Vom Flüchtling zum Arbeitnehmer - eine Mammutaufgabe
Alexandra Frommer koordiniert bei Siemens die Integration von Flüchtlingen. 66 Praktikanten sind es, die zurzeit an vier verschiedenen Standorten des Konzerns an Berufsvorbereitungs-Klassen teilnehmen. Dabei deckt sich Ihre Erfahrung bei der Suche nach Teilnehmern mit der anderer Unternehmen: Man habe schon ziemliche Probleme gehabt, geeignete Kandidaten zu finden, räumt die Personalexpertin ein. Mittel bis unterdurchschnittlich - das sei das vorherrschende Bildungsniveau unter den neuen Zuwanderern, die zurzeit in Deutschland auf der Suche nach einem Job sind. Dazu komme die zeitraubende Kommunikation mit Behörden, die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern.
Trotzdem lässt sich Alexandra Frommer nicht entmutigen, sie will die Integration von Flüchtlingen bei Siemens weiter vorantreiben, trotz aller Schwierigkeiten, Menschen aus wenig entwickelten Ländern in die Arbeitswelt eines Hightech-Konzern wie Siemens mit mehr als 100 Jahren Unternehmensgeschichte zu integrieren. Ein halbes Jahr lang dauert die Berufsvorbereitung bei Siemens. Die sich bewährt haben und sich für eine Lehre etwa als Mechaniker oder Elektroniker eignen, werden dann für eine Ausbildung bei Siemens eingestellt, sagt sie.
"Aber es gibt auch Flüchtlinge, die sich auf dem ganz normalen Bewerbungsweg bei uns für eine Ausbildung beworben haben. Die haben unser Online-Assessment durchgeführt, ein Bewerbungsgespräch geführt und die haben wir auch schon eingestellt."
Ein erster Anfang
Erheblich mehr Jobs für weniger qualifizierte Arbeitsnehmer gibt es dagegen bei der Deutschen Post, die ebenfalls seit einigen Monaten erste Erfahrungen bei der Qualifizierung von Flüchtlingen sammelt. "Heranführungsaktivitäten" nennt Christof Erhart von der Deutschen Post DHL die 100 Praktika und 50 Qualifizierungsmaßnahmen für Flüchtlinge, die sechs Wochen bis drei Monate lang sind.
Dass das globale Unternehmen mit Sitz in Bonn Mitarbeiter aus aller Welt hat, sieht Christof Erhart dabei als großen Vorteil: Der Konzern habe seit Jahren Erfahrungen gesammelt, wie man Mitarbeiter - etwa aus Afrika und Asien - in das Unternehmen integriert. Neben der finanziellen und logistischen Unterstützung von Mitarbeitern, die Initiativen gestartet haben, bietet die Deutsche Post neben Praktika - "wenn die Voraussetzungen stimmen" - , auch Jobs an.
Bis 2015 will der Konzern im Paket-Bereich 20.000 Mitarbeiter einstellen, so Erhart. Eine Prognose, wie viele davon Flüchtlinge sein werden, sei aber unmöglich, auch die Frage, ob sich diese Zahl eher im drei- oder im vierstelligen Bereich bewegen wird. "Selbst das ist schwierig einzuschätzen, weil die Herausforderung ist, zu welchem Zeitpunkt der Flüchtling, den ich integrieren will, die Voraussetzung erfüllt, die ich brauche. Bei uns ist das zumindest die Fähigkeit, die Sprache einigermaßen zu beherrschen. Am besten hat er dazu noch einen Führerschein und das Grundverständnis deutscher Arbeitskultur."
Kulturelle Integration im Mittelpunkt
Die Praktikanten beginnen meist im Innendienst, erklärt Erhart. "Dann gehen sie in die Zustellung, was am meisten Spaß macht, weil man da unmittelbar und direkt helfen kann: Schwere Dinge tragen, die Tür aufhalten, Dinge bewegen. Die Kollegen, die sie begleiten, haben eine Art Mentorenrolle für sie. Die machen sie mit den Gepflogenheiten des Betriebs und der Arbeitsweise bei uns im Land vertraut."
Am wichtigsten ist für Erhart neben dem Spracherwerb die kulturelle Integration in den Betrieb. Die Flüchtlinge müssten in der deutschen Arbeitswelt ankommen, verstehen, wie man im Team arbeitet, welchen Stellenwert Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Kundenorientierung in einem deutschen Unternehmen einnehmen.
Ausblick bis 2025
Insgesamt werde die Integration in den Arbeitsmarkt aber seine Zeit dauern, meint Aladin El-Mafaalani von der Fachhochschule Münster. "Wir müssen unfassbar froh sein, wenn in zehn Jahren 50 Prozent für sich selbst sorgen können." Natürlich gebe es Länder, die eine bessere Quote haben, räumt der Politikwissenschaftler mit syrischen Wurzeln ein, der sich vor allem mit den Themen Migration und Aufstieg durch Bildung beschäftigt. Aber das seien Länder, die sich ihre Zuwanderer aussuchen, erklärt El-Mafaalani und "wir haben sie uns nicht ausgesucht.
"Über kurz oder lang führe kein Weg an einem Zuwanderungsgesetz vorbei - davon ist nicht nur der Experte aus Münster überzeugt. Wenn Deutschland wirklich seinen Facharbeitskräftemangel in den Griff bekommen will, muss die Zuwanderung gezielt gesteuert werden.
Und da sei es nicht sinnvoll, humanitäre Gesichtspunkte mit volkswirtschaftlichen Interessen zu vermischen, warnt Meinhard Miegel, einer der führenden deutschen Experten für Demografie und Zuwanderung. Der Eindruck einiger Politiker und Wirtschaftsvertreter, Deutschland könne seinen demografischen Probleme durch Zuwanderung lösen, sei zu kurz gedacht. "Wir haben schon seit fast einem halben Jahrhundert nur etwa zwei Drittel der Geburten, die zur Erhaltung des Bestandes der Bevölkerung erforderlich wären. Erforderlich wäre rund eine Million, geboren werden aber nur 600.000 bis 650.000 Kinder." Es fehlten also etwa 350.000 bis 400.000 Kinder in jedem Jahrgang, rechnet Miegel vor.
"Das bedeutet, dass wir in enormen Zahlen Zuwanderer bei uns willkommen heißen müssten, um diese demografische Frage auch nur zu kaschieren. Denn eine Lösung würde bedeuten, dass diese Zuwanderer an die Stelle von nicht geborenen Kindern treten müssten. Das heißt: Sie müssten sehr jung sein, sie müssten qualifizierbar sein, sie müssten motiviert sein, um sich zu integrieren. Das sind alles Voraussetzungen, die bis jetzt nicht geschaffen worden sind." Trotzdem werde immer wieder vor allem von der Politik behauptet, die deutsche Gesellschaft könne durch Flüchtlinge ihre demografischen Probleme lösen, kritisiert Miegel.
Plädoyer für ein Zuwanderungsgesetz
Die Rechnung, die der Demografie-Experte präsentiert, wirkt logisch, dürfte aber für die Mehrheit der Bevölkerung ein Schock sein: "Die Billionen, die wir in den vergangenen 50 Jahren durch die fehlenden Geburten "gespart" haben, die müssen wir jetzt in die Integration der Zuwanderer investieren."
Schon seit fast 20 Jahren plädiert Miegel für klare rechtliche Rahmenbedingen: "Nur wenn wir ein Zuwanderungsgesetz haben, haben wir das Heft noch in der Hand. Dann können wir sagen: Wir brauchen so viel, die sollen diese Art von Qualifikation haben, sie sollen diese Voraussetzungen erfüllen. Das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben, ist die schlechteste aller Lösungen. Dass die Menschen in großer Zahl gekommen sind, irgendwie integriert, manche weniger integriert, manche gar nicht integriert - das kann man so nicht fortsetzen. Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz."
Die Rolle der großen Konzerne solle bei der Integration aber nicht überbewertet werden, warnt Miegel, denn die kleinen und mittelständischen Unternehmen würden die Hauptlast der Integration schultern müssen. "Der Handwerksbetrieb, der zwei Gesellen und einen Lehrling hat und jetzt noch einen einstellt, der wird der Integrator sein. Da wird es wahrscheinlich am besten gelingen, weil da der Zuwander mit diesen drei, vier, fünf Menschen, mit denen er zusammenwirkt, den engsten Kontakt hat und so sehr rasch in die Bevölkerung, in die Kultur dieses Landes eingeführt wird."
Aladin El- Mafaalani glaubt, dass sich trotz aller Schwierigkeiten und Anlaufproblemen in den vergangenen Monaten die Rahmenbedingungen für die Integration der Flüchtlinge in Deutschland seit den 1970er Jahren erheblich verbessert haben. Der Politikwissenschaftler blickt deshalb vorsichtig optimistisch in die Zukunft: "Wenn es ein Land in Europa gibt, das dieser Herausforderung gewachsen ist, dann ist das Deutschland."
Thomas Kohlmann
© Deutsche Welle 2016