Kabalen und Kriege
Mit insgesamt 2.500 Seiten im Original ist Abdalrachman Munifs fünfbändiger Romanzyklus "Die Salzstädte" ein wuchtiger Eckstein der arabischen Romanliteratur und eine subversive Chronik Saudi-Arabiens. Angela Schader stellt den Romanzyklus dar.
In den 1980er Jahren entstanden, baut Abdalrachman Munifs fünfbändiger Romanzyklus "Die Salzstädte" nicht auf das Sachwissen, welches sich der 1933 als Sohn eines saudischen Händlers und einer Irakerin geborene Autor zuvor durch seine langjährige Tätigkeit in der arabischen Ölindustrie angeeignet hatte.
Als politischer Aktivist machte Munif zudem früh Bekanntschaft mit den Repressionsmechanismen arabischer Regime; davon zeugt unter anderem sein Gefängnisroman "Östlich des Mittelmeers".
Ölfelder statt Dattelpalmen
Dass "Die Salzstädte" in mehreren arabischen Ländern und insbesondere in Saudi-Arabien auf den Index kamen, hatte guten Grund: Die Pentalogie entfaltet ein so breites wie satirisch-kritisches Geschichtspanorama um den aufsteigenden Ölstaat Moran, dessen Hauptakteure sich unschwer als Mitglieder der saudischen Herrscherfamilie ausmachen lassen.
Der Diedrichs-Verlag hat sich verdienstvollerweise dieses Werks angenommen und das Übersetzerinnen-Team Larissa Bender und Magda Barakat mit der Erstellung der deutschen Fassung betraut; mit "Das Spiel von Licht und Schatten", dem nun erschienenen dritten Band, soll das Projekt abgeschlossen sein.
Das Buch greift chronologisch hinter den ersten und den zweiten Teil des Romanzyklus zurück, und bei der Lektüre wird spürbar, dass es sich um eine Epoche handelt, die Munif nicht aus eigener Anschauung kannte.
Die zwei vorausgehenden Bände - auf Deutsch unter den Titeln "Die Salzstädte" und "Zeit der Saat" erschienen - decken die Zeit von 1933 bis 1964 ab; in ihnen findet der Schriftsteller immer wieder frappierende Bilder für die schiere Gewaltsamkeit des Fortschritts, der mit der Entdeckung des Erdöls über ein an kargste Lebensverhältnisse gewöhntes Wüstenvolk hereinbrach.
Die Misere der Entwurzelten, die anstelle ihrer Palmenhaine qualmende, kahle Ölfelder sich ausbreiten sahen, die Demütigung der Pferde- und Kamelzüchter, deren edle, mit Dichterworten besungene Tiere von motorisierten Vehikeln verdrängt wurden, die leere Prunksucht, die sich in grausigem west-östlichem Stilgemisch niederschlug - das hat wohl keiner mit schärferer Feder und heiligerem Zorn beschrieben als Munif.
Diese Visualität vermisst man ein wenig im "Spiel von Licht und Schatten", auch wenn der Roman nach der etwas trockenen Introduktion schnell Fahrt aufnimmt. Angesiedelt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, schildert er die Expansion des fiktiven Wüstenstaates Moran, wobei sich - so zwielichtig und wetterwendisch, wie es der Titel andeutet - die Ambitionen lokaler Emire und Beduinenscheichs mit den Interessen des Britischen Reiches verschränken.
Die sinnliche Beschreibung weitgehend aussparend, ist der Text ganz auf die Charaktere, auf Gedanken und Gespräche fokussiert. Irritierend, aber auch raffiniert arbeitet Munif mit den ständigen Unschärfen der Wahrnehmung und Interpretation, die sich sowohl im engeren Rahmen eines intriganten Fürstenhofs wie auch im weiteren einer durch keinerlei öffentliche Informationskanäle gespeisten Gesellschaft ergeben; und ebenso im arabisch-britischen Austausch, wo keine Seite ihre Karten ganz aufdecken will und kulturelle Differenzen für zusätzliche Missverständnisse sorgen.
Historischer Spiegelsaal
Im Zentrum des Geschehens stehen der Sultan Churaibit und sein Sohn Fanar - modelliert nach dem saudischen Staatsgründer Abd al-Aziz ibn Saud und Faisal ibn Abd al-Aziz.
In dem Briten Hamilton, der ihnen in den Verhandlungen mit England als loyaler Mittelsmann zur Seite steht, mag man zunächst ein fiktionalisiertes Porträt T. E. Lawrences vermuten, der als "Lawrence von Arabien" in die Geschichte eingegangen ist; doch verbirgt sich hinter der Figur der weniger bekannte Harry St. John Philby.
Lawrence wie Philby waren eigenwillige, fürs Beamtentum ungeeignete Männer und teilten die Faszination für die arabische und beduinische Kultur.
Beide wurden durch die westliche Interessenpolitik in Gewissenskonflikte gegenüber ihren arabischen Freunden gestürzt, doch standen sie dort auf gegnerischen Seiten: Lawrence unterstützte Scherif Hussein, den Emir von Mekka, der 1924 durch Abd al-Aziz ibn Saud besiegt und von den heiligen Stätten des Islam vertrieben wurde.
Hiesigen Lesern wäre ein Vor- oder Nachwort, das über diese historischen Hintergründe Aufschluss gibt, wohl willkommen gewesen, denn die Lektüre versetzt sie weitgehend in eine Terra incognita. Rar sind die Momente, wo die Handlung plötzlich an ihren realen historischen Ort, ins frühe 20. Jahrhundert, gezoomt wird - etwa wenn sich Churaibit ins Automobil setzt.
Die Eroberungszüge des Sultans dagegen und die prekären Bündniskonstellationen der lokalen Stammesfürsten haben ungleich mehr mit beduinischer Tradition denn mit moderner Politik und Kriegsführung zu tun; und die Intrigen bei Hofe, wo Diener, Zofen und Eunuchen im Namen der eifersüchtelnden Sultansgattinnen einen skurrilen, öfters auch grausamen Kleinkrieg führen, versetzen einen schon fast in die Welt von Tausendundeiner Nacht zurück.
Ein Schein von Harmonie
In dieser Vorhölle des Neides und der Habgier fällt unter Churaibits zahlreichen Söhnen der schweigsame Fanar auf. "Er hört mit den Augen, mit dem Herzen und mit seinen Ohren" - und scheint deshalb mit einem Sensorium für den gewaltigen Umbruch begabt, den die Zukunft seinem Land bringen wird: "Die Welt erschien ihm wie eine riesige Ansammlung von im Verborgenen aneinander schlagenden Felsen, von denen einer die anderen unvermeidlich zermalmen würde."
Churaibit wie Hamilton haben den besonnenen jungen Mann als Kronprinzen im Auge; er ist es, der Hamilton auf seinen diplomatischen Missionen nach London begleitet, wo er von Miss Margot, der betagten Tante seines Gastgebers, auch in der englischen Sprache unterrichtet wird.
Hier skizziert Munif eine idealistische Alternative zum von reinen Machtinteressen diktierten Verhältnis zwischen Churaibit und seinen britischen Protektoren.
Auch wenn die Mentor-Schüler-Situation ein gewisses Gefälle vorzugeben scheint, verbietet es einerseits Fanars ausgeprägter Charakter, anderseits Hamiltons innere Zerrissenheit - die ihn am Ende seinen Wohnsitz in Moran und den islamischen Glauben wählen lässt -, in diesen Beziehungen lediglich eine positive Variante kolonialer Machtstrukturen zu sehen.
In Hamilton hat Munif einen grüblerischen Wanderer zwischen den Welten geschaffen, der hüben wie drüben nicht dazugehört und gerade deshalb auch kritische Distanz wahren kann; in Fanar die Kontur eines über den Palast-Kabalen und Stammesfehden stehenden Fürsten; in Miss Margot eine Weise, die den jungen Prinzen lehrt, dass in einer wirklichen Harmonie der Kulturen nicht nur das Verbindende, sondern auch das Trennende zu achten ist.
Wer die beiden anderen Bände der "Salzstädte" kennt, kommt freilich über diesen Passagen nicht ins Träumen: Die "im Verborgenen aneinander schlagenden Felsen" werden Moran und seine Bewohner zermahlen - gründlich und gnadenlos.
Angela Schader
© Neue Zürcher Zeitung 2009
Abdalrachman Munif: Das Spiel von Licht und Schatten. Aus dem Arabischen von Larissa Bender und Magda Barakat. Diedrichs-Verlag, München 2009. 448 S.
Qantara.de
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