Kulturdialog nach dem 11. September

Jutta Limbach, Präsidentin des Goethe-Instituts, nahm auf der Internationalen Buchmesse Kairo an zahlreichen Veranstaltungen zum Kulturdialog teil. Ein Gespräch zum Wandel der Auswärtigen Kulturpolitik.

Interview by Mona Naggar

Wie würden Sie das Ziel des Kulturdialogs formulieren?

Jutta Limbach: Ich könnte das Ziel mit einer großen Vokabel beschreiben: Es soll der Völkerverständigung dienen und dem Weltfrieden. Das ist natürlich immer ein Prozess. Messbar in der Zukunft, ob nämlich in Zukunft die Völker friedfertig miteinander leben, ohne im Fall von Konflikten gleich zur Waffe zu greifen.

Was hat sich seit dem 11.9. an der auswärtigen Kulturpolitik verändert?

Limbach: Ich denke, dass wir viel aufmerksamer geworden sind für Bereiche, bei denen beide Seiten auseinander zu driften scheinen. Wir sind viel aufmerksamer geworden für den Bereich der Religion und der Weltanschauung. Oder, wenn wir es mit Blick auf die westlichen Staaten betrachten, was Säkularisation bedeutet, ob nicht doch die Neutralität des Staates in Bezug auf die Kirche und die Religion eine notwendige Voraussetzung ist, um in multikulturellen Gemeinschaften und Nachbarschaften friedlich zusammen zu leben.

Wie spiegelt sich das im Programm des Goethe-Instituts im Ausland wieder?

Limbach: Der Institutsleiter in Kairo hat beispielsweise den Dialog dadurch eingeleitet, dass er eine Veranstaltung zu den Schwierigkeiten der multikulturellen Gesellschaft in Deutschland gemacht hat. Er hat Ausländerbeauftragte aus Nordrhein-Westfalen und andere Spezialisten eingeladen, um deutlich zu machen, dass wir auch unsere Schwierigkeiten haben mit Menschen, die anders glauben oder sich anders kleiden. Und dass das vielfach zu Konflikten in der Schule führt, die mitunter durch die Gerichte hindurch bis zum Bundesverfassungsgerichts ausgetragen werden.

Die Frage des Schächtens beispielsweise, oder ob eine Muslimin, die Wert legt auf bestimmte Kleidervorschriften, die ihren Körper nicht deutlich zeigen, am koedukativen Turnunterricht teilnehmen muss. All das sind Fragen, die uns intensiv beschäftigen. Und immer wieder wird darüber diskutiert, wie weit die Religionsfreiheit geht, wo muss man tolerant sein und wo sind die Grenzen der Religionsfreiheit.

Heißt das, dass das Goethe-Institut auch innerdeutsche Diskussionen nach außen trägt?

Limbach: Das Problem gibt es ja vergleichbar über die Staatengrenzen hinaus, denn die Welt ist, das sagen wir so plump, heute ein Dorf. Der Kontakt zu Staaten, in denen muslimische Mehrheiten leben, bringt mit sich, dass man durchaus Vergleiche ziehen kann.

Sie hätten gerade damals, unmittelbar nach dem 11.9., in Ägypten schwerlich eine Veranstaltung unter dem Motto "Islamischer Dialog" machen können oder "Religion: Okzident und Orient", weil das als Versuch der Missionierung, der Bevormundung missverstanden worden wäre. Wenn wir aber schildern, dass wir die Probleme, die wir in der Welt haben, auch im Kleinen, im Innern, lösen müssen, ist das ein besserer Ansatzpunkt.

Um eine Veranstaltung zu nehmen, an der ich kürzlich selbst teilgenommen habe: Ich habe mit dem hiesigen Menschenrechtsbeauftragten und mit dem Minister für Religiöse Angelegenheiten über Toleranz und gemeinsame Werte gesprochen, und wir haben die Unterschiede herausgearbeitet. In Ägypten wird der Begriff der Toleranz aus der Religion hergeleitet. In Deutschland und in anderen westlichen Staaten wird der Begriff der Toleranz aus der Verfassung hergeleitet. Und entsprechend wird er auch in seinen Grenzen bestimmt.

Für uns in Deutschland ist klar, dass es Grenzen der Toleranz gibt, in der Würde des Menschen, in der Selbstentfaltungsfreiheit der Persönlichkeit, aber auch in der körperlichen Integrität. Und dass Genitalverstümmelung und andere Dinge, die dazu führen, dass das weibliche Geschlecht bevormundet wird, sich mit unserer Verfassung, mit den Grundwerten unserer Verfassung nicht vertragen.

Andererseits haben meine aus Ägypten stammenden Gesprächspartner, die gegenüber der westlichen Welt sehr aufgeschlossen sind, deutlich gemacht, dass sie viel vom Religiösen, von der Gemeinschaft her denken.

In unseren Regionen ist es so, dass die Freiheitsrechte auch von wehrfähigen Individuen bestimmt werden. Man geht vor Gericht, wenn man meint, dass man durch die Polizei oder irgendeine Behörde in seinen Rechten beschränkt wird, und klagt möglicherweise bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht - und ändert so auch das Rechtsverständnis für die gesamte Bevölkerung.

Während hier in Ägypten und in der arabischen Welt viel mehr von der Gemeinschaft her diskutiert und soziale Kontrolle ausgeübt wird. Die Familien und die größere Gemeinschaft definieren, was tolerierbar ist und wo die Grenzen ihres Verständnisses für das Fremde sind. Das sind unterschiedliche Herangehensweisen. Und es wird Sie nicht wundern, dass ich nach wie vor die westliche Herangehensweisen, die auf Säkularisation, auf die Neutralität des Staates baut, für die bessere halte.

Die deutsche auswärtige Kulturpolitik hat nach dem Zweiten Weltkrieg verschiedene Phasen durchlaufen. Welche Veränderungen hat sie nach 2001 erfahren?

Limbach: Ein wesentlicher Einschnitt war in der Tat der 11.9., als man die auswärtige Kulturpolitik plötzlich nicht nur von Regierungsseite als ein Mittel der Prävention des Terrorismus gesehen hat. Man sagte, wenn wir in dieser Auseinandersetzung der kulturellen Unterschiede einen militärischen Zusammenprall vermeiden wollen, müssen wir über religiöse Grenzen hinweg zu einem Dialog finden. Und heute ist es das Schlagwort des interkulturellen Dialogs, der uns immer wieder Gegensätze erspüren, Gemeinsamkeiten diskutieren lässt.

Führen wir Dialog weil wir Angst vor dem Anderen haben?

Limbach: Wir sehen uns nicht als kulturelle Einsatzkräfte der Regierung, sondern meinen, dass unabhängig von solchen Gewaltdrohungen dieser Diskussionsprozess stattfinden muss. Das Goethe-Institut nimmt sich die Freiheit heraus, auch in dieser Zeit zu sehen, dass kulturelle Vielfalt Reichtum bedeutet, dass sie Intelligenz fördert, dass sie Kreativität freisetzt. Und wir verfahren nach wie vor nach dem alten Goethe-Wort "Vergleiche dich, erkenne was du bist".

Und ich diskutiere auch deshalb, weil ich mich nicht nur meiner Anschauung selbst vergewissere, wenn ich mit Muslimen über Religion, Weltanschauung und das Verhältnis von Kirche und Staat diskutiere, sondern weil ich immer mit der Bereitschaft an diesen Dialog herangehe, zu erfahren, ob es nicht doch in der anderen Auffassung Vorzüge des Denkens gibt, die dem Zusammenhalt international oder national dienlich sein könnten.

Aber der Dialog wird mit ungleichen Partnern geführt. Die arabischen Länder betreiben so gut wie keine auswärtige Kulturpolitik in Deutschland.

Limbach: Ich habe ein Gespräch mit Redakteuren der ägyptischen Literaturzeitschrift Akhbar Al-Adab geführt, die mich fragten: "Und was tun Sie dafür, dass Bücher aus der arabischen Welt ins Deutsche übersetzt werden?" Da habe ich ihnen deutlich gemacht, dass sie daran auch aktiv mitarbeiten müssen. Nicht nur materiell, sondern auch spirituell. Sie können besser beurteilen als wir, welche Werke der zeitgenössischen Literatur wegen der Neuartigkeit auch des literarischen Schreibens oder wegen der gesellschaftlichen Probleme, die dort diskutiert werden, für uns lesenswert sind.

Wir vom Goethe-Institut sind sehr offen in der Herausforderung der Anderen. Es ist ja nicht so, dass dies arme Dritte-Welt-Länder wären, auch wenn die technologische Entwicklung hier und da hinterherhinkt, wie auch die wissenschaftliche. Aber im Grunde genommen sind dies Regionen mit einem unwahrscheinlichen Reichtum, auch der natürlichen Ressourcen. Es muss einfach ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass sie selbst eine Verantwortung dafür tragen, ihre Kultur zu bewahren, zu fördern und sie Anderen nahe zu bringen.

Wir gehen von vornherein im Goethe-Institut davon aus, und das ist bei den anderen Kulturmittlern nicht anders, dass Kulturaustausch nur als Wechselbezug etwas taugt. Ich muss neugierig sein auf die Kultur des Partnerlandes, aber es muss auch umgekehrt so sein. Ich muss bereit sein, in einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch einzutreten, aber es muss von der anderen Seite auch erwidert werden. Das ist ja auch ein Prozess kultureller Selbstbehauptung.

Interview: Mona Naggar

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