Das Gespenst der "sanften Revolution"

Nichts, weder Wirtschaftssanktionen noch die Androhung eines militärischen Angriffs, bereitet dem Regime in Teheran so viel Kopfschmerzen wie die Furcht vor einer "sanften Revolution".

Von Bahman Nirumand

​​Ein Gespenst geht um in Iran - das Gespenst der "sanften Revolution". Sie ist ein Top-Thema, das seit Monaten in der konservativen Presse Schlagzeilen macht und analysiert wird.

Es wurde aktuell, nachdem sowohl innerhalb des Regimes als auch in der öffentlichen Meinung sich zunehmend die Überzeugung durchgesetzt hatte, dass die USA zumindest vorerst den Plan zu einem militärischen Angriff gegen Iran zu den Akten gelegt haben, nicht aber die Absicht, einen Regimewechsel zu befördern.

Der Stimmungswandel in der amerikanischen Bevölkerung über den Irak-Krieg, meinen die Kommentatoren, habe auch bei der US-Regierung zur Einsicht geführt, dass ein Krieg gegen Iran weitaus katastrophalere Folgen haben würde als der gegen den Irak.

Folglich sollen nicht Waffen, aber alle anderen Hebel in Bewegung gesetzt werden, um das Regime zu Fall zu bringen.

Dazu gehören etwa die Bildung einer Front sunnitischer Staaten gegen die herrschenden Schiiten in Iran, das Schüren ethnischer und religiöser Konflikte im Landesinnern und nicht zuletzt die Mobilisierung der zumeist säkular orientierten iranischen Zivilgesellschaft gegen den islamischen Gottesstaat.

Druck von außen - Druck nach innen

Derartige Bemühungen sind tatsächlich im Gange; und nimmt man noch all das dazu, was trotz rigoroser Filterung über das Internet, über ins Land geschmuggelte Videofilme und DVD vermittelt wird, dann zeigt sich, dass die Versuche ihre Wirkung nicht verfehlen.

Sie wecken, insbesondere bei Jugendlichen, Wünsche und Sehnsüchte, die innerhalb des herrschenden Systems nie und nimmer erfüllt werden könnten.

Kein Wunder, dass das Regime sich bedroht fühlt und entsprechend heftig reagiert. Den letzten Anstoß zu panischen Reaktionen lieferte die offizielle Bekanntgabe des US-Außenministeriums, 78 Millionen Dollar zur Unterstützung von Aktivitäten in Iran, die auf Freiheit und Demokratie zielen, zur Verfügung gestellt zu haben.

Dieser massive Druck von außen stellt nicht nur eine Bedrohung für das Regime dar, er bringt auch die iranische Zivilgesellschaft, die aktive Opposition, in eine prekäre, ja oft schier ausweglose Lage.

Denn das Regime macht zwischen den Provokationen und Unterwanderungsversuchen von außen und den Aktivitäten kritischer Bürgerinnen und Bürger im Innern bewusst keinen Unterschied. Im Gegenteil, die westlichen Aktivitäten werden zum Vorwand genommen, um jede Kritik oder jede gesellschaftlich-politische Aktivität, die der Staatsführung nicht genehm ist, als von außen gesteuert zu denunzieren.

Der Propagandaapparat des Staates läuft auf vollen Touren, um Frauen, Studenten, Journalisten, Künstler, Wissenschafter und Menschenrechtsaktivisten in Verdacht zu bringen, Agenten ausländischer Geheimdienste zu sein. Selbst der Streik der Lehrer, die seit Jahren bessere Saläre fordern, oder der Streik der Fabrikarbeiter und Busfahrer für unabhängige Gewerkschaften werden mit dem Ausland in Verbindung gebracht.

Auch jeder, der ins Ausland reist, um etwa an einer Konferenz teilzunehmen oder eine Ausbildung zu machen, gerät in den Verdacht der Agententätigkeit.

Erzwungene Geständnisse

All dies hat in den letzten Monaten zu zahlreichen Festnahmen geführt. Gleichgültig wann, wie und unter welchem Vorwand jemand verhaftet wurde, die Staatsanwaltschaften haben immer dieselben Formulierungen parat: Aktivitäten gegen die Staatsordnung und gegen die nationale Sicherheit und Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten und Botschaften.

Eine ganze Reihe der Festgenommenen wurde unter Folter zu Selbstbezichtigungen gezwungen. Sie geben zu, dass sie mit ausländischen Organisationen in Verbindung stehen, dass ihre Aktivitäten vom Ausland finanziert werden. Die erzwungenen Geständnisse werden auf Videofilme aufgenommen und vom staatlichen Fernsehen ausgestrahlt.

So gestand der Journalist Siamak Purzand, Gelder vom Ausland erhalten und an regimekritische Journalisten verteilt zu haben.

Der international renommierte Soziologe und Kulturforscher Ramin Djahanbeyglu erklärte vor laufender Kamera, er habe während seiner Teilnahme an Tagungen im Ausland zu Mitarbeitern der amerikanischen und israelischen Geheimdienste Kontakt aufgenommen und den Auftrag erhalten, über die Möglichkeiten einer "sanften Revolution" in Iran eine Studie zu erstellen.

Irans Minister für Kultur und islamische Führung hat kritischen Journalisten vorgeworfen, Pläne zum Putsch gegen den Staat zu unterstützen. "Es gibt Anzeichen eines schleichenden Staatsstreichs in der Presse", sagte der Minister Anfang Juli der Nachrichtenagentur ISNA.

Die konservative Internet-Zeitung "Baztab" berichtete, Hochschulprofessoren seien in einem Rundschreiben des Bildungsministeriums aufgefordert worden, ab sofort jede geplante Auslandreise rechtzeitig anzumelden. Gleichgültig, ob es sich um eine Forschungs- oder Ferienreise handle, müsse das Ministerium über das Vorhaben detailliert informiert werden.

Seit Ahmadinedschads Amtsübernahme sind Hunderte von Hochschullehrern, denen die Verbreitung von westlichem Gedankengut unterstellt wurde, in den Ruhestand geschickt worden.

Studierende und Frauen im Visier

Geheimdienstminister Mohsen Ejehi bezichtigte Frauen und Studenten, sich als "Träger eines sanften Umsturzes" instrumentalisieren zu lassen. Es sei eine Verschwörung der Feinde der Islamischen Republik im Gange, sagte er. Dabei werde geplant, mit Hilfe der Studenten- und Frauenbewegung einen "sanften Sturz des Staates" herbeizuführen.

Einige Gruppen seien sogar zu diesem Zweck ins Ausland eingeladen und dort ausgebildet worden. Es werde versucht, durch finanzielle Hilfen und Propaganda die Volksmassen von der Staatsführung zu trennen und die Regierung als unfähig darzustellen.

Nicht alle, die sich an den Aktionen beteiligten, seien unbedingt bezahlte Agenten, betonte der Minister. Sie machten sich aber schuldig, wenn sie sich an den Aktionen beteiligten und für die Strategie einspannen ließen.

Gift der Denunziation

Auch der Staatssekretär im Innenministerium, Mohammad Bagher Zolghadr, warnte vor der "sanften Bedrohung", die eine Destabilisierung des Systems zum Ziel habe. Washington versuche, auf die iranische Presse ebenso wie auf regierungsunabhängige Organisationen Einfluss zu nehmen.

Diesen Machenschaften müsse "schleunigst Einhalt geboten werden". Zolghadr war, bevor er ins Innenministerium berufen wurde, stellvertretender Kommandeur der paramilitärischen Revolutionswächter.

Die permanenten Verdächtigungen haben die Initiatorinnen einer Frauen-Kampagne, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine Million Unterschriften für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu sammeln, zu einer öffentlichen Erklärung veranlasst, dass sie bisher keinerlei finanzielle Unterstützung aus dem Ausland angenommen hätten und auch in Zukunft keinerlei Hilfen annehmen würden.

Das Misstrauen, das das Regime sät, hat verheerende Folgen. Es erzeugt bei Kritikern Angst und Unsicherheit und führt zu permanenter Selbstzensur. Selbst innerhalb der Opposition werden Vorwürfe gegen jene erhoben, deren Aktivitäten von ausländischen Medien registriert werden.

Auch ausländische Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Verbände und Institutionen, die die iranische Zivilgesellschaft unterstützen wollen, halten sich weitgehend zurück, um ihre Ansprechpartner nicht zu gefährden.

Das Gift der Verschwörungstheorien, Verdächtigungen und Denunzierungen durchdringt zunehmend die Atmosphäre: für die Opposition eine fatale Situation, für die radikalen Islamisten die beste Waffe gegen die "sanfte Revolution".

Bahman Nirumand

© Bahman Nirumand 2007

Qantara.de

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