Begehrtes Teufelszeug

Alkohol und Islam gelten gemeinhin als Gegensätze. Getrunken wird aber trotzdem. Für die meisten Muslime bleibt Alkohol jedoch etwas Negatives, obwohl gerne auch auf die Tradition der arabischen Weinpoesie verwiesen wird, die von einem toleranten Islam vergangener Zeiten erzählt. Von Alfred Hackensberger

By Alfred Hackensberger

Weinreben in Algerien; Foto: AP
Allen Unkenrufen konservativer Muslime zum Trotz boomen Anbau und Produktion von Wein in den islamischen Staaten.

​​Vor allen religiösen Feiertagen, wie dem Geburtstag des Propheten oder dem heiligen Fastenmonat Ramadan, an denen Alkohol verboten ist, sind die Bars von Tanger überfüllt. Die leeren Falschen stapeln sich dann förmlich auf den Tischen, die die Kellner dort stehen lassen, um damit am Ende ihre Abrechnung zu machen.

Auch die Geschäfte, in denen Alkohol verkauft wird, erzielen in diesen Tagen Rekordumsätze. Vor der Abstinenz will man noch einmal richtig genießen. Etwas, auf das streng gläubige Muslime nicht gerne angesprochen werden, zudem die Leute vorwiegend mit Alkohol aus heimischer Produktion Vorlieb nehmen.

Marokko produziert jährlich 400.000 Hektoliter Wein oder 33 Millionen Flaschen aus einer Anbaufläche von insgesamt 12.000 Hektar. Nur etwa 20 Prozent davon wird ins Ausland exportiert.

"Alkohol ist für Muslime verboten"

Das Königreich ist als Weinproduzent unter den arabischen Ländern kein Einzelfall. Algerien, Ägypten, Jordanien, Libanon, Tunesien und sehr bald auch Syrien bauen Wein im großen Stil an. Die Gesamtproduktion beläuft sich pro Jahr auf 1.3 Millionen Hektoliter oder 146 Millionen Flaschen. "Alkohol ist für Muslime verboten", sagt ausgerechnet der Verkäufer eines Alkoholgeschäfts in Tanger, in dem von Bier bis Wodka oder Gin alles zu haben ist.

"Muslime trinken keinen Alkohol, weil es der Koran verbietet", fügt er erklärend, mit einem breiten Schmunzeln hinzu, bevor er einem Kunden mehrere Dosen Bier einpackt. Tatsächlich werden, laut einer Statistik der unabhängigen marokkanischen Wochenzeitung TelQuel, etwa 50 Millionen Liter Alkohol jährlich im Königreich von Mohammed VI. getrunken.

Werk Satans

Im Koran gibt es keinen Vers, der den Gläubigen den Genuss von Alkohol ausdrücklich verbietet. Gott lässt neben dem Getreide, den Ölbäumen, den Dattelpalmen auch Weinstöcke wachsen (Sure 16:10-11). Von den Früchten der Dattelpalmen und den Beeren einen Rauschtrank zu machen, ist ein Zeichen für Verstand (Sure 16:67), im Paradies warten Ströme von Wasser, Milch, Honig und Wein (Sure 47:15). Allerdings ist Alkohol, wenn man betrunken ist, hinderlich beim Gebet (Sure 4:43). Und in Sure 5:90-91 wird Wein als das Werk Satans bezeichnet, der nur Feindschaft und Hass aufkommen lässt.

So negativ Alkohol im Koran teilweise auch dargestellt wird, wirklich verboten (harâm) wird er dort nicht, wie dies bei Aas, Blut und Schweinefleisch der Fall ist (Sure 5:3). Dennoch hat sich im Laufe der Zeit bei der Mehrheit der islamischen Rechtsgelehrten die ablehnende Haltung bezüglich Alkohols durchgesetzt. Gemäß islamischen Rechts (Scharia) wird Alkoholkonsum als Sünde betrachtet, obwohl es auch eine andere Auslegung geben könnte. Darauf berufen sich wohl weltweit Millionen von Muslime, um ihren Alkoholgenuss zu rechtfertigen – Menschen, die nach Feierabend auf ein Bier oder auch mehrere nicht verzichten wollen.

Gerne wird auch auf die Tradition der arabischen Weinpoesie verwiesen, die von einem toleranten Islam vergangener Zeiten berichtet. Ein Vertreter davon ist der in der persischen Stadt Avhaz geborene Abu Nuwas (750-819). Der berühmt-berüchtigte Poet war gleichermaßen von Wein und Knaben begeistert: "Für junge Knaben ließ ich die Mädchen zurück/ Und alter Wein vertreibt den Gedanken von klarem Wasser aus meinem Kopf."

"Zerschlage die Flaschen auf einem Stein"

Zur religiösen Begründung des Alkoholverbots dienen die Hadithe, die von Zeitzeugen mündlich überlieferten Aussprüche des Propheten Mohammed. Sie wurden rund 150 Jahre nach dem Tod Mohammeds (570-632) zusammengetragen und aufgeschrieben. Zu den bekanntesten zählt die Hadith-Sammlung von al-Bukhari (810-870). Einer dieser Hadithe erzählt von Umar ibn al-Chattab, einem Weggefährten des Propheten und späteren zweiten Kalifen (634-644 n. Chr.), der eine Flasche Wein geschenkt bekam und nicht wusste, was er damit tun sollte.

Stella-Bier; Foto: &copy commons.wikimedia.org
Einheimische Produktionen offiziell nur als Konsumgüter für Touristen und Gastarbeiter? - Stella-Bier "made in Egypt".

​​"Aber wenn es verboten ist, ihn zu trinken, zu verkaufen und zu verschenken, was mache ich damit?" Der Prophet antwortete: "Geh nach draußen und zerschlage die Flaschen auf einem Stein." Für den Verkauf und Konsum von Alkohol gibt es keine einheitlich-rechtliche Regelung. In einigen islamischen Ländern ist Alkohol offiziell nur Touristen vorbehalten, in anderen wiederum der Allgemeinheit zugänglich.

Per Gesetz verboten ist Alkohol in Saudi-Arabien, Kuwait, im Iran, Sudan oder auch Libyen. Getrunken wird aber trotzdem, selbst in Saudi-Arabien, das strenge Strafen für den Vertrieb und Konsum von Alkohol vorsieht. Immer wieder hebt die saudische Polizei eine illegale Alkoholdestillation aus.

Die sechs Millionen Gastarbeiter aus dem asiatischen Raum brauen sich mitunter ihren eigenen "Fusel" und verkaufen ihn weiter. Selbst im theokratischen Iran muss man auf seinen Whiskey oder Wodka im privaten Raum nicht verzichten. Jugendliche auf Rädern verdingen sich sogar als illegale Alkoholkuriere.

Mittel des Verdrängens und Vergessens

Selbstverständlich trinkt nicht jeder Muslim Alkohol. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist für Marokko lediglich 1,0 Liter reinen Alkohol pro Person und Jahr aus, in Saudi-Arabien sind es gar nur 0,6 und in Pakistan 0,3 Liter, wobei die Dunkelziffer sicher weitaus höher liegt. Alkoholkonsumenten kommen aus besser verdienenden Kreisen, aber auch aus dem untersten sozialen Milieu, für die Alkohol ein Mittel des Verdrängens und Vergessens ist.

Für die meisten Muslime bleibt Alkohol etwas Negatives. Ein Beispiel aus dem Alltag: Als einige junge Studenten vor kurzem ins Goethe-Zentrum von Tanger kamen, um deutsche Fernsehprogramme zu sehen, waren sie über die Alkoholwerbung entsetzt, in der Bier als gesund angepriesen wurde und angeblich sogar Vitamine beinhalten soll. Völlig ungläubig schüttelten sie die Köpfe, als würde man sie mit einer manipulierten Videokassette auf den Arm nehmen. Erst als einige Male der TV-Kanal gewechselt wurde, war man von der Authentizität der Bilder überzeugt – aber noch lange nicht von der positiven Wirkung von Bier auf den menschlichen Organismus.

Alfred Hackensberger

© Qantara.de 2008