Libanon – Leben ohne Strom und Benzin Der Libanon leidet unter der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte, die zu einem dramatischen Versorgungsmangel geführt hat. Strom und Benzin sind Mangelware. Das hat Auswirkungen auf viele Bereiche des Lebens. Von Diana Hodali Keine Devisen: Der Libanon steckt in einer Wirtschaftskrise, wie sie das Land noch nicht erlebt hat. Das libanesische Pfund hat seit Ende 2019 ungefähr 90 Prozent seines Wertes verloren. Devisen sind mittlerweile ein kostbares Gut. Für diejenigen in der Bevölkerung, die nicht an harte Währung kommen, bedeutet das einen dramatischen Verlust an Kaufkraft. Alle suchen nach Gas und Benzin: Die Treibstoff-Knappheit ist ein Symptom der Wirtschaftskrise. Früher war Benzin im Libanon günstig und wurde großzügig vom Staat subventioniert. Aber diese Zeiten sind praktisch vorbei. Der Libanon muss Kraftstoffe importieren. Doch dem Land fehlen dafür die Devisen, alle Reserven sind so gut wie aufgebraucht. Und ohne Kraftstoff können die Kraftwerke nicht betrieben werden. Keine Klimaanlage: Daher – und auch wegen der grassierenden Vettern- und Misswirtschaft – ist Strom Mangelware. Menschen können bei den hohen Temperaturen kaum schlafen, denn ohne Strom kann auch die Klimaanlage nicht betrieben werden. Besonders ältere Menschen leiden darunter. Auch Aufzüge können nicht immer in Betrieb genommen werden, selbst wenn man zusätzlich für viel Geld Strom über private Firmen bezieht. Lange Schlangen vor den Tankstellen: "Manchmal übernachten die Menschen in ihren Autos an den Tankstellen, um am nächsten Morgen Benzin zu ergattern", erzählt eine Libanesin aus Beirut. Viele Tankstellen öffnen nur ein paar Stunden am Tag. Die Verzweiflung ist mancherorts so groß, dass die Armee bereits eingreifen musste, weil es nicht nur Schlägereien, sondern auch schon Schusswechsel wegen des Treibstoffmangels gab. Brotknappheit wohin man blickt: Wer kein Benzin hat, kann oft nicht zur Arbeit fahren, da der Libanon, bis auf ein paar Busse, keinen öffentlichen Nahverkehr hat. Und wer sein Auto nicht betanken kann, kann kein Brot an Geschäfte oder Restaurants liefern. Mal abgesehen davon, dass man Strom auch zum Backen der Ware braucht. Dazu kommt: Auch die Preise für das subventionierte Brot wurden in den vergangenen Monaten angehoben. Lebensmittel verkommen: Die Liste der Zumutungen, mit denen die Libanesen im Alltag konfrontiert sind, wird immer länger. Teilweise müssen Lebensmittelhändler ihre Tiefkühlwaren wegwerfen, weil sie sonst verkommen. Die Menschen kaufen wegen des Strommangels überwiegend Lebensmittel ein, die keine Kühlung benötigen. Im Netz tauschen mittlerweile viele Libanesen Rezepte aus, die ohne gekühlte Lebensmittel auskommen. Drohender Bildungsnotstand: Die Kraftstoff- und Wirtschaftskrise hat auch Auswirkungen auf den Bildungssektor. Zum einen können Eltern teilweise die hohen Schulgebühren für private Schulen kaum noch zahlen; auch die Gehälter von Lehrern bleiben aus, gleiches gilt für den Hochschulsektor. Zum anderen kann während der Corona-Pandemie auch der Online-Unterricht ohne regelmäßigen Strom nicht gewährleistet werden. Krankenhäuser am Rande der Kapazität: Auch die Krankenhäuser im Libanon klagten zuletzt über massive Engpässe beim Treibstoff für ihre Generatoren. Denn ohne Generatoren müssen zum Beispiel auch Beatmungsgeräte abgeschaltet werden. Das medizinische Personal ist erschöpft: Mit einem neuen Anstieg der Corona-Infektionen stehen die Krankenhäuser im Libanon wieder am Rande ihrer Kapazitäten. Viele Ärzte sind längst ausgewandert. Medikamente sind knapp: Teilweise werden Patienten gebeten, ihre eigenen Medikamente mitzubringen. Denn auch Medikamente sind im Importland Libanon Mangelware. Apotheker geben schon lange keine ganzen Packungen mehr heraus, sondern rationieren. Vor wenigen Tagen tauchte ein Video im Netz auf, in dem ein Lager voller Medikamente zu sehen ist. Der Händler wollte die Ware offenbar zu erhöhten Preisen verkaufen. Gefährdete Landwirtschaft: Der Agrarsektor des Libanon ist nach wie vor stark von vielen Importen abhängig, so wie von importiertem Saatgut, Düngemitteln oder Pestiziden. Einige Unternehmer versuchen, dies zu ändern. Doch um die Geräte zur Bewirtschaftung der Ackerflächen zu nutzen, brauchen sie ebenfalls, was überall fehlt: Strom. Auch das Wasser wird knapp: Dem Libanon drohen zudem akute Engpässe bei der Wasserversorgung. Über vier Millionen Menschen könnten in den kommenden Tagen von Wassermangel betroffen sein oder den Zugang zu sauberem Trinkwasser gänzlich verlieren, warnte das UN-Kinderhilfswerk UNICEF erst vor wenigen Tagen. Die Organisation befürchtet auch eine Zunahme von Krankheiten infolge von mangelnder Hygiene durch Wasserknappheit.