"Tatreez": gestickte Botschaften aus Palästina Die "Tatreez"-Stickerei ist ein Symbol für die kulturelle Identität palästinensischer Frauen und eine uralte Tradition, die allerdings inzwischen gefährdet ist. Einblicke von Elizabeth Grenier Lange Tradition: Das arabische Wort "Tatreez" bezeichnet die einzigartige Stickerei, die es nur in Palästina gibt. Die Ursprünge der Tradition sollen auf die Zeit um 1000 v. Chr. zurückgehen. Dieses Kunsthandwerk war stets Frauen vorbehalten, sagt die Fotografin Fatima Abbadi. Die Mütter hätten es ihren Töchtern weitergegeben. Ähnlich wie bei Kochrezepten habe jede Generation etwas eigenes hinzugefügt. Eine Sprache ohne Worte: Aber "Tatreez" ist viel mehr als nur ein Hobby oder Dekoration. Die Tradition hat Hunderte von Symbolen hervorgebracht, die Informationen über die Trägerin beinhalten. Erkennbar ist etwa, ob sie reich oder arm, ledig, verwitwet oder verheiratet ist. Für Nichtkenner sind die verschiedenen Farben und Symbole wie eine geheime Sprache. Von Flüchtlingslagern in die ganze Welt: Oft ist das Kunsthandwerk die einzige Einkommensquelle für Frauen in Flüchtlingslagern. Programme wie "Darzah" oder das durch die EU finanzierte Projekt "Tatreez" haben Frauen geholfen, neue Werkstätten zu errichten, kreative Designs zu entwerfen und ihre Produkte im Westen zu verkaufen. Die Frauen lernen auch, wie sie ihr eigenes kleines Unternehmen aufbauen. Stickkunst ernährte ganze Familien: Die Muster variieren von Region zu Region. In der Vergangenheit haben viele Familien die feinbestickten Kleidungsstücke für Notzeiten aufbewahrt. Ein einziger Ärmel etwa brachte genug Geld für eine medizinische Behandlung ein, während ein komplettes Kleid für die Ausbildung eines Kindes reichte. "Solche Erinnerungen werden mit jedem einzelnen bestickten Kleid lebendig", sagt Abbadi. Wie aus einer Tradition Mode wurde: Wenn Tatreez international erfolgreich sein soll, muss es modernisiert werden. So bereichern junge Modedesigner die Stickereien mit neuen Farben und besticken auch moderne westliche Kleidungsstücke. Dank Marken wie "All Things Mochi" oder "SEP Jordan" wird Tatreez-Mode mittlerweile international gekauft und sogar in der Modezeitschrift "Vogue" vorgestellt. Ein Stück kulturelle Identität: Die Tatreez-Initiativen in den Flüchtlingslagern verbessern die Lebensqualität der Menschen und sorgen zugleich dafür, dass das traditionelle Handwerk unter den harten Bedingungen in Palästina nicht ausstirbt. Schließlich ist Tatreez auch ein wichtiges Symbol für die kulturelle Identität der Palästinenser. Sie tragen die wertvollen Stickereien an Feiertagen, auf Hochzeiten oder anderen Festen. Kunsthandwerk in die Zukunft retten: Abbadis Ziel ist es, den jetzigen Stand des Handwerks zu dokumentieren, um es für zukünftige Generationen zu erhalten. Auch die palästinensich-amerikanische Autorin Wafa Ghnaim widmet sich in ihrem Buch "Tatreez & Tea" (2016) diesem Thema. Dank zeitgenössischen Künstlern wie Jordan Nassar schaffte Tatreez sogar den Sprung in US-amerikanische Galerien.