Ninjas im Tschador, Hip-Hop auf Persisch

"Transit Tehran" ist eine vielseitige Anthologie in Wort und Bild, die beweist: Iran hat mehr als nur eine andere Seite. Angela Schader stellt das Buch vor.

​​ Dass Iran nicht nur seines Atomprogramms und seines zu Peinlichkeiten neigenden Staatsoberhauptes wegen Aufmerksamkeit verdient, ist für Kulturinteressierte fast schon eine Plattitüde.

Profilierte Filmschaffende, eine literarische Moderne, die das faszinierende Vexierspiel von Sadegh Hedayats "Die blinde Eule" ebenso umgreift wie Mahmoud Doulatabadis ländliches Epos "Kelidar", eine konfliktgeladene Gesellschaft, die hüben noch dem schiitischen Märtyrerkult anhängt, drüben aber eine der weltweit lebendigsten Bloggerszenen hervorbrachte, Fotografen und bildende Künstler, die längst ihren Platz auf der internationalen Szene erobert haben:

Sie alle prägen das Gesicht dieser faszinierenden Nation, und wer sich einen ersten Überblick verschaffen will, dem ist nun mit "Transit Teheran" eine vielseitige Anthologie aus Bildmaterial und Texten an die Hand gegeben.

Provozierende Kontraste

Die lose strukturierte Textfolge setzt mit einem Abriss der Geschichte Teherans ein. Im Folgenden markieren die Frauen deutlich Präsenz, wobei sich die "girl power" von Schönheiten mit Zigarette und zuhinterst auf dem Scheitel balancierendem Kopftuch über fassadenkletternde, mit Tschador und Dienstpistole bewehrte Polizistinnen bis zu weiblichen Fußballfans erstreckt, die hartnäckig um ihr Recht auf Eintritt ins Stadion kämpfen.

Junge Iranerin in Teheran; Foto: AP
Urbane Lebenskultur und provozierende Kontraste: Junge Iranerin in Teheran

​​ Zwischendurch erfährt man etwas über die persische Hip-Hop-Szene, ein Aufsatz und eine eindrückliche Bildstrecke sind dem ebenso sehr politisch wie religiös motivierten Märtyrerkult gewidmet.

Im zweiten Teil des Buches wechseln urbanistische mit gesellschaftlichen Themen, wobei die Weite des Spektrums durch provozierende Kontraste noch herausgestrichen wird: So folgt direkt auf den Bericht über eine Islamschule für Frauen eine Serie mit Fotografien von Prostituierten, die noch vor der Islamischen Revolution aufgenommen wurde.

Eine ähnliche Strategie lässt sich im Themenblock zur bildenden Kunst ausmachen, wo auf die schwülstige und den menschlichen Proportionen nicht immer ganz gewachsene Kunst des volkstümlichen Porträtisten Khosrow Hassanzadeh ein pikantes Werk des Exilkünstlers Nicky Nodjoumy folgt.

Die sicherste Feder führt freilich der schon zu Zeiten des Schahs aktive, seit 1976 ebenfalls im Exil lebende Karikaturist Ardeshir Mohassess, dessen Schaffen keine Geringere als die international anerkannte Künstlerin Shirin Neshat als "ein Geschenk des Himmels" preist.

Respekt für die "andere Seite"

Karikatur von Ardeshir Mohassess; Foto: &copy slowpainting.wordpress.com
Die sicherste Feder führt der seit 1976 im Exil lebende Karikaturist Ardeshir Mohassess, dessen Schaffen Shirin Neshat als "ein Geschenk des Himmels"</wbr> preist, schreibt Angela Schader.

​​ Die Herausgeber der Anthologie stehen zweifellos auf der progressiv-kritischen Seite; umso höher ist es ihnen anzurechnen, dass sie auch der Welt des Glaubens achtsam begegnen, indem sie etwa einen Fotografen Einblicke ins Privatleben eines Religionsgelehrten vermitteln lassen.

Wenn man den Meister - in äußerst menschlicher und keineswegs fotogener Pose - im Kreis seiner Schüler ruhen sieht, umgeben von den gesammelten, zärtlich lächelnden Gesichtern der jungen Männer, dann offenbart sich eine im Westen weitgehend unbekannte Dimension der pauschal in Verruf geratenen iranischen Religiosität.

Während unter den Bildbeiträgen fast nur die für solch statische Präsentation ungeeigneten Bildsequenzen aus einem Kinofilm qualitativ abfallen, erreichen die Reportagen und die literarischen Texte nicht dasselbe durchweg hohe Niveau.

Der Essay über das Stadtviertel Naziabad etwa ist eine dürre Aufzählung von Institutionen und Namen, bei der auch Interessierten die Leselust vergeht; zu dem einen Bild von Nodjoumy (alle anderen Künstler sind mit mehreren Arbeiten vertreten) wurde ein eher belangloses Aufsätzchen gestellt, und von den vier Erzählungen beeindruckt am ehesten Alireza Mahmoodi-Iranmehrs makabre, aus der Perspektive eines Leichnams erzählte Etüde aus dem Golfkrieg.

Für eine erste imaginäre Reise nach Teheran aber taugt dieser farbenprächtige fliegende Teppich in Buchgestalt allemal.

Angela Schader

© Neue Zürcher Zeitung 2009

Malu Halasa / Maziar Bahari (Hg.): Transit Teheran - Pop, Kunst, Politik, Religion. Junges Leben im Iran. Salis-Verlag, Zürich 2008

Qantara.de

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