Iran: Trauma und Depression Schon bevor die Pandemie den Iran erreichte, drückten wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme sowie militärische Krisen auf die Stimmung. Die hat sich durch das Krisenmanagement der Regierung nicht verbessert. Von Shabnam von Hein Psychologen schlagen Alarm: Irans Gesundheitsminister warnte im Dezember 2019 vor den hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten psychischer Krankheiten im Iran. Der Verein der iranischen Psychologen schätzte, dass ein Viertel der Bevölkerung unter Depression leide. Das amerikanische Cato-Institut sah Iran 2019 als das drittunglücklichste Land der Welt. Inzwischen kam die Pandemie hinzu. Mehr Krankenhausbetten benötigt: "Das ganze Land ist auf Stufe Rot, nirgendwo ist man mehr sicher vor dem Coronavirus", warnte Irans stellvertretender Gesundheitsminister am 18. September. Um auf einen weiteren Anstieg der Fälle im Winter vorbereiten zu sein, versuche das Gesundheitsministerium zusätzliche 10.000 Krankenhausbetten bereitzustellen. Leugnen und beschwichtigen: Am Anfang wurde die rasche Ausbreitung des Virus verschwiegen. Trotz steigender Fallzahlen versuchte die Regierung im Juni zur "Normalität" zurückzukehren und lockerte die Beschränkungen. Präsident Hassan Rohani forderte Kritiker und Medien auf, die Gesellschaft nicht mehr "psychisch zu belasten". Gesellschaft unter Stress: Zur Bedrohung durch das Virus kommt die Angst vor steigender Arbeitslosigkeit. Zwei Millionen Arbeitsplätze wurden nach offiziellen Angaben bisher vernichtet. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt, dass die iranische Wirtschaft in diesem Jahr um sechs Prozent schrumpfen wird. Teuerung und Mangelversorgung: Der Preis für Kartoffeln hat sich vervierfacht, Tomaten sind heute 140 Prozent teurer als vor einem Jahr. Importierte Medikamente sind wegen der US-Sanktionen Mangelware. Volkswut nach Benzinpreiserhöhung: Wegen knapper Finanzen hatte die Führung in Teheran im November die Kraftstoff-Subventionen gekürzt. Landesweite Proteste waren die Folge, die brutal niedergeschlagen wurden. Laut Amnesty International wurden mehr als 300 Demonstrierende getötet und Tausende festgenommen. Kriegsangst: Am 3. Januar wurde Qassem Soleimani im Irak von einer Drohne der Amerikaner getötet. Soleimani war der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden. Angst vor dem Ausbruch eines Krieges zwischen Iran und USA lag in der Luft. Tragischer Irrtum: Am 8. Januar schoss das iranische Militär versehentlich eine ukrainische Passagiermaschine kurz nach dem Start in Teheran ab. Unter den 176 Passagieren, von denen keiner überlebte, waren auch viele Iraner. "Unser Feind ist hier": Drei Tage lang leugnen Regierung und Militär die Verantwortung für das Unglück. Wütende Demonstranten fordern in mehreren Städten den Rücktritt führender Politiker. "Sie lügen, wenn sie sagen, unser Feind ist Amerika. Unser Feind ist hier", skandieren sie. Angehörige fordern Genugtuung: Unter den Todesopfern des Flugzeugunglücks waren 139 Iraner, viele davon Auswanderer. "Aber hätten nicht so viele Opfer auch die kanadische Staatsbürgerschaft gehabt und hätte Kanada nicht deswegen so viel Druck ausgeübt, hätten wir die Wahrheit wohl nie erfahren", vermuten viele Iraner bis heute. Neujahrsfest fiel aus: Wenige Wochen nach dem Schock des Flugzeugkatastrophe erreichte die Pandemie den Iran. Die einzige Gelegenheit, kollektive Freude zu empfinden, musste ausfallen: das iranische Neujahrsfest Nowruz. Um das Virus einzudämmen forderte die Regierung alle Bürger auf, zu Hause zu bleiben und auf soziale Kontakte zu verzichten. Wirkungslose Solidarität: Der Ringer Navid Afkari wurde am 12.September wegen eines nicht bewiesenen Mordes hingerichtet, trotz zahlreicher offener Briefe und internationaler Forderungen, das Urteil zu überprüfen. "Von einer kollektiven Trauer stolpern wir in die nächste", schreiben iranische User resigniert in sozialen Netzwerken.