"Zu Gast in Mettmann"
Wenn man in Deutschland über die Brennpunkte der Integration diskutiert, denkt man in der Regel zuerst an den umstrittenen Moschee-Bau in Köln-Ehrenfeld oder an die randalierenden Teenager der Berliner Rütli-Schule.
Wie aber sieht es mit der Integration in der Provinz aus? Kann man davon ausgehen, dass die Integration nach dem Grundsatz No news is good news an all den Orten, die in den Medien nicht erwähnt werden, tatsächlich gelingt? Die 40.000-Seelen Kreisstadt Mettmann ist jedenfalls nicht Clichy-sous-Bois; im Gegenteil.
An der S-Bahn-Station gibt es keine Graffitis, die Straßen sind sauber und schmutzfrei wie mancherleuts Wohnzimmer nicht, und der fein ausgestattete "Juwelier Istanbul" in der "City" ist ein Indiz dafür, dass einem Mettmanner auch mit türkischer Herkunft der Weg in die obere Mittelschicht nicht versperrt ist.
Unter der Oberfläche
Dem Theaterprojekt von Nina Gühlstorff und Dorothea Schroeder schlug indessen nicht nur Sympathie und Unterstützung entgegen. Zwar schafften es die beiden jungen Regisseurinnen, neben den unterschiedlichsten lokalen Akteuren auch die evangelische Gemeinde und den örtlichen islamischen Ditib-Verband in das Projekt einzubinden; darüber hinaus kooperierte auch der Integrationsrat der Stadt, und der Bürgermeister übernahm die Schirmherrschaft des Projekts.
Als aber ein Spielort für den Auftritt des Russisch-Deutschen Gesangvereins gesucht wurde – der zu 80 Prozent aus arglosen russlanddeutschen Damen im Seniorenalter besteht –, winkte ein Grundstücksbesitzer mit einer unverhohlenen Geste robuster Ausländerfeindlichkeit ab: "Die wollen wir hier nicht", hieß es, so Dorothea Schroeder. "Am Ende fühlen die sich hier noch heimisch!"
Auch wenn Mettmann also in punkto soziale Abgründe und Verwerfungen der Bronx nicht das Wasser abgräbt, so brodeln auch hier unter der Oberfläche Ressentiments.
Parcours der Mettmanner Migrationsgeschichte
Trotzdem: Die Tour durch die Stadt, bei der verschiedene Orte ihrer Migrationsgeschichte aufgesucht werden, vermittelt den Eindruck, dass in dieser Bergischen Kreisstadt ein Kapitel gelungener bundesrepublikanischer Integrationsgeschichte geschrieben werden konnte.
Rund 120 Personen sind in zwei gecharterten Linienbussen unterwegs; die erste Station sind die ehemaligen Wohnheime der ersten Gastarbeiter der Stadt: Im obersten Stock erzählt der Schauspieler Andreas Bittl die Geschichte von Matije Bircic, einem Bosnier, der hier jahrelang fröhlich und genügsam unter spartanischen Bedingungen gewohnt hat.
Der Betroffene selbst, heute ein stattlicher Mann im Ruhestand, ist mit von der Partie. Er hört zu, wie der Mime seine Geschichte erzählt, greift im Anschluss zu einem traditionellen Saiteninstrument, der Tambourizza, spielt eine bosnische Weise und beginnt dann, ganz spontan, wie es scheint, zu tanzen.
Vor dem Haus berichtet der Schauspieler Laurenz Leky von einer Reise über die Alpen und darüber, wie junge Männer in italienischen Dörfern mit Dolmetschern angeworben wurden und in manchen Fällen binnen 48 Stunden ihre Koffer packten, um nie wieder zu kommen.
Die Theatertruppe hatte innerhalb weniger Wochen Migranten und Zugereiste aufgetrieben und ihnen ihre Geschichten entlockt, die jetzt hier dramatisiert, aber unprätentiös vermittelt wurden.
Später dann, in der Fabrik Eisengießerei Georg Fischer, kommen Arbeitsmigranten selbst zu Wort. Die einen genießen den Auftritt sichtlich, die anderen mühen sich, sind es nicht gewohnt, vor Publikum zu sprechen; die Zuschauer aber geben sich Mühe und hören aufmerksam zu.
Gartenlaube, Moschee, Art Deco-Kino
Dann geht es zur Gartenlaube der Familie Kubat, wo Lamacun, Gebäck und türkischer Tee aus dem Samowar gereicht werden. Obwohl es sich um eine Inszenierung handelt, ist die Atmosphäre entspannt und man redet miteinander.
Weiter geht es zur Ditib-Moschee. Dort schlüpft die Schauspielerin Stefanie Dietrich in die Rolle eines deutsch-türkischen Mädchens und berichtet vom Leben unterm Kopftuch. Anschließend erzählt die Familie Gönen, wie das hiesige Moschee-Leben organisiert ist und wie sie als Deutsch-Türken in Mettmann wohnen ("Gut!"). Gönen Junior landet einen Lacher, als er sich als "der Sohn meines Vaters" vorstellt.
Vor der Moschee spielt ein Gemeindemitglied ein traditionelles Stück auf einer Saz. Spontan bildet sich ein Kreis und es wird getanzt. Doch die Tour ist noch nicht zu Ende. Jetzt geht es in das alte Art-Deco-Kino, das bereits seit den siebziger Jahren leer steht (folglich muffelt es).
Aber in dieser phänomenalen Kulisse tritt nun also der Russisch-Deutsche Gesangsverein auf. Die Seniorenmannschaft singt ein russisches und ein deutsches Lied; wieder wird getanzt. Die Zuschauer sind begeistert und applaudieren.
Doch schon geht es weiter. Die letzte Station ist schließlich das Möbellager der Stadt. Hier glänzt Laurenz Leky in der Rolle von Freddy Bayayoko, einem westafrikanischen Flüchtling, der durch ganz Europa gereist ist, um schließlich in Mettmann zu landen.
Der Schauspieler eröffnet den atemlosen Monolog auf der Balustrade, steht Momente später auf einem Schrank, dann mitten im Publikum, dann im Dachstuhl – Symbol einer scheinbar endlosen Flucht.
Nach drei Stunden endet die Tour über den Dächern der Stadt; es war die vorletzte Vorstellung; die Nacht senkt sich herab auf die Kreisstadt Mettmann.
Wenn man über das Projekt noch einmal nachsinnt, realisiert man, dass die Integrationsbemühungen in Deutschland zu einer Art "Schadensbegrenzung im eskalierenden Kulturkampf" verkommen sind. Denn ist es nicht zuletzt die Furcht vor terroristischen Anschlägen, die Minister Schäuble dazu veranlasst, zu verkünden, dass der Islam einen festen Platz in der deutschen Gesellschaft hat?
Die Motivation der Theatergruppe von "Zu Gast in Mettmann" war eine andere: Es war die Neugier an Geschichten und an den Menschen, die sie erzählen. Das Projekt hat, so scheint es, das ohnehin gute Integrationsklima in einer Kleinstadt weiter verbessert. Darauf ein Hoch!
Lewis Gropp
© Qantara.de 2007
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