China, der Westen und die Russen tragen Mitschuld am Elend

Ob durch aktive oder passive Beteiligung: Die internationale Gemeinschaft trägt Mitverantwortung am syrischen Bürgerkrieg.

Von Salam Kawakibi

Es ist seit jeher konfliktbeladen, das Verhältnis der syrischen Machthaber zu den urbanen Zentren des Landes. Die massive Bombardierung der großen Städte – jüngst von Aleppo – machen dies auf brutale Weise deutlich. Aleppos historische Stadtviertel, sie zählen zum Weltkulturerbe, sind bevorzugte Ziele für die Angriffe des Regimes.

Schon immer kam die Verdorbenheit des Systems, einer der Gründe für den Ausbruch der syrischen Revolution, auch in der Verachtung für das gemeinsame kulturelle Erbe zum Ausdruck. Die Zerstörung eines der ältesten Basare der Welt ist nur ein besonders extremer Auswuchs davon. Der Kampf um Aleppo steht für die allgemeine Lage in Syrien. Und er zeugt von dem begrenzten Handlungsspielraum des Regimes ebenso wie der Opposition.

Syrien steht vor einer immensen Herausforderung: ein Krieg gegen Zivilisten, der sich allmählich zu einem offenen Bürgerkrieg wandelt. Das Assad-Regime hat alle Voraussetzungen hierfür geschaffen – mit aktiver oder passiver Beteiligung der internationalen Gemeinschaft. Und niemand weiß, wie es in Syrien jetzt weitergeht.

Stachel im Gewissen

Dennoch: Engagierte Intellektuelle, sensibilisierte Technokraten und Aktivisten können Zeichen der Hoffnung in einer finsteren Zeit setzen. Das beweisen Projekte wie "The Day After", die Szenarien für die Zeit nach Assad und Ideen für die Transitionsphase entwickeln. In der Zeit des Übergangs wird es vor allem auf eine funktionierende Justiz ankommen. Sogenannte Wahrheitskommissionen können dazu beitragen, geschehenes Unrecht aufzuarbeiten, den Geschädigten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – und revanchistischen Tendenzen Einhalt zu gebieten.

Zerstörtes Assad-Porträtbild in Aleppo; Foto: dapd
Assads politisches Ende ist zwar nur noch eine Frage der Zeit. "Jedoch wird Syrien mit den Folgen einer verheerenden Wirtschaftskrise zu kämpfen haben – mit unabsehbaren gesellschaftlichen Folgen", warnt Salam Kawakibi; Foto: dapd

​​Die katastrophale humanitäre Situation in Syrien sollte ein Stachel im Gewissen der internationalen Gemeinschaft sein. Erklärungen und gute Absichten machen die Hungernden nicht satt und gewähren den Flüchtlingen keinen Schutz. Die verhängnisvollen Auswirkungen dieser Lage sind nicht nur in Syrien, sondern auch in den Nachbarländern zu spüren.

Und was passiert nach dem Konflikt? Syrien wird mit den Folgen einer verheerenden Wirtschaftskrise zu kämpfen haben – mit unabsehbaren gesellschaftlichen Folgen. Abhilfe schaffen kann ein Marshall-Plan, der in erster Linie von den Auslandssyrern und internationalen Gebern gespeist werden sollte.

Der Übergang zur Demokratie ist ein langwieriger Prozess. Fünf Jahrzehnte ohne politische Praxis hinter sich zu lassen und eine Kultur der Angst durch bürgerschaftliches Engagement zu ersetzen, funktioniert nicht über Nacht. Entscheidend wird nicht sein, ob, sondern wie die Syrer die Diktatur überwinden. Davon werden die Entwicklungen der kommenden Jahre maßgeblich abhängen.

Eine Chance zur Wiedergutmachung

Vor uns liegen Unmengen von Aufgaben. Um das zerstörte soziale Gefüge wiederaufzubauen, muss die neu entstehende Zivilgesellschaft unterstützt werden. Die über Jahrzehnte kontrollierte und korruptionsgeplagte Wirtschaft gilt es von Grund auf neu zu strukturieren. Dazu bedarf es nicht nur einer funktionierenden Übergangsjustiz, sondern Reformen in den unterschiedlichsten Bereichen.

Und: Bei diesem Prozess sind vor allem die wohlhabenden Länder gefragt. Der Wiederaufbau des verwüsteten Syriens wäre wohl ihre Chance, Wiedergutmachung zu leisten für die Gleichgültigkeit, die sie angesichts des Blutvergießens in Syrien an den Tag gelegt haben.

Über die Beteiligung von Staaten am Wiederaufbau Syriens lässt sich viel spekulieren. Wirkliche Perspektiven ergeben sich daraus nicht. Vielversprechender dagegen ist das Engagement der internationalen Zivilgesellschaft. Noch schweigt sie allzu oft. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sie erwachen und sich an künftigen Entwicklungen beteiligen wird.

Vom ersten Tag an haben die Syrer eines richtig erkannt: man hat sie aufgegeben und sie ihrem Schicksal überlassen. Diese Feststellung wird ihnen helfen, künftige Hindernisse zu überwinden. Denn sie sind in der Lage, selbst für ihre Freiheit einzustehen und den Zusammenhalt der Gesellschaft wiederherzustellen. Ist das einmal erreicht, dann scheint fast alles möglich.

Salam Kawakibi

© ZEIT ONLINE 2012

Salam Kawakibi ist stellvertretender Direktor der "Arab Reform Initiative" und Honorarprofessor an der Universität Paris. Aus einer bekannten Aleppiner Familie stammend, engagiert er sich für die syrische Opposition. Salam Kawakibis Beitrag ist Teil einer Reihe über die neuen Akteure in den Transformationsstaaten der arabischen Welt, die ZEIT ONLINE in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung veröffentlicht.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de