Wahlheimat Istanbul - trotz Putsch, Terror und Repressionen
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Seit dem gescheiterten Putsch-Versuch vom 15. Juli und den Säuberungen gegen Gülen-Anhänger in der Türkei haben viele Wahl-Istanbuler ihr Verhältnis zur Stadt zwischen den zwei Kontinenten neu justiert. Auch wenn in diesem Jahr die Expat-Gruppen auf Facebook von besorgten Posts bestimmt werden – von Istanbul wollen sich viele nicht so einfach trennen. -
"Was hält dich überhaupt noch dort?" wird Hannah Alongi (22), Amerikanerin, seit der Putsch-Nacht oft von Freunden gefragt. Sie selbst sei in der Nacht so erschrocken gewesen wie nie zuvor. Trotzdem will Alongi, die in einem internationalen Kindergarten arbeitet, in Istanbul bleiben: "Hier treffe ich täglich auf spannende Menschen. Allein die Tatsache, dass sie hier leben, macht viele kreativ." -
Marie Hartlieb (27) und Tuğba Yalçınkaya (26), beide aufgewachsen in Deutschland, betreiben seit 2015 aus Kadıköy das Online-Magazin "MAVIBLAU", das sich dem deutsch-türkischen Kulturaustausch verschrieben hat. "Wir versuchen, mit unseren Artikeln der aktuellen Negativberichterstattung zur Türkei etwas entgegenzusetzen", sagt Hartlieb. -
Der asiatische Stadtteil Kadıköy mit seiner lebendigen Kneipen- und Kunstszene ist bei Ausländern eine beliebte Wohngegend. In diesem Jahr ist die Zahl der Touristen und Studenten auf den Straßen Istanbuls jedoch merklich zurückgegangen. -
Mario de Bellis (30) produziert Radiosendungen für italienische Medien aus Istanbul. Nach den Anschlägen und dem Putsch-Versuch hatte er als freier Journalist viel Arbeit. Obgleich er die gewachsene Paranoia unter der türkischen Bevölkerung spürt, will er die Stadt nicht verlassen: "Der einzigartige Kulturmix begeistert mich. Istanbul bleibt dynamisch, hier ist immer Bewegung." -
Mohammad und Darya Sabour (38 und 27), aus Iran und Russland, haben in diesem Jahr in Istanbul geheiratet. Das Klima während und seit dem Putsch-Versuch erinnere Mohammad Sabour an seine postrevolutionäre Kindheit im Iran. "Dennoch ist Istanbul immer noch weitaus lebenswerter für uns als Russland oder der Iran", meint der freischaffende Übersetzer. -
Nach einem interkulturellen Workshop im Jahr 2009 entschied sich Ridwan Landasan (26) von den Philippinen für ein Studium in Istanbul. "Die Stadt ist ein optimaler Lebensmittelpunkt, auch nach der Putsch-Nacht", sagt Landasan. Nach Abschluss seines Masters in Internationalen Beziehungen an der Bilgi-Universität will Landasan in Manila eine Ausbildung zum Diplomaten beginnen. -
Viele Bildungsstätten in Istanbul wie die renommierte Boğaziçi-Universität ziehen weiterhin Studenten aus der ganzen Welt an. Die meisten deutschen Universitäten haben in diesem Jahr jedoch aus Sicherheitsbedenken Austauschprogramme mit türkischen Universitäten suspendiert. -
Für Huthaifa Busuulwa (24) aus Uganda ist Istanbul seit zwei Jahren der ideale Studienplatz. Busuulwa erfuhr durch einen Aushang in seiner Heimat-Universität von Stipendienprogrammen der türkischen Regierung. "Die Türkei hat in Uganda einen guten Ruf. Zu Recht, denn sie hat mir viele Chancen eröffnet", sagt Busuulwa, der in Zukunft für die UN in Uganda arbeiten möchte. -
Mahasti Kia (47) zog 1987 für ein Grafikdesign-Studium aus dem Iran nach Istanbul. Seitdem hat Kia die Stadt nicht mehr verlassen, sich dabei mit ihr verändert. "Istanbul ist wie ein abenteuerlicher Liebhaber. Manchmal kämpfe ich mit ihm, aber sobald ich von der Fähre auf den Bosporus blicke, bin ich wieder verliebt." Kia betreibt in Kadıköy eine Kunstwerkstatt, in der sie Töpfer-Workshops anbietet.
https://qantara.de.//node/30770
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