Starke Frauen, schwache Rechte
Salwa Bughaighis war dabei als am 17. Februar 2011 ein "Sit In" vor dem zentralen Gerichtsgebäude in Bengazi stattfand. Dieser Tag sollte als "Tag des Zorns" und als Beginn der libyschen Revolution in die Geschichte eingehen.
Aber für die Anwältin liegt der wirkliche Beginn der Revolte gegen das Gaddafi-Regime in den Aktionen der Mütter von Bouslim. Mütter von Inhaftierten im Gefängnis Bouslim haben vier Jahre lang jeden Samstag vor diesem Gerichtsgebäude "Sit Ins" gemacht. Sie forderten die Aufklärung über das Schicksal ihrer Söhne, die bei dem Massaker im Gefängnis ermordet wurden. Auch an der Revolution waren Frauen aktiv beteiligt.
Nun erwarten Bughaighis und andere Aktivistinnen, dass die Rolle, die sie gespielt haben, sich in dem Wahlgesetz für die neue Konstituierende Versammlung niederschlägt und eine hohe Frauenquote eingeführt wird. Aber der Entwurf für das Wahlgesetz sieht lediglich eine Quote von zehn Prozent vor, die als minimaler Konsens unter den Mitgliedern festgelegt wurde.
Die Wahlen sollen im kommenden Juni statt finden. Die neu gewählte Versammlung ernennt einen Rat, der die erste Verfassung des Landes nach der über 40-jährigen Diktatur ausarbeiten soll. Wenn in dieser Versammlung Frauen nicht stark vertreten sind, dann befürchten viele Libyerinnen, dass ihre Rechte in der Verfassung nicht angemessen repräsentiert werden.
Salwa Bughaighis ist eine von vielen Libyerinnen, die versuchen, in ihrem Land demokratische Verhältnisse auch für die Frauen zu schaffen. Für einige Monate saß sie als Vertreterin des "Bündnisses 17. Februar", eine der neu entstanden politischen Formationen, im Übergangsrat.
Rückkehr zum Straßenprotest
Aber aus Protest gegen die frauendiskriminierende Politik dieses Rates trat sie zurück. Sie wollte es nicht länger hinnehmen, dass die Mitglieder des Übergangsrates sie ignorierten. Sie fühlte sich nicht ernst genommen: "So zog ich es vor, auf die Straße zurückzukehren, direkt mit Menschen zu arbeiten und mich am Aufbau zivilgesellschaftlicher Organisationen zu beteiligen."
Anwältin Bughaighis engagiert sich in der Organisation "Plattform libyscher Frauen für Frieden", die im vergangenen Januar einen Gegenentwurf zum Wahlgesetz vorgelegt hat. Darin wird eine Frauenquote von 50 Prozent vorgeschlagen.
Diese Plattform ist eine von zahlreichen neu gegründeten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Libyen, die versuchen, Frauen eine Stimme zu geben. Sie organisieren Demonstrationen, sprechen mit den Medien, übergeben der Übergangsregierung und dem Übergangsrat Petitionen und nehmen Kontakt zu internationalen Organisationen auf, die Druck auf libysche Politiker ausüben sollen. Unter der Herrschaft von Muammar al-Gaddafi galt jede Zugehörigkeit zu einer Partei oder Organisation, die nicht dem Staat unterstand, noch als Hochverrat.
Die Situation der libyschen Frauen nach der jahrzehntelangen Diktatur ist sehr durchwachsen. Libyerinnen gehören zu den am besten ausgebildeten Frauen im arabischen Raum. Nach den Statistiken des UNDP sind über die Hälfte der Hochschulabsolventen Frauen.
Andererseits sind nur ungefähr ein Viertel der Libyerinnen berufstätig. Libyen ist der UN-Konvention zur Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen CEDAW beigetreten. Allerdings hat das Land Vorbehalte gegen Artikel der Konvention angemeldet, sofern sie gegen die islamische Gesetzgebung verstoßen.
Furcht vor dem Erstarken der Islamisten
Nach dem Sturz der Diktatur stehen die Fortschritte, die libysche Frauen in den letzen paar Jahren gemacht haben in Frage. Vor allem der Einfluss islamistischer Kräfte macht den Aktivistinnen Sorgen. Die konservativen religiösen Parteien gelten als die am besten organisierten politischen Kräfte in der Region.
Auch Richterin Naima Gibril fürchtet das Erstarken der Islamisten. Aus ihrer Gegnerschaft zum Gaddafi-Regime macht sie keinen Hehl. Aber die 63-jährige Juristin, die mehrere Jahre im Exil leben musste, ist stolz auf den hohen Bildungsstandard der Libyerinnen und fest entschlossen, an diesen Errungenschaften festzuhalten.
Mit ihrer ebenfalls neu gegründeten Frauenorganisation "Komitee zur Unterstützung der Frauen bei der Entscheidungsbildung" macht sie ihre Positionen öffentlich.
Gibril hat Angst, dass Frauen bestimmte Berufe, wie etwa das Richteramt, nicht mehr ausüben dürfen. Auch befürchtet sie, dass die Einschränkung der Polygamie aufgehoben werden könnte: "Im Moment schreibt das Gesetz vor, dass ein Mann nur eine zweite Frau heiraten darf, wenn die Erste damit einverstanden ist. Wir sind dafür, dass die Gesetze weiterentwickelt werden, aber ein Zurück darf es nicht geben!"
Offenbar sind jedoch viel zu viele libysche Männer davon überzeugt, dass Frauen in der Politik nichts zu suchen haben. Denn nicht erst im konstitutierenden Rat sollen Frauen eher die Ausnahme bleiben - bereits im amtierenden Übergangsrat sind von den 61 Mitgliedern nur zwei Frauen.
Mona Naggar
© Deutsche Welle 2012
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de