Orientalische Klänge als Herausforderung
Nachdem Edward Said und Daniel Barenboim bereits 1999 das arabisch-israelische Jugendorchester ins Leben gerufen hatten, führt der libanesische Stargeiger Claude Chalhoub die Tradition fort. Christina Foerch berichtet aus Beirut.
Internationale Verständigung jenseits der Staatsgrenzen durch Musik – kein ganz neues Konzept, aber eines, das zu funktionieren scheint. Bereits im Jahre 1999 hatten der Leiter der Staatsoper in Berlin Daniel Barenboim und der Intellektuelle und Pianist Edward Said in Weimar ein arabisch-israelisches Jugendorchester ins Leben gerufen.
Gespielt wurde klassische Musik, mit einer jungen, jedoch hoch qualifizierten Besetzung, unter Leitung des Stardirigenten Barenboim. Der libanesische Violinist Claude Chalhoub, damals gerade einmal 20 Jahre alt, war mit von der Partie – und zwar gleich als Konzertmeister. Barenboim hatte sofort das außergewöhnliche Talent des jungen Violinisten erkannt, dem beim Vorspiel noch etwas die Knie gezittert hatten.
Jetzt nimmt Chalhoub wieder an einem multi-kulturellen Musikprojekt teil, das den Titel "Orient Meets Occident" trägt. Es fand in den letzten Dezemberwochen in Beirut statt. Diesmal war das Vorspiel kinderleicht und das Niveau nicht ganz so hoch, meinte er in einem Interview während der Probe. Er zählt zu den besten Musikern hier und lehrt am libanesischen Konservatorium. Er kann auf eine exzellente, europäisch geprägte Ausbildung zurückgreifen, bringt internationale Konzerterfahrung mit, und kann es sich leisten, bei den Proben nicht immer anwesend zu sein. Er ist eben der Star hier, obwohl er sich diesmal nur als einfacher Streicher verpflichtet hat.
Europa als Dialog-Financier
Dennoch mag er dieses neue Projekt, an dem 90 junge Musiker aus über 10 Ländern teilnehmen, darunter Deutschland, Polen, Bulgarien, Libanon, Syrien, Irak, Jordanien und Palästina. Für 10 Tage waren die Preisträger von Jugendmusikwettbewerben und die besten Musikstudenten aus den arabischen Hauptstädten in einem maronitischen Kongresszentrum im nördlichen Libanon zusammengekommen, um zu proben, sich musikalisch und persönlich kennenzulernen, und um Konzerte in Amman, Damaskus und Beirut zu geben.
Außerdem nahmen sie an zwei Vorträgen teil, die sich mit dem Thema Religion und Gewalt beschäftigten. Organisiert wurde alles von der deutschen Stiftung Podium Junger Musiker, und das Auswärtige Amt sowie die Europäische Kommission hatten dafür gesorgt, dass das Projekt nicht an Geldmangel scheitert.
Große Herausforderungen für Künstler
Der grundlegende Unterschied zu Barenboims West-Östlichem Diwan-Orchester und dem jetzigen Projekt war, unter anderem, dass die Musiker nicht nur westliche Musik spielten. "Wer sagt denn, dass es nur europäische klassische Musik gibt", sagte Chalhoub. "Es gibt auch orientalische Klassik." Die zu spielen sei nicht minder schwierig als Paganini. "Es ist eben ein kulturelles Ding", meinte der libanesische Violinist. "Du musst in die richtige Stimmung kommen – und Improvisationen in orientalischer Klassik sind technisch vielleicht nicht so anspruchsvoll, aber dennoch sehr schwierig. Nicht jeder kann so was spielen."
Bei "Orient Meets Occident" sollten die Musiker genau das erreichen – musikalisch zu kommunizieren, sich in den anderen kulturellen Hintergrund hineinzufühlen. Die arabischen Musiker hatten die Gelegenheit, sich die besondere Musikalität und Technik der europäischen Musiker abzugucken, und die europäischen Jugendlichen hatten die einzigartige Möglichkeit, sich an arabischer Klassik zu probieren – und zwar auf dem Niveau, das ein Weihnachtskonzert eben verlangt.
Katharina Fröhlich zeigte die Partitur eines orientalischen Stücks: "Solche Halbtöne gibt es bei uns nur bei moderner Klassik. Das war nicht vollkommen neu für mich", erklärte sie. Doch arabische Klassik habe sie noch nie zuvor gespielt. "Ich habe das bisher nur im Radio gehört, und auch da nur selten." Sie hatte eine Weile gebraucht, um sich in diese andersartige Musik hereinzuversetzen. "Aber dann hat es funktioniert, mit Hilfe meiner arabischen Kollegen."
Der musikalische Dialog hat Tradition
Dieser musikalische Dialog war von den Organisatoren ganz beabsichtigt. Bereits im Sommer 2002 hatten sich arabische und deutsche Musiker in Deutschland getroffen, um zusammen zu musizieren. Schon damals wurde das Treffen erfolgreich mit der Produktion einer CD abgeschlossen – die Tracks bestanden auch da aus europäischer und arabischer Musik.
Der künstlerische Leiter, Thomas Rietschel, der bereits beim ersten Treffen dabei gewesen war, hatte das Konzertprogramm auch wieder auf eine west-östliche Mischung ausgerichtet. Im ersten Teil sollten Stücke von Vivaldi, Bach und Händel sowie orientalische Klassik gespielt werden. Den zweiten Teil bestimmte die libanesische Solistin Fadia el Hage und der libanesische Chor Notre Dame Louaize mit alten syrisch-christlichen Liedern – natürlich mit Orchesterbegleitung.
Sorgfältige Auswahl der Tutoren
Der musikalische Dialog schlug sich nicht nur in der Gestaltung des Konzertprogramms, sondern auch bei der Auswahl der Tutoren nieder. Von Deutschland aus waren unter anderem der Konzertmeister Geoffrey Wharton (USA) vom Gürzenich Orchester Köln angereist und Georg Katsouris vom Radiosymphonieorchester Frankfurt. Rafea Essam und Rahhal Moslim kamen vom Konservatorium in Damaskus, um den europäischen Musikern während der Proben orientalischer Stücke mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Der Vorsitzende der Stiftung, Dr. Willy Rellecke, war mit dem Projektverlauf zufrieden. "Vor der ersten Probe waren sie noch alle in ihre nationalen Grüppchen aufgespalten", stellte er fest. Doch das änderte sich schlagartig nach dem ersten musikalischen Aufeinandertreffen. "Nach der ersten Probe waren sie nicht mehr zu stoppen. Alle vermischten sich, und auf den Gängen und in den Zimmern war bis nach Mitternacht Gelächter zu hören."
Nachhaltiger musikalischer Dialog
Rellecke ist von dieser Art von Projekten überzeugt. "Wissenschaftler reden so viel über Dialog auf ihren Konferenzen, dabei lernen sie sich gar nicht richtig kennen", meinte er. "Die Idee dieses Projekts ist es, einen wahren, anhaltenden Dialog zu schaffen."
"Auch hier haben wir viel über Dialog geredet", erklärte Fröhlich. Aber soviel Gerede sei gar nicht notwendig. "Wir praktizieren Dialog", meinte sie schlicht. Der jordanische Violonist Laith Abushaar, der während der Proben neben Fröhlich saß, stimmte der Deutschen zu. "Es ist eine einmalige Möglichkeit, Musiker aus anderen Ländern kennenzulernen" – und vielleicht sogar Freundschaften zu schließen.
Und manchmal haben die jungen Musiker es sogar geschafft, der strengen Aufsicht der Tutoren und Organisatoren zu entwischen, weg vom isoliert gelegenen Kongresszentrum. Chalhoub hatte am dritten Abend heimlich einen Bus organisiert. Er wollte seinen neuen Freunden aus Europa und Arabien endlich seine Heimatstadt Beirut zeigen und sie in die neuesten Clubs führen – damit sich der Dialog der Kulturen über einem Glas Bier und bei Technomusik fortsetzen konnte. Da wollten die Organisatoren freilich nicht widersprechen.
Christina Förch, © Qantara.de 2003