Künstlerinnen wagen Experimente
Die junge Generation iranischer Künstlerinnen ist angetreten, ihre Projekte weitgehend umzusetzen und ihre Freiräume auszuweiten – sie selbst sind betont individuell und unpolitisch. Und das in einem Land, indem sich ein politisches Bewusstsein deutlich manifestiert.
Zivilcourage zeigen und soziokulturelle Freiräume erobern – das ist das Selbstverständnis der iranischen Regisseurin Solmaz Shabazi. Für ihren Dokumentarfilm “Teheran 1380” erhielt sie den Duisburger Filmpreis. Ohne inhaltliche Erklärungen bekam sie damals in Teheran die Dreherlaubnis. Und so auch für ihren neusten Film, der von jungen Frauen handeln wird, die von zuhause weglaufen und in der Prostitution landen. Das Thema ist bereits ein offensichtliches Problem und in den Zeitungen präsent. Zuständige Organisationen kümmern sich um die jungen Frauen und bringen sie in Heime. Kein ganz einfaches Filmprojekt, meint Solmaz Shabazi:
“Es ist so: Du kannst nie sagen ob es falsch ist oder richtig - ob du festgenommen wirst oder nicht. Du kannst auch nichts tun und in das schlimmste Loch kommen. Du kannst alles tun und es passiert Dir nichts. Insofern mach ich mein Ding und ich habe keine Angst. Wenn man auf mich aufmerksam wird, mache ich mir gar keine Sorgen, weil ich nicht sage, was nicht stimmt, und weil ich nichts Oppositionelles oder frech Doppeldeutiges sage, sondern ich spreche von einer Sache die existiert.”
Kulturschaffende risikobereiter als je zuvor
Die Konfliktlinien zwischen iranischen Künstlern und dem konservativ-religiösen Klerus verlaufen nicht so eindeutig, wie in Berichten über iranische Künstler oft dargestellt wird. Die Liberalisierung der letzten fünf Jahre ist deutlich spürbar, und Kulturschaffende zeigen sich risikobereiter als je zuvor. So sind inzwischen zahlreiche Galerien entstanden, Künstler präsentieren ihre Ausstellungen – mehr und mehr frei von Schikanen religiöser Tugendwächter. Dabei spielt für sie weniger politische Provokation eine Rolle, als vielmehr die Sensibilisierung des Publikums für ihre individuellen, künstlerischen Werke.
Bita Fayyasi ist Bildhauerin und Mitglied einer Künstlergruppe, die mit ihrer Kunstaktion “On the road” das Experiment wagte, Kunst auf die Strasse zu bringen. Nach einer vierwöchigen Arbeitsphase entstand die Idee, jeweils zwölf Skulpturen auf zwei Lieferwagen durch den Verkehr Teherans rollen zu lassen. Zuvor wurden zweihundert E-Mails verschickt, wo und wann die Wagen in der Stadt anhalten und Events stattfinden sollen. Eine Erlaubnis gab es erst einen Tag vor der geplanten Wanderausstellung, der “Travelling exhibition”, erzählt die Initiatorin Bita Fayyasi:
“Wir entschieden uns, den Direktor des Teheraner Museums für zeitgenössische Kunst, Dr. Samjasa, zu informieren. Von ihm kam dann die Idee, uns einen offiziellen Brief mitzugeben, wer wir sind und was wir machen – für den Fall, dass wir in eine Polizeikontrolle geraten. Während der ganzen Aktion fuhr ein Polizeiwagen nur einige Minuten hinter uns und drehte dann ab. Es passierte somit gar nichts.”
Zum ersten Mal seit der Revolution Kunst auf der Strasse
Die Aktion war eine außergewöhnliche Erfahrung für die Künstlergruppe. Denn sie stieß auf begeisterte Resonanz beim Publikum. “Einfach jeder war interessiert, und es kamen herrliche Kommentare. Uns war wichtig, die Öffentlichkeit der Strasse mit etwas ganz anderem zu konfrontieren, als sie normalerweise zu sehen gewohnt sind, wie beispielsweise in Geschäften, nämlich Künstler, die aus ihren Studios kommen und ihnen ihre Kunst präsentieren“, sagt Fayyasi.
Eine öffentliche Kunstpräsentation auf der Strasse gab es seit der Revolution nicht mehr. So war es jetzt das erste Mal, dass dies gewagt wurde. Das künftige Projekt wird mit den Straßenkindern arbeiten, die überall an den Ampelkreuzungen Kaugummi oder Gedicht von Hafiz verkaufen. Gemeinsam wird man künstlerisch produktiv werden.
Junge Künstler setzen Trends
Die Begeisterung für Film und Kunst nimmt zu – genau wie das Interesse an der Unterhaltungsindustrie via Satellit und Internet. Wenig verwunderlich, in einem Land, wo nahezu 60 % der Bevölkerung unter 30 Jahre alt ist. Neue Trends werden besonders von jungen, unpolitischen Künstlern gesetzt, die in der Islamischen Republik aufgewachsen sind.
Künstlerische Darbietungen wie die Aktion “On the Road” bedürfen eines freien Kunstverständnisses – ein noch steiniger Weg im Iran. Aber auch eine Herausforderung. Um dahin zu kommen wird noch viel lebendiger Austausch, Kreativität und Kraft erforderlich sein. Und Fayyasi möchte mit weiteren Kunstaktionen ihrer Gruppe Leute, die bisher keinen Zugang zur Kunst hatten, darauf vorbereiten:
“Die Menschen hier müssen lernen, und wir müssen sie dabei trainieren. Deshalb gehen wir mit unserer Kunst auch auf die Straße. Wie überall auf der Welt muss die Sichtweise der Leute erst geübt und vorbereitet werden. Natürlich wurden solche Sachen hier noch nicht gezeigt, und die Allgemeinheit hat Schwierigkeiten, sie zu interpretieren. Aber wenn so etwas immer mehr gemacht wird und eine Kontinuität aufweist, werden sie immer mehr davon für sich mitnehmen.”
Die Arbeitsbedingungen bleiben für die Künstlerinnen in der Islamischen Republik weiterhin widersprüchlich. Jedoch hat sich ein reger Austausch verschiedener Kunstgruppen innerhalb des Landes und darüber hinaus entwickelt. Internationale Kontakte knüpfen die Künstlerinnen auf eigene Faust. So wird Bita Fayyasi Ende des Jahres in Südafrika einen dreimonatigen Kinderworkshop leiten. Alles in Allem eine Entwicklung, die hin zur Umsetzung der eigenen Ideen und Experimente geht und es einer traditionell-religiösen Vereinnahmung schwer machen dürfte.
Simin Falsafi
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