Muslime gegen Vereinnahmung durch Entführer

Nicht nur Frankreichs Politiker fordern die Freilassung der zwei französischen Journalisten im Irak, sondern auch viele islamische Organisationen.

Kommentar von Rainer Sollich

Die Entführer, die im Irak mit der Ermordung zweier französischer Journalisten drohen, bezeichnen sich selbst als "islamisch".

Dies ist eine Beleidigung der meisten Muslime weltweit - und die Morddrohung ist es erst recht: Terror, Geiselnahmen und sogenannte "Hinrichtungen" von Unschuldigen haben weder etwas mit dem Koran zu tun, noch spiegeln sie Praxis oder Selbstverständnis einer muslimischen Mehrheit wider. Taten dieser Art können überhaupt nicht religiös begründet werden. Sie sind einfach nur abscheulich.

Klare Positionen gefragt

Dass Vorurteile über eine "grundsätzliche Radikalität" des Islam im Westen nach wie vor verbreitet sind, liegt aber nicht nur an mangelndem Wissen oder der verkürzten Darstellung politischer Ereignisse in den Medien.

Es liegt auch daran, dass islamische Interessenvertreter sich oft gar nicht oder nur zurückhaltend zu den vielen Gewaltakten äußern, die heutzutage von Extremisten im Namen des Islam begangen werden: von politischen Kräften, die bewusst einen Konflikt der Kulturen schüren wollen.

Das Beispiel Frankreich zeigt, dass es auch anders geht. Nicht nur integrationswillige Verbände, sondern auch viele einfache Muslime und selbst extrem konservative islamische Gruppen verwahren sich gegen den Versuch, das jetzt in Kraft tretende Kopftuchverbot an den Schulen durch eine Mordandrohung zu kippen. Und das, obwohl die meisten Verbände sich von Beginn an gegen das Verbot ausgesprochen hatten.

Der Präsident der eher als radikal geltenden "Union Muslimischer Organisationen" bezeichnet die Entführer sogar als "Feinde des Islam", die den Muslimen großen Schaden zufügten.

Ein einleuchtendes Argument - gerade aus Sicht der Gegner des Kopftuchverbots. Denn letztlich könnten die Entführer mit ihrer Aktion erreichen, dass die Verantwortlichen für das Verbot sich künftig erst recht nicht mehr mit berechtigter Kritik abplagen müssen.

Solidarität über Grenzen hinweg

Die islamischen Verbände demonstrieren eine notwendige menschliche Solidarität über religiöse Grenzen hinweg - selbst wenn einige von ihnen bei der Verurteilung der Geiselnahme nicht nur das Schicksal der Journalisten im Blick haben sollten, sondern auch eigene Interessen: etwa eine Rücknahme des Kopftuchverbotes auf gesetzlichem Wege.

Dies zu versuchen, ist jedoch legitim. Und zeigt, dass selbst konservative Islam-Verbände in Europa immer mehr Teil des demokratischen Systems mit seinen vielfältigen Formen der Interessenwahrnehmung werden.

Wenn französische Muslime gegen die Gewaltaktionen vermeintlich islamischer Glaubenskämpfer im Irak protestieren, weil sie durch deren blutige Aktionen eigene Interessen gefährdet sehen - dann ist auch dies schon ein wichtiges Stück Integration. Man kann nur hoffen, dass es sich im Fall der entführten Journalisten im Irak auch lebensrettend auswirken wird.

Rainer Sollich

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004