Ägyptens kulturelle Wurzeln

Im Nordsudan sind mit deutscher Unterstützung Tempelanlagen ausgegraben worden, die bald auf der UNESCO-Welterbeliste stehen könnten. Davon erhofft sich das größte Land auf dem afrikanischen Kontinent auch einen Aufschwung im Tourismus.

By Iris Völlnagel

​​Früher zog Yussuf mit seinen Schafen und Ziegen durch die karge Wüstenlandschaft im Norden Sudans – bis vor zehn Jahren. Dann kamen einige Fremde, deutsche Archäologen, die ihn irgendwann fragten, ob er ihnen bei Ausgrabungen helfen will.

Seine Ziegen und Schafe hat der 28jährige inzwischen seinem Bruder überlassen, denn mit den Ausgrabungen verdient Yussuf jeden Tag drei bis vier Euro – mehr als durch Schafe-Hüten. Bereits jetzt träumt er davon, bald ein reicher Mann zu werden, um dann von dem Geld seine Kinder auf eine Schule schicken zu können.

Unschätzbarer Fund

Die deutschen Archäologen arbeiten unter Leitung von Professor Dietrich Wildung, dem Leiter des Ägyptischen Museums in Berlin, schon seit über zehn Jahre in Naga. Dass es unter dem Wüstensand im Nordsudan viele archäologische Schätze über das untergegangene Reich der Nubier gibt, war bekannt, seitdem Richard Lepsius 1843 mit einer preußischen Expedition den Sudan durchquert hatte.

Dietrich Wildung; Foto: dpa
"Wir entdecken hier die 'african roots' der ägyptischen Zivilisation", meint Ausgrabungsleiter Professor Dietrich Wildung; Foto: dpa

​​Aber niemand hatte sich daran gemacht, die Tempelanlage von Naga auszugraben, weil sie so schwer zugänglich ist. Umso mehr war Dietrich Wildung überrascht, was er fand. "Als wir zu graben anfingen, überschlugen sich die Überraschungen", so Wildung.

"Wir stellten fest, dass im Säulensaal nicht nur eine Säule übrig war, sondern sieben andere mit Reliefs und Inschriften versehene Säulen am Boden lagen. Wir haben davon in den letzten Jahren fünf wieder aufgestellt."

Außerdem sei noch eine beträchtliche Menge an Tempelausstattung vorhanden, berichtet Wildung. Der Tempel stürzte bedingt durch ein Erdbeben ein und hatte alles unter sich begraben.

Der inzwischen ausgegrabene Amuntempel von Naga ist nur eines der zahlreichen Zeugnisse, dass es im Gebiet der Nubier vor 2000 Jahren ein eigenständiges Königsreich gegeben haben muss: das der Meroiten.

Ägyptens Wurzeln liegen in Afrika

In der Bibel wird es unter dem altägyptischen Namen Kusch erwähnt. Was Dietrich Wildung bisher gefunden hat, hat sein bisheriges archäologisches Wissen auf den Kopf gestellt: Nicht in Ägypten, sondern im Sudan liegen die Wurzeln der ägyptischen Kultur, meint er.

"Wir entdecken hier die 'african roots' der ägyptischen Zivilisation", erklärt der Museumsleiter und fügt hinzu: "Das wirft nicht nur ein neues Bild auf den Sudan als eine der großen antiken Kulturen, sondern auch ein verändertes Bild auf Ägypten. Ich fasse das in dem einfachen Satz zusammen: Ägypten liegt in Afrika."

Anfang Dezember haben die Berliner Archäologen die Tempelanlage von Naga an die Sudanesen übergeben. Die möchten, dass der Amuntempel in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wird. Das könnte auch mehr Touristen in den Sudan locken, hofft Tourisminister Mahjour Mohmed Osman.

Tempelanlage als Touristenattraktion

"Wir werden alles dransetzen, dass Naga in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wird. Denn das gewährleistet uns, dass die Anlagen erhalten bleiben", so Osman. "Außerdem erfahren so die Menschen auf der ganzen Welt, dass es den Tempel in Naga gibt. Dann wollen sie es sehen und planen eine Reise hierher. Deshalb ist die Aufnahme in die Weltkulturerbeliste für uns sehr wichtig."

Touristenmassen wie in Ägypten? Eine Vorstellung, die die deutschen Ärchäologen erschaudern lässt: Zwar könnte Ausgrabungshelfer Yussuf dann das Schulgeld für seine Kinder als Touristenführer verdienen.

Im Moment fasziniert Naga vor allem aber durch seine abgelegene Lage mitten in einer kargen Wüstenlandschaft. Noch ist der Ort nur durch eine mehrstündige Fahrt im Allradwagen über Sandpisten zu erreichen. Durch eine Asphaltstraße, die für Touristenbusse benötigt wird, würde der Ort viel von seinem Charme verlieren.

Iris Völlnagel

© DEUTSCHE WELLE 2007