingen" spricht, ist ein wichtiger Unterschied.

Und wenn in der Kriminalitätsberichterstattung einer Lokalzeitung nichtdeutsche Täternamen ausgeschrieben werden, verfestigt sich der Eindruck, die "Ausländerkriminalität" sei im Wachsen begriffen. Da muss die Schlagzeile gar nicht "Türken überfielen Tankstelle" lauten, um rassistische Stereotypen in den Köpfen zu verstärken.

Während die Vertreter ethnischer Minderheiten eher im Kollektiv auftauchen, werden Deutsche überwiegend als Einzeltäter dargestellt. Ein gutes Beispiel dafür lieferte die rheinische Boulevardzeitung Express am 21. Oktober 1999:

Ihr Aufmacher auf Seite 1 lautete: "Balkan-Bande hops genommen. Danke, Polizei! – Hunderte Einbrüche in und um Köln aufgeklärt". Hingegen war der Artikel "Burgenkönig vor Gericht: Wie oft hat er betrogen?" vergleichsweise klein und stand erst auf Seite 28, obwohl es dabei um einen Schaden in Millionenhöhe ging.

Islamophobie nach dem 11. September 2001

Für die Migrationsberichterstattung stellten die Attentate auf das Word Trade Center und das Pentagon eine Zäsur dar. Zumindest in Westdeutschland löst der arabische oder türkische Moslem seither den südeuropäischen "Gastarbeiter" und den schwarzen Asylbewerber als dominantes Ausländerstereotyp ab.

Gleichzeitig ist eine dreifache Modifikation der Migrationsberichterstattung feststellbar: Erstens verschränken sich der Migrations- und der Kriminalitätsdiskurs noch stärker als während der Asyldebatte 1991/92.

Zweitens wurde der Kriminalitätsdiskurs politisch-ideologisch aufgeladen, verschärfte sich zum Terrorismusdiskurs und durch die massenhafte Verbreitung der "Kulturkampf"-Metapher zu einem global angelegten Kriegsdiskurs.

Drittens kam es zur "Islamisierung" des Migrations- wie des Kriminalitätsdiskurses. Außenpolitisch spielten die EU-Beitrittspläne der Türkei, innenpolitisch das Kopftuch von Musliminnen, "Ehrenmorde" und Zwangsheiraten eine Schlüsselrolle.

Nunmehr verdunkelte sich nicht bloß das Islambild deutscher Medien, sondern feierte auch die Deutung der Weltpolitik als "Kampf der Kulturen" (Samuel P. Huntington) oder "Krieg der Zivilisationen" (Bassam Tibi) fröhliche Urständ. Die ZEIT brachte in ihrer Ausgabe vom 13. September 2001, welche ungewohnt reißerisch und in roten Lettern Krieg gegen die USA verkündete, einen Leitartikel unter dem Titel "Die Zielscheibe: unsere Zivilisation. Terror total und global".

Chiffren für den Kulturkampf

Nach dem 11. September wurden Osama bin Laden und Al Qaida zu Chiffren, die einen "Kulturkampf" gegen die westliche Zivilisation symbolisieren. Terrorismus, Fundamentalismus und Islamismus avancierten in vielen Medien zu einer omnipräsenten Gefahr, der man gemeinsam mit US-Präsident George W. Bush in kriegerischer Manier entgegentrat.

Überwunden geglaubte Klischees beherrschten wieder die Titelseiten großer deutscher Nachrichtenmagazine. Erwähnt seien hier nur das stern-Titelbild vom 27. September 2001, auf dem ein dunkelhäutiger Mann mit Vollbart und Sonnenbrille zu sehen ist, in deren Gläsern sich die brennenden Türme des World Trade Center spiegeln, sowie das Titelbild eines Spiegel special (2/2003) zum Thema "Allahs blutiges Land. Der Islam und der Nahe Osten", das von verschleierten Musliminnen über einen bärtigen Fanatiker mit bluttriefendem Krummdolch bis zum flammenden Inferno über Juden alle Stereotype bedient.

Auch der vorübergehend liberalere Zeitgeist in der Migrationspolitik wandelte sich wieder, weil "Schläfer" nach dem 11. September das Zerrbild der muslimischen Migranten bestimmten. Zuwanderer wurden fortan noch stärker mit Kriminalität, Irrationalität, Rückständigkeit, religiösem Fundamentalismus und ideologischem Fanatismus in Verbindung gebracht.

Noch lange nach den Attentaten dominierten in deutschen Massenmedien die Bilder der brennenden Zwillingstürme, militärische Metaphern und eine martialische Sprache.

Die Türken als innen- und außenpolitisches Problem

Ein Jahr nach den Terroranschlägen von New York veröffentlichte Hans-Ulrich Wehler in der ZEIT den Gastbeitrag "Das Türkenproblem. Der Westen braucht die Türkei – etwa als Frontstaat gegen den Irak. Aber in die EU darf das muslimische Land niemals". Der Titel ließ die antiislamische Stoßrichtung der Diskussion deutlich erkennen.

Wehler beschwor die "Kulturgrenzen" zwischen Europa und der Türkei, woraus sich für ihn die Behauptung ergab: "Überall in Europa erweisen sich muslimische Minderheiten als nicht assimilierbar und igeln sich in ihrer Subkultur ein. Auch die Bundesrepublik hat bekanntlich kein Ausländer-, sondern ausschließlich ein Türkenproblem."

Als der Bombenterror am 11. März 2004 mit den Anschlägen auf Vorortzüge in Madrid auch Europa traf, wurde das migrationspolitische Klima noch rauer. Nach der Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh am 2. November 2004 erlebte die Bezeichnung "Parallelgesellschaft" als Konträrbegriff zur "multikulturellen Gesellschaft" ihren medialen Durchbruch.

Modernisiertes Feindbild

Die Debatte gipfelte in dem Artikel "Die Schlacht um Europa" von Gilles Kepel in der Welt am Sonntag vom 21. November 2004 und im Titelblatt des tags darauf erschienenen Focus "Unheimliche Gäste. Die Gegenwelt der Muslime in Deutschland". Damit wurde das Feindbild des Kalten Krieges einerseits restauriert, andererseits modernisiert.

Nun machte man offen Stimmung gegen Muslime. So nährte der Dramatiker Botho Strauß durch historische Reminiszenzen an Kreuzzüge, Türkenkriege und Reconquista die Furcht vor einer Islamisierung des Westens, als er im Spiegel vom 13.2.2006 fragte, "ob die erfolgreichen Abwehrkämpfe, die das christliche Europa einst gegen den Ansturm arabischer Mächte führte, von heute aus gesehen nicht umsonst gewesen sind. Der zur Mehrheit tendierende Anteil der muslimischen Bevölkerung von Amsterdam und anderen Metropolen braucht unsere Toleranz bald nicht mehr."

Tatsächlich könnten dort die Migranten in ferner Zukunft mehrheitsfähig werden, aber es handelt sich bei ihnen keineswegs um Menschen ein und derselben Religionszugehörigkeit, und sie werden auch kaum alle zum Islam konvertieren.

Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ, beschwor in einem Gespräch mit dem Spiegel vom 6.3.2006 die Gefahr, dass "die westliche, aufgeklärte Kultur, die aus abendländischen, christlichen Werten stammt", den Muslimen aufgrund ihrer höheren Fertilität nicht gewachsen sei: "Jeder weiß, dass ein Teil der islamischen Welt uns den Krieg erklärt hat. Die muselmanische Reconquista hat demografische Ursachen, die Geburtenrate wird in diesen Ländern noch bis ins Jahr 2050 wachsen."

Auch die kampagnenartige Berichterstattung über "Zwangsverheiratungen" sowie "Ehrenmorde" hatten rassistische Untertöne. Mediendarstellungen wirkten stigmatisierend und verstärkten den Eindruck, dass sich die muslimischen Migranten, Türken zumal, in "Parallelgesellschaften" verschanzen, ihre Frauen unterdrücken und einfach nicht "zu uns" passen, vielmehr dorthin gehören, wo sie herkommen.

Moscheen, Minarette und Muezzine

Als eine Frankfurter Familienrichterin im März 2007 einer Scheidungswilligen die Aufhebung des Trennungsjahres verweigerte, weil die mit einem gewalttätigen Marokkaner verheiratete Frau habe voraussehen müssen, dass er sein religiös verbrieftes Züchtigungsrecht wahrnehme, empörten sich die Medien nicht etwa über die verkürzte, unhistorische Koran-Auslegung der Juristin, sondern über ihre Rücksichtnahme auf eine fremde Rechtsauffassung.

Im Spiegel vom 26.3.2007, dessen Titelbild das Brandenburger Tor unter einem türkischen Halbmond zeigt und die Überschrift "Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung" trägt, wurde die Frage gestellt: "Haben wir schon die Scharia?"

Durch die Art und Weise, wie man in der Öffentlichkeit über Ausländer, Flüchtlinge, Arbeitsmigranten und ethnische Minderheiten, aber auch die Möglichkeit eines gedeihlichen Zusammenlebens mit ihnen spricht, entscheidet sich tatsächlich, ob eine Ausgrenzung von "Fremden" um sich greift.

Die Medien sind mitverantwortlich, ob die Gesellschaft zerfällt oder eine gemeinsame Perspektive für alle ihre Mitglieder entwickelt. Gerade nach Ereignissen wie der pogromartigen Hetzjagd auf indische Migranten in Mügeln sollten sich Journalisten ihrer Verantwortung für das Gelingen der Integration stets bewusst sein.

Christoph Butterwegge

© Christoph Butterwegge 2007

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Bereits in mehreren Auflagen sind seine Bücher "Massenmedien, Migration und Integration" sowie "Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung" erschienen.

Qantara.de

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