Zweifel zulassen
Der Islam hat seine eigene aufklärerische Tradition vergessen und vergraben. Allerdings kann dem Islam, der in Europa eine Heimat sucht, Raum für Zweifel und Fragen gegeben werden - einen Raum, um die Fähigkeit zu Reflexion zurückzugewinnen, die er einmal hatte. Von Matthias Drobinski
Raimundus Lullus war eine multikulturelle Existenz. Geboren wurde er 1232 auf dem damals überwiegend von Arabern bewohnten Mallorca, er machte Karriere am christlichen Königshof der Insel, bekehrte sich zum christlichen Mönchstum - geprägt blieb er trotzdem von der islamischen Sufi-Mystik.
Sein erstes Buch schrieb er auf Arabisch, es hieß "Vom Heiden und den drei Weisen" und sollte ganz rational die Vorzüge des Christentums darstellen; durch das ganze Werk aber zieht sich die Hochachtung vor dem Koran - weil dort Gottes Wort einfach nicht nur geglaubt, sondern eingesehen werden soll.
Raimundus Lullus, der Universalgelehrte, wird das mit Seufzen geschrieben haben: Seine Kirche brandmarkte ihn zwischenzeitlich als Ketzer. Es ist ein Seufzer, der sich durch die Geschichte der Denker des christlichen Abendlandes zieht, von Abelard über Descartes bis Lessing: Im Islam sahen sie jene Selbstbegrenzung des Religiösen durch Vernunft und Aufklärung verwirklicht, die sie im Christentum schmerzlich vermissten.
Islamische Theologie an deutschen Universitäten
Der deutsche Wissenschaftsrat hat die vergangenen zwei Jahre diskutiert, ob es sinnvoll ist, Theologie, welcher Glaubensrichtung auch immer, an staatlichen Universitäten zu erforschen und zu lehren. Er hat die Frage nun zu Recht und zum Glück mit Ja beantwortet.
Er hat im Gegenteil vorgeschlagen, auch die islamische Theologie an den deutschen Universitäten zu verankern, mit eigenen Instituten und dem gleichen wissenschaftlichen Anspruch wie die christliche Theologie, wenn auch unter stärkerer Kontrolle des Staates.
Dahinter steht die Erkenntnis, dass eine demokratische und plurale Gesellschaft auch davon lebt, dass Religion und Aufklärung, Frömmigkeit und Reflexion zusammengehören, in einer Spannung, die den Frommen so verunsichern soll wie den Agnostiker oder Atheisten.
Die aufgeklärte Theologie untersucht mit den Methoden der Geschichtswissenschaft das Leben Jesu oder Mohammeds, rückt der Bibel oder dem Koran mit dem Handwerkszeug der Textkritik zu Leibe, sie redet damit auch von den Grenzen der Religion.
Sie tut das nicht mit dem distanzierten Blick der Religionswissenschaft, sie tut es um der Religion selber willen, weil eine Religion, die keine Grenzen und Zweifel mehr kennt, erstarrt oder zu eiferndem Fundamentalismus wird.
Sie tut das auch, damit eine Religion glaubwürdig von den Grenzen und Widersprüchen der aufgeklärten Gesellschaft reden kann - wenn es um Krieg und Frieden geht, um Bioethik, den Anfang und das Ende des Lebens, um die Tendenz, das Nächstliegende, Pragmatische, Verwertbare für das ethisch Gebotene zu halten.
Die eigene Tradition vergessen
Dem Islam fehlen in dramatischer Weise Gläubige und Gelehrte, die in dieser Form fromm und aufgeklärt zugleich sind. Sie fehlen nicht, weil der Islam prinzipiell bildungsfeindlich, reformunfähig und aggressiv ist, wie jene platte Islamkritik annimmt, die sich derzeit ausbreitet und die sich der Stereotypen des 19. Jahrhunderts bedient, wonach Muslime so exotisch wie erotisch wie denkunfähig sind.
Es gibt ja muslimische Gelehrte, die beschreiben, wie ein reflexionsbegabter und dialogfähiger Islam aussehen könnte, in der Türkei, in den USA, in Europa. Nur sind sie in der Minderheit, werden beschimpft und bedroht, müssen ihre Heimatländer verlassen, werden Märtyrer ihres Glaubens.
Die Alternative zum enggeführten Glauben liegt für viele Muslime nur darin, ein wütendes Nein zur Religion zu sagen, wie das in Deutschland zum Beispiel Necla Kelek oder Seyran Ates tun.
Der Islam hat seine eigene aufklärerische Tradition vergessen und vergraben. Er droht zu einer Religion des Buchstabengehorsams und der Regelbefolgung zu werden, in dem zunehmend islamistische Denker das Sagen haben.
Sie transportieren ein archaisches, voraufklärerisches Bild des Glaubens - und zugleich ein sehr modernes: Manche junge Frau, die heute in Deutschland zur strengstmöglichen Form des Islams konvertiert, tut das, weil ihr die klaren Strukturen gefallen, weil sie die enge, wärmende Gemeinschaft mag, weil sie sich in einer Gesellschaft nicht zurechtfindet, in der jeder sein Leben selber basteln muss; das Kopftuch, der Tschador fallen da nicht ins Gewicht.
Der Streit um einen aufgeklärten Islam ist also nicht einfach der Streit Vergangenheit gegen Moderne - es ist ein Streit um die Zukunft des Religiösen.
Kultur des Zweifels
Auch deshalb gehört die islamische - wie auch die christliche - Theologie an die Universität, den Ort der kritischen und selbstkritischen Reflexion. Das Vorhaben ist durchaus riskant:
Der Koordinierungsrat der Muslime (KRM), der über Professoren und Studieninhalte bestimmen soll, ist ein fragiles und in sich höchst uneiniges Gebilde, in dem die einen Vertreter genau die gleichen Mitspracherechte fordern wie die Kirchen und die anderen schon offen erklären, dass sie nach wie vor ihre Imame aus der Türkei zu holen gedenken.
Die Konflikte, die es geben wird, sind vorhersehbar, auch, weil es um viel Geld geht. Dass gleichzeitig der Druck auf die christlichen Fakultäten steigt, Professorenstellen abzubauen, gar Fakultäten ruhen zu lassen, macht die Sache nicht einfacher, weil bei vielen Christen der Eindruck entstehen wird: Wir schrumpfen, die wachsen.
Trotzdem sollten der Versuch gewagt, der Streit, ja sogar das Scheitern riskiert werden. Es geht um die Zukunft der Theologie insgesamt, um die Zukunft einer Religiosität, die den wachsenden Fundamentalismen entgegensteht. Sie sind ja kein rein muslimisches Problem.
Der Vorsprung der Christen ist, was die Modernisierung angeht, knapp: Erst im 20. Jahrhundert hat sich unter ihnen die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Bibel nur im historischen Kontext zu verstehen ist, erst im Zweiten Vatikanischen Konzil sagte die katholische Kirche ja zur Religionsfreiheit.
Und der Vorsprung droht zu schwinden: Gerade in Afrika und Lateinamerika wachsen jene christlichen Kirchen, die die Bibel für wortwörtlich wahr halten, für die klar ist, dass der Mann über der Frau steht, die aggressiv missionieren - und den westlichen Kirchen vorwerfen, den Glauben zu verraten. Jegliches Überlegenheitsgefühl der Christen ist unangebracht.
Religionen dienen nicht automatisch dem Frieden auf Erden. Sie tun es dann, wenn sie sich der Grenzen ihres Wahrheitsanspruchs bewusst sind, wenn sie den Zweifel zulassen. Die Europäer können Burkas, Kopftücher oder Minarette verbieten. Es sind Zeichen der Hilflosigkeit, nicht der Stärke. Sie können aber dem Islam, der in Europa eine Heimat sucht, Raum für Zweifel und Fragen geben. Einen Raum, um die Fähigkeit zu Reflexion und Selbstbeschränkung zurückzugewinnen, die er einmal hatte.
Das wird mühsam sein in einer Religion, deren meiste Vertreter sagen, man könne den Koran nicht historisch-kritisch interpretieren. Aber es ist die Mühe wert.
Mit Lullus nahm es übrigens ein tragisches Ende: Enttäuscht und verhärtet befürwortete er Kreuzzüge gegen Muslime - und wurde 1315 von einer aufgebrachten Menge in Algerien gesteinigt.
Matthias Drobinski
© Süddeutsche Zeitung 2010
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