Der Erneuerer
Mohsen Namjoo wurde in Torbat-e-Jam in der Region Khorasan geboren. Diese Gegend im Nordosten Irans, zu der auch Teile der heutigen Staaten Turkmenistan und Afghanistan gehörten, hat einen besonderen Platz in der iranischen Geschichte. Hier an den Rändern des islamischen Weltreichs trieb der persische Sufismus seine frühen Blüten aus. Später schrieb Ferdowsi, der Übervater der Nationaldichtung Irans, in Khorasan sein berühmtes Schahnameh. Viele andere Lyriker Khorasans beerbten ihn in den Folgejahrhunderten mit Versen und Melodien.
Jeder klassische Musiker im Iran weiß sich im Schatten dieser großen Meister. Sie waren es, die einst mystische Zeilen in reicher Bildsprache verfassten und die Dastgahs schufen. Diese ausgeklügelten Melodiesysteme bilden in der persischen Musik die Grundlage, auf welcher der Ostad (Meister) seinen Gesang improvisiert. Bis heute hat sich diese Tradition erhalten.
Mohsen Namjoo begann im Alter von zwölf Jahren mit dem Unterricht in klassisch persischer Musik. Später lernte er Setar, die persische Langhalslaute, und studierte an der Universität Teheran Theater und Musik. Zu seinen Lehrern zählten große Meister der persischen Gesangstradition.
Er beschäftigte sich mit den klassischen Dichtern, stellte aber auch Fragen an seine Kultur. "Ich fragte mich, warum die iranische Musik von den Intellektuellen oft als unzeitgemäß kritisiert wird", sagt Namjoo in einem Interview mit der iranischen Exilkünstlerin Shirin Neshat. Wenn etwa ein Gedicht von Hafiz gesungen werde, dann übernimmt der Sänger sowohl Text als auch Melodie in ihrer jahrhundertelang tradierten Form. "Die Frage die sich mir stellt ist: Wo geschieht dabei denn Kunst?", meint Namjoo.
Dieser Gedanke bewegte den jungen Musiker. Er wollte aus dem reichen Schatz seines Landes etwas Neues schaffen. Namjoos Interesse für die Musik des Westens wuchs während seines Militärdiensts. Er las die Geschichte von Blues und Rock, entwickelte Pläne für eigene Musikprojekte.
Durch die Mühlen der Zensurbehörde
Als er darauf einen Produzenten fand, dem seine visionären Ideen gefielen, entstanden erste Aufnahmen. Mit einem Gedicht des iranischen Neuzeitpoeten Ahmad Shamlu, der persischen Trommel tonbak und einer Gitarre erfand Namjoo eine Fusion von östlichen und westlichen Elementen. In diesem Stil produzierte er zwei Alben, stieß aber bald an die Grenzen, die Musikern im Iran gesetzt sind. Kein Album, das nicht durch die Mühlen der Zensurbehörde gewandert ist, schafft es auf den Markt. Doch das kann manchmal Monate, sogar Jahre dauern.
Die Beamten konnten seine Musik nicht verstehen, und so blieb eine Genehmigung aus. Als Namjoo langsam die Hoffnung verlor, sickerte seine Musik durch und geriet in den Umlauf. Wie häufig im Iran fand sie ihren Weg zu den jungen Menschen wie von selbst. Die CDs wurden kopiert und verbreitet. Ohne eine Marketingstrategie wurde der Sänger und Komponist im Land bekannt.
Im Jahr 2007 veröffentlichte Namjoo sein erstes offizielles Album. Es enthält vor allem Gedichte von Hafiz und Rumi. Seine detaillierte Kenntnis der persischen Dichtung erlaubt es Namjoo, die Verse auf die Gegenwart zu münzen und eigene Texte darin einfließen zu lassen. Die Gedichte erscheinen in einem neuen Licht, das seinen Schein direkt auf die Sorgen und Bedürfnisse der heutigen Generation wirft.
Bereits das erste Lied, das wie die CD den Namen Toranj trägt, verkörpert das Aufregende an Mohsen Namjoos Stil: Es beginnt mit einer typischen Melodielinie aus dem Fundus der Dastgahs. Doch im Hintergrund spielen Schlagzeug und Klavier, die dem üblicherweise melancholischen Gesang eine Blues-ähnliche Beschwingtheit verleihen. Dann löst sich das Lied ganz von der alten Form. Namjoo schreit die Verse von Hafiz fast in den Raum. Seine Stimme ist engagiert und ein bisschen rau. Ab und zu mischen sich wieder Elemente ein, die der Klassik entspringen. So pendelt das ganze Stück zwischen den Stilen und kreiert dadurch etwas noch nie Dagewesenes.
Aussöhnung mit der eigenen Tradition
Mit Toranj traf Namjoo genau den Nerv der vielen jungen Iraner innerhalb und außerhalb des Landes. Für viele junge Menschen, die sich unter der Islamischen Republik zunehmend von den Traditionen ihres Landes entfremdet hatten, war Namjoos Musik wie eine Aussöhnung. In ihren Herzen lebt zwar die alte Kultur weiter, doch der Antagonismus zu den erstarrten Ritualen und Parolen der Regierung ist in den letzten Jahren besonders erstarkt. Damit einher ging bei Jugendlichen auch ein Run auf alles Westliche, der unhinterfragt das eigene Erbe herausforderte.
Auch viele Skeptiker überzeugte Mohsen Namjoo mit seinem Ansatz, Klassisches und Modernes zu mixen – vorausschaubar aber auch die Stimmen, die seine Musik als Beleidigung für die große Musiktradition Irans ansehen.
Der Staat schien die Welle, die Namjoo auslöste, nicht erwartet zu haben. Im Erscheinungsjahr von Toranj lud ihn die Regierung ein, auf einer offiziellen Feier für Imam Ali zu spielen. "Dennoch war der Raum gefüllt von Künstlern und Musikern, anstatt von Regierungsbeamten" schrieb die New York Times 2007. Das amerikanische Blatt verpasste Namjoo das Label "Bob Dylan des Iran" und verhalf ihm damit auch im Ausland zu Bekanntheit.
Gewagt sind auch Namjoos Texte, die nicht selten einen kritischen Blick auf die Zustände im heutigen Iran werfen. Während seine erste Platte noch den Ansprüchen der Zensur genügen sollte, ist sein drittes Album Oy (2009) weitaus direkter. Sein erster Song Hamash, in dem Namjoo die Setar spielt, drückt die Verzweiflung der jungen Generation aus: "Mein Herz ist stets sorgenvoll, mein Körper ist gefangen genommen. Ich riss ihn mit einem Dolch auf, aber er wurde nicht geheilt. Ich quälte mich, doch es wurde nicht besser." Für Iraner sind Namjoos Anspielungen eindeutig: Der Dolch etwa kann für die Selbstgeißelung des schiitischen Passionsrituals am Aschura-Tag stehen.
Noch deutlicher wird Namjoo ein paar Zeilen weiter, wo er die Heuchelei der Eliten des Landes anspricht: "Wir schwören auf den Mullah mit seinem Handy und auf die Basidsch mit ihren Files. Wir schwören auf Imam Hosseins Heldentum und den Khomeini-Flughafen." Namjoos satirische Sprache ist typisch für einen großen Teil der Mittel- und Oberschicht, die für ihre religiösen Führer nicht mehr viel mehr als Spott übrig haben.
Im Jahr 2009 verurteilte ein iranisches Gericht Mohsen Namjoo zu fünf Jahren Gefängnis. Auslöser war sein Lied Shams, das an die koranische Sure Ash-Shams angelehnt ist. Er sei für eine "herablassende Rezitation koranischer Verse" angeklagt worden, berichtete das iranische Staatsmedium Press TV. Namjoos formelle Entschuldigung änderte nichts an der Entscheidung des Gerichts.
Jenseits von Schablonen
Bereits seit 2008 lebt Mohsen Namjoo in den Vereinigten Staaten. In dem Interview mit Shirin Neshat sagt er dazu: "(...) Den Iran zu verlassen, war für mich keine Frage der künstlerischen Freiheit. Viele Dinge im Iran störten uns, aber es war nicht ein Mangel an Freiheit der uns bedrängte. Es gab so viele von uns, so viel Energie und Aufregung, zu spielen, zu lachen, eine gute Zeit zu haben (...). Wenn sie ein Studio geschlossen hatten, haben wir einfach an einem anderen Ort aufgenommen, bist sie auch diesen schlossen. Die Beschränkungen selbst machten es aufregend."
Tourneen führten Mohsen Namjoo in den letzten Jahren durch Nordamerika und Europa. Allmählich erreicht er dabei auch Nicht-Iraner, die zwar nicht die verschiedenen Bedeutungsebenen seiner Musik verstehen können, aber doch ihre Emotionalität begreifen.
Trotzdem scheint das Exil Namjoos Stil nicht grundlegend umzukrempeln. Von seinem Album Alaki, das Ende 2011 erschien, hat Namjoo nur ein Stück in den USA komponiert.
Trotzdem, so meint er, würden manche Leute lamentieren, dass seine Musik seit dem Umzug ins Ausland nicht mehr dieselbe sei. Schließlich muss Namjoo allzu gut mit den Stempeln vertraut sein, die iranischen Künstlern in Amerika und Europa gerne aufgedrückt werden: Sie werden dann schablonenhaft zu "Protestsängern" und "Stimmen des Exils" erklärt. Doch den Kampf eines jeden Künstlers darum, jenseits aller Schablonen etwas Eigenständiges zu schaffen, hat Mohsen Namjoo schon gewonnen.
Marian Brehmer
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de