Zeit zum Umdenken

Irans Oppositionsbewegung muss aus den Monaten seit den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr ihre Lehren ziehen und eine neue, schlüssige Strategie entwerfen.

Kommentar von Nazenin Ansari

Um die Souveränität ihres Landes nach außen zu demonstrieren feierten zum ersten Mal seit 31 Jahren Iraner im In- und Ausland und quer durch das politische Spektrum den Jahrestag der Islamischen Revolution.

Auch wenn das Resultat der Islamischen Revolution dann doch ein anderes war, als sich das viele gewünscht hatten, so stellten sich ihre Erwartungen in einer Weise als gerechtfertigt heraus: Es wurde zum entscheidenden Ereignis nicht nur für die Islamische Republik und für die "grüne Bewegung", sondern auch für die internationale Gemeinschaft.

Die Art und Weise, mit welchen immensen Kosten und Aufwand das Regime die Kontrolle über seine Gegner durchsetzen musste, zeigt deutlich, dass sich die Teheraner Führung der Unterstützung aus der Bevölkerung nicht sicher sein kann.

Neuorientierung der "grünen Bewegung"

Doch auch der "grünen Bewegung" wurden die Grenzen ihrer Möglichkeiten aufgezeigt. Vor allem musste sie erkennen, wie verwundbar sie wurde, da sie sich zur Mobilisierung ihrer Anhänger letztlich nur auf einheimische Kommunikations-Netzwerke stützen konnte.

Die Bewegung hat mittlerweile eingesehen, dass es an der Zeit ist, ihre Anstrengungen neu auszurichten: es geht darum, klarere Positionen zu beziehen, realistische Ziele zu formulieren, ihre Taktik neu abzustimmen und schließlich auch nach neuen, nicht nur auf das Internet beschränkte Kommunikationswege zu suchen.

Im Vorfeld des 11. Februar setzten die Akteure der grünen Bewegung im Iran alles daran, Millionen ihrer Anhänger zu mobilisieren und auf der Straße zu demonstrieren. Einige kündigten gar an, das berüchtigte Evin-Gefängnis stürmen zu wollen, um dort einsitzende politische Gefangene zu befreien und den staatlichen Rundfunk zu besetzen.

Ihre Verbündeten im Ausland unterbrachen ihre offiziellen Aktivitäten im Iran und organisierten Demonstrationen in den großen Hauptstädten. Die eifrigsten Vertreter der grünen Bewegung sahen den endgültigen Sieg über das Regime bereits zum Greifen nahe.

Gegenstrategien des Regimes

Doch während die grüne Bewegung immer größere Hoffnungen auf den Sturz des Regimes hegte, entwickelte das Teheraner Regime eine Doppelstrategie, die aus Anreizen und Zugeständnissen bestand – bei gleichzeitig wachsender Brutalität und Repression.

Das Ergebnis war so erbarmungslos wie effektiv. Mit Masseninhaftierungen von politischen Aktivisten, Bürgerrechtlern und Journalisten machten die staatlichen Sicherheitskräfte die Pläne der Opposition zunichte, zwei Studenten wurden hingerichtet (weitere Exekutionen aber gab es nicht).

Die Oppositionsbewegung sollte gespalten werden, unter anderem dadurch, dass einzelne kritische Stimmen auch in den staatlichen Medien zugelassen wurden. Auch wurden fünftägige Ferien ausgerufen – zum einen, um die Bevölkerung Teherans aus der Stadt zu bekommen, zum anderen, um die eigenen Anhänger und Staatsbeamte zu offiziellen Kundgebungen transportieren zu können. Und schließlich wurde ein regelrechter "Cyber-Krieg" initiiert, um den Oppositionellen den Zugang zum Netz und unabhängigen Nachrichten verwehren sollte.

Dieser strikte Kurs wurde bis zum 11. Februar konsequent durchgehalten. Tausende Sicherheitskräfte – darunter vermummte Männer der Revolutionären Garden in Alltagskleidung – marschierten in den Straßen auf. Rund 300.000 Menschen (darunter der harte Kern der Regierungsanhänger) wurden mit Bussen in die Stadt transportiert und an strategisch wichtigen Punkten Teherans sowie am abgesperrten Kundgebungsort, an dem auch Ahmadinedschad sprechen sollte, postiert.

Der regimekritische Experte Mohsen Sazegara schätzt, dass die Operationen die Regierung um die 300 Millionen US-Dollar kostete. Es war eine Situation wie unter Kriegsrecht, nur dass dies nicht so genannt wurde.

Grenzen der Mobilisierungskraft

Trotz dieser Vorkehrungen gelang es der Opposition zwar, Protestaktionen in Teheran und einigen anderen Städten durchzuführen, ihre ursprünglichen Ziele konnten sie jedoch nicht erreichen. Dies mag darauf hindeuten, dass die grüne Bewegung an die Grenzen ihrer Mobilisierungsstärke gestoßen ist.

Nichtsdestotrotz blieb der Zustand der Desillusionierung und der Frustration über die Politik, der die Proteste ausgelöst hatte, weiterhin bestehen. Die Wirtschaftspolitik der Regierung stellt sich noch immer als chaotisch dar, und innerhalb der herrschenden Elite bestehen nach wie vor erbitterte Feindschaften.

Im Ausland unterstützt eine Reihe von Staaten die Kampagne für mehr Rechte und Freiheiten im Iran nun stärker als zuvor und verurteilt das Verhalten des Regimes.

Auch nehmen die Diskussionen über eine neue Runde von Sanktionen von Seiten des UN-Sicherheitsrates aufgrund des iranischen Nuklearprogramms wieder zu. Die Aktivisten der grünen Protestbewegung fordern, dass die Sanktionen das Regime und seine Entourage finanziell treffen müssten, was auch Maßnahmen wie das Einfrieren ausländischer Konten und anderer Vermögenswerte sowie Reiseverbote umfassen sollte.

Einige Aktivisten, darunter auch Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, gehen sogar noch einen Schritt weiter und fordern, dass die Sanktionen auch auf westliche Unternehmen ausgedehnt werden sollten, die Geschäfte mit dem Iran machen – so etwa einige Technologieunternehmen (wie Nokia Siemens Networks und Sony Ericsson), deren Produkte zur Überwachung und zur Zensur im Iran eingesetzt werden. Die Iraner, die für eine Veränderung der Verhältnisse eintreten, benötigen selbst dringend technische Hilfe, um die Kommunikation untereinander ungehindert aufrechterhalten zu können.

Die verschiedenen Gruppen, aus denen sich die grüne Bewegung zusammensetzt, befinden sich in einer Phase der Inventur und Bestandsaufnahme des bisher Erreichten. Die internationale Gemeinschaft scheint bereit, gegenüber der iranischen Bevölkerung die Rolle eines verlässlichen und konstruktiven Partners zu spielen.

Das Teheraner Regime dagegen sieht die Hoffnungen der iranischen Bürger noch immer als existenzielle Bedrohung an. Und solange dies der Fall ist, ändert sich nichts an der Notlage der iranischen Zivilbevölkerung.

Nazenin Ansari

© Common Ground News Service 2010

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Qantara.de

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