GTZ fördert Sanierung und Entwicklung
Seit langem arbeitet die GTZ an dem Projekt "Sanierung und Entwicklung der Altstadt von Aleppo". Sie will die Stadt nicht nur erhalten, sondern ihr auch eine Zukunft geben. Youssef Hijazi sprach mit Meinolf Spiekermann, dem deutschen GTZ-Projektleiter in Aleppo.
1986 ist die Altstadt von Aleppo von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. Über die Jahre ist der alte Stadtkern jedoch vernachlässigt worden. Herr Spiekermann, in welchem Zustand war die Altstadt zu Beginn dieses Projektes?
Meinolf Spiekermann: Die Wohnhäuser von Aleppo sind traditionelle Innenhofhäuser. Sie wurden für eine bestimmte Art zu leben gebaut: in Großfamilien, in Familien mit mehreren Generationen. Sie waren Spiegel der arabischen Lebenskultur.
In den dreißiger Jahren änderte sich dieses Lebensbild allmählich - es wurde modern. Kleine Familien lebten immer häufiger in kleineren Wohnungen. So haben diese Innenhofhäuser mit der Zeit an Attraktivität verloren. Zunächst zogen die reicheren Bevölkerungsgruppen aus, in der Folge verlor das Eigentum an Wert.
Übrig geblieben sind dann die ärmeren Bevölkerungsschichten, und aus der ländlichen Umgebung zogen zusätzlich mittellose Familien ein.
Die vorwiegend ärmeren Leute konnten die Mittel nicht aufbringen, um ihre Häuser instand zu halten. Damit waren sie von Wohnungsverlust und Wohnungsnot bedroht. Die Bausubstanz ist vom potentiellen Verfall bedroht; das ist der eine Aspekt.
Der andere ist, dass die Stadtverwaltung im Rahmen einer falsch verstandenen Modernisierung auf lange Zeit - bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein - die Altstadt völlig vernachlässigt hat. Die Infrastruktur wurde nicht mehr gepflegt, die Wasser- und Abwasserleitungen wurden marode, Wasser drang in die Fundamente der Häuser ein. Diese bekamen substanzielle Schäden und drohten zu verfallen.
Die Altstadt galt als rückständig, und es gehörte zum guten Ton, sie zu verlassen. Das führte zu einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Welche Rolle hat dabei die Stadtplanung gespielt?
Spiekermann: Die Stadtplanung hat bis in die siebziger Jahre hinein den Abriss ganzer Stadtteile gefördert, um anschließend zu modernisieren. Modernisierung hieß hier: alte Bausubstanz weg – neue Bausubstanz hinein. Unter neuer Bausubstanz verstand man, große Straßen mitten durch die Altbauviertel zu schlagen und mehrgeschossige Neubauten zu errichten.
Gott sei Dank wurde 1979 dieser Masterplan gestoppt. Man hat erkannt, dass man weit mehr zerstört als nur die Häuser - nämlich die gesamte Identität, das Gesicht dieser Stadt. Zunächst wurden nur konservatorische Maßnahmen ergriffen.
Hat diese Konservierung die Altstadt retten können?
Spiekermann: Nein. Konservierung allein hätte nicht gereicht, um diese Stadt zu retten. Eine Stadt ist ein System, das mit einer Außenwelt interagiert. Wir finden dort alle möglichen Prozesse: wirtschaftliche, soziale, oder z.B. kulturelle. Wenn man nun Städte bestehen lassen würde, wie sie sind, dann würden diese über kurz oder lang erdrosselt.
Auch eine historische Stadt muss sich weiter entwickeln. Das ist auch die Grundidee in dem Antrag an die UNESCO, die eine Altstadt zum Weltkulturerbe ernennt. So kam es 1993 zu dem deutsch-syrischen Vorhaben.
Was waren die ersten Schritte?
Spiekermann: Das Projekt fing mit der physischen Notwendigkeit der Sanierung an, gleichzeitig haben wir eine Bausatzung entwickelt und Fassaden restauriert. Zunächst um zu zeigen, was möglich ist, und um gleichzeitig aus diesen Erfahrungen zu lernen.
Bis jetzt haben wir ca. 70% der Wasserversorgung und -entsorgung erneuert. Das ist relativ viel angesichts der ca. 300 km an Wegen und Gassen.
Heute haben die meisten Menschen wieder regelmäßigen Zugang zu Trinkwasser. Die Schäden, die durch Sickerwasser entstanden sind, wurden fast alle eliminiert. Den Eigentümern oder Mietern von Häusern wurde mit kleinen Krediten geholfen, damit sie die Häuser instand setzen konnten.
Das Projekt heißt "Sanierung und Entwicklung". Dabei geht es nicht nur um die Bausubstanz, sondern auch um menschliche Ressourcen, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Belange. Können Sie heute sagen, dass Sie auch in diesen Bereichen Erfolge erzielen konnten?
Spiekermann: Die Grundidee ist, dass dieses historische Erbe nur dann gerettet werden kann, wenn nicht nur konserviert, sondern auch so saniert wird, dass die Lebensbedingungen den heutigen Bedürfnissen angepasst werden.
Wir versuchen, die soziale Infrastruktur aufzuwerten. Wir haben aus den Quartieren erfahren, dass die Frauen vorwiegend nach Kindergärten und Gesundheitsstationen verlangen. Das haben wir an mehreren Beispielen zusammen mit dem Gesundheits- und Schulamt initiiert.
So etwas können wir nicht flächendeckend anbieten, aber wir können Anstöße geben und wir sind jetzt dabei, mit den zuständigen Behörden einen langfristigen Plan zu entwickeln, so dass solche Lösungen dann flächendeckend in der ganzen Stadt eingerichtet werden.
Für die Imagepflege machen wir Kulturarbeit. Jahrzehnte lang war das ganze ja negativ besetzt, und dies muss nun geändert werden. An der Zahl der Restaurants und Hotels, von denen es in der Altstadt mittlerweile sehr viele gibt, sieht man einen Nachweis für die Verbesserung des Wirtschaftsstandortes.
An der Gesamtstruktur für Unternehmen muss noch gearbeitet werden. Wir versuchen, sowohl eine aktive Ansiedlungspolitik, als auch die Unterstützung von dort ansässigen Unternehmen zu fördern.
Sie haben mit der Bevölkerung direkt gearbeitet. Das ist nicht gerade die gewöhnliche Vorgehensweise in Syrien. Die Menschen sind eher misstrauisch gegenüber Behörden. Wie war Ihre Erfahrung bezüglich der Zusammenarbeit?
Spiekermann: Zu Beginn war es schwierig. Beide Seiten haben gelernt. Anfangs gab es auch einen sehr großen Widerstand gegen dieses Vorhaben. Es gab Stimmen, die den Hintergrund nicht verstanden und sagten, die Deutschen kämen hierher und wollten Bordelle errichten. Aber im Laufe der Zusammenarbeit entstand unter der Bevölkerung ein großer Vertrauensvorschuss für dieses Projekt.
Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie nicht nur in Einzelfällen, sondern ständig gehört wurden. Das betraf die kleinräumige Planung, sei es die Gestaltung öffentlichen Raumes, Verkehrsberuhigungen oder auch Infrastrukturplanungen. Die Entwürfe wurden mit den Bewohnern und den Geschäftsleuten diskutiert, und es wurde auf ihre Bedürfnisse eingegangen.
Wie erklären Sie sich dieses Vertrauen?
Spiekermann: Ich denke, dieser Vertrauensgewinn kommt maßgeblich dadurch zu Stande, dass das Projekt einen sehr langen Atem hatte. Es war keine Eintagsfliege.
Eine Tatsache war, dass über zehn Jahre hinweg systematisch die Infrastruktur erneuert wurde. Man sieht Ergebnisse. Es ist schwierig, Prozesse in Gang zu setzten. Ab einer gewissen Dynamik verstärken sie sich selbst. Wir sind jetzt genau in einer solchen Phase.
Gibt es einen Wandel in der Bevölkerungsstruktur in Folge der Wertverbesserung in der Altstadt?
Spiekermann: Es gibt noch kein reges Kaufen und Verkaufen. Der Trend nimmt zu, aber die absoluten Zahlen sind noch gering. Das liegt in erster Linie am arabischen Erbrecht.
Es gibt keine juristisch wirksame Teilung des vererbten Eigentums. Hat ein Vater zehn Söhne und ein Grundstück, welches er vererbt, so wird dieses in zehn Teile zerschnitten; vielleicht haben die Söhne auch wiederum Söhne, usw. ... Das erschwert den Handel enorm.
Das ist aber ein gesamt-arabisches Problem, das dieses Projekt nicht lösen kann. Es ist eine staatliche Aufgabe. Unser Beitrag ist es, eine detaillierte Analyse des Problems zu erstellen und Lösungsvorschläge zu machen.
Wann wird das Projekt abgeschlossen sein?
Spiekermann: Die deutsche Unterstützung wird 2007 enden. Das Projekt der Sanierung und Entwicklung geht natürlich weiter. Man rechnet mit 30 bis 40 Jahren, bis ein Zyklus der Erneuerung der gesamten Substanz durchgeführt ist.
Diese Altstadt, dieses historische Zentrum mit seinem baulichen und soziokulturellen Gefüge hat nur eine Zukunft, wenn es auch Vorraussetzungen erhält, sich weiter zu entwickeln. Es geht nicht um Konservierung und nicht um die Errichtung eines orientalischen Disney Lands, sondern um Entwicklung und eine fortwährende Belebung der Stadt.
Macht das Projekt in Aleppo Schule? Wie sieht es in anderen Städten Syriens aus?
Spiekermann: Das Projekt hat sicherlich ein Stück Katalysatorwirkung in Syrien. Die syrische Regierung hat allen Städten empfohlen, mit diesem integrativen Projektansatz zu arbeiten.
Es reicht aber nicht, Empfehlungen zu geben. Die Attraktivität des Projektes wird verstanden, aber es umzusetzen, ist nicht so einfach. Das muss man lernen und üben. Aleppo hatte einen Zeitraum von zehn Jahren dieses, nicht nur theoretisch, sondern am konkreten Beispiel zu lernen.
Zurzeit werden diese Erfahrungen auf die gesamte Stadt übertragen. Wir werden im Frühjahr nächsten Jahres ein Symposium veranstalten, um die Replizierbarkeit dieses integrierten Ansatzes für andere Städte aufzuzeigen.
Wir werden Bürgermeister der großen syrischen Städte, Vertreter der zuständigen staatlichen Behörden und Ministerien, die Gebergemeinschaften - soweit sie in Syrien vertreten sind -, die EU, die japanische Entwicklungszusammenarbeit, die UNDP, die Aga-Khan-Foundation und andere an einen Tisch bringen, um mit ihnen zu diskutieren, wie man diesen Ansatz von Aleppo wiederholen kann.
Interview: Youssef Hijazi
© Qantara.de 2004
Website des GTZ Projektes in englischer Sprache