Islam als Alternative?

Die Zahl der zum Islam übergetretenen Deutschen nimmt zu, nach dem 11. September 2001 deutlich mehr als je zuvor. Über die Ursachen dieses Trends.

الكاتبة ، الكاتب: Rizki Nugraha

​​Im Jahr 2005 hat sich die Zahl der deutschen Konvertiten im Vergleich zu vorherigen Jahren vervierfacht. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ist besorgt über die wachsende Zahl von Bürgern, die zum Islam konvertieren. Dies habe "durchaus etwas Bedrohliches", betonte er erst kürzlich in einer deutschen Tageszeitung.

Gewiss sei nicht jeder Konvertit ein potenzieller Terrorist, so Schäuble. Aber es wachse "bei uns das Phänomen des 'home-grown terrorism' – eines Terrorismus, der gewissermaßen auf unserem eigenen Mist gewachsen ist." Kritik an den Aussagen Schäubles kam vom Islamrat der Bundesrepublik sowie vom Zentralrat der Muslime.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, will die Äußerungen Schäubles sogar zum Thema in der deutschen Islamkonferenz machen.

Doch wie kommt es eigentlich dazu, dass immer mehr deutsche Christen zum Islam konvertieren? Ein Beispiel ist Rüdiger Deutsch, der sich nun Arif Abdurrachman ("Diener des Barmherzigen") nennt und im September vergangenen Jahres zum Islam übergetreten ist.

Vom Drang, Gutes zu tun

Der 67jährige war ein wohl situierter Kleinunternehmer. In seiner Firma wurden Spielautomaten hergestellt. Weder er noch ein anderes Mitglied seiner Familie war getauft, oder christlich erzogen. Immer wieder verspürte er den Drang, Gutes zu tun. Er steckte sein Geld immer wieder in wohltätige Projekte, wie z.B. in die Gründung eines Waldorf-Kindergartens oder in zwei Naturkostläden.

Doch damit konnte er letztlich nicht klar kommen: "Einerseits diese Idylle, andererseits die Spielautomaten – so ging das nicht", erzählt Deutsch. "Ich habe gespürt, dass dies nicht mein Weg ist. Ich konnte das nicht mehr. Ich habe das nicht mehr hingekriegt, in zwei verschiedenen Welten zu leben."

Rüdiger Deutsch arbeitete trotzdem weiter in seiner Firma und in wohltätigen Projekten. Er versuchte seine persönliche Krise zu überwinden, schaffte es jedoch nicht. Die Folge: sein Unternehmen ging Konkurs und seine Frau trennte sich von ihm. Er verfiel in Depressionen und musste ärztlich behandelt werden. Schließlich zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Auf der Suche nach einer neuen Identität kam er mit dem Islam in Berührung. Er beschäftigte sich intensiv mit dieser Religion, las viel darüber und fand schließlich muslimische Freunde. Mit ihnen besuchte er auch die Moschee. In der islamischen Gemeinde fühlte er sich geborgen. Schließlich konvertierte er im September 2006 zum Islam.

Die Tatsache, dass Rüdiger Deutsch und viele andere Deutsche in einer Zeit, in der viel von Terrorangst und Ehrenmorden die Rede ist, zum Islam übertreten, überrascht viele Menschen. Laut einer Untersuchung, die vom Innenministerium finanziert und vom Zentralinstitut für das Islam-Archiv durchgeführt wurde, sind allein im vergangenen Jahr rund 4.000 Deutsche zum Islam konvertiert.

"Soldidarisierungsreflexe"

Salim Abdullah, Leiter des Instituts, sieht darin einen "Solidarisierungsreflex", der eigentlich nicht neu ist: "Seit 1972 ist das zu beobachten – nämlich immer dann, wenn zum Beispiel Pressekampagnen gegen den Islam über einen langen Zeitraum geführt werden. Dann steigt die Zahl derjenigen an, die aus Solidarität zum Islam konvertieren", so Abdullah.

Eine andere Meinung hierzu vertritt die Religionssoziologin, Monica Wohlrab-Sahr. Sie bezweifelt den Eindruck, dass der "Solidarisierungsreflex" viele Deutsche zum Glaubenswechsel geführt habe. Vielmehr sieht Wohlrab-Sahr zum Beispiel in der Heirat in eine muslimische Familie oder in der Begegnung mit orientalischen Kulturen die Hauptmotive.

Wohlrab-Sahr vermutet ferner bei einem geringeren Teil der Konvertiten auch religiöse oder theologische Gründe oder Hintergründe, die eher biographisch motiviert sind. "Es handelt sich dabei um Personen, die sich in einem biographischen Umbruchprozess oder in einer Krise befinden oder auf der Suche nach einer neuen inneren Stabilität sind", meint die Religionssoziologin.

Spirituelle Suche zum Islam

Es war kein plötzlicher innerer Umbruch, der Dorothee Sabriyah Palm zum Glaubenswechsel geführt hat. Denn die 46jährige befasste sich schon lange Jahre zuvor mit dem Islam. Sie hat als Islamwissenschaftlerin den Islam über Jahre studiert, Arabisch gelernt und mehrfach den Orient bereist.

Für Sabriyah Palm ist der Islam vor allem ein Mittel, sich Gott näher zu fühlen. "Das fünfmalige Gebet täglich bringt mich wieder in Verbindung mit meinem eigentlichen Ursprung", berichtet Palm. "Das wirkt sich heilsam aus. Ich kann mich aus dem Alltag für kurze Zeit zur Ruhe setzen. Und das stabilisiert mich und das gibt Kraft."

Der Übertritt zum Islam ist bei Dorothee Palm das Ende einer langjährigen spirituellen Suche. Diese führte sie anfangs in verschiedene katholische Klöster und christliche Sekten. Doch sie fand dort nicht das, was sie wirklich suchte. Sie sagt: "Ich war spirituell ausgehungert und statt eines fetten Bratens hat man mir eine Wassersuppe angeboten!" Jetzt ist sie sich jedenfalls sicher, nach langer Suche ihre wahre Religion gefunden zu haben.

Aslan Khassan, Rizki Nugraha

© DEUTSCHE WELLE 2007

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