"Der Westen und die islamische Welt"

"Die Anschläge vom 11. September 2001 haben nicht nur die USA traumatisiert. Sie kennzeichnen zugleich den Beginn eines neuen Zeitalters". So beginnt der Bericht "Der Westen und die islamische Welt“.

Von Youssef Hijazi

Das "neue Zeitalter" ruft einen neuen, andersartigen Diskurs hervor. Dies kennzeichnet auch das Buch, das von einer Reihe Intellektueller aus islamischen Gesellschaften verfasst wurde.

Drei von ihnen sind Araber: Salwa Bakr aus Ägypten, Basem Ezbidi aus Palästina und Hanan Kassab-Hassan aus Syrien. Weitere Autoren sind Fikret Karacic aus Bosnien/Herzegowina, Mazhar Zaidi aus Pakistan und Dato’ Mohammad Jawhar Hassan aus Malaysia.

Sie wurden im Oktober 2002 auf einer vom ifa organisierten Konferenz in Neuhardenberg – an der Schriftsteller, Wissenschaftler, Journalisten und Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen aus der islamischen Welt und Deutschland teilnahmen – beauftragt, diesen Bericht zu verfassen.

Botschaft an den Westen

Das Buch ist vor allem als Botschaft an die deutsche Leserschaft und an den "Westen" gedacht. Daher wird als erstes gefordert, dass die unabhängige Meinung dieser Intellektuellen Gehör findet. Dem stimmen die Herausgeber zu: "Wenn ein wirklicher Dialog das wechselseitige Zuhören voraussetzt, liegt es nahe, damit selbst anzufangen."

Dass es sich bei dem Werk "Der Westen und die islamische Welt" um eine komplexe Problematik handelt, zeigt die Notwendigkeit eines Geleitwortes, Vorwortes, einer Einleitung sowie eines ersten Kapitels mit dem Titel "Den Kontext klären".

Hieran wird ersichtlich, wie vieldeutig und missverständlich die Terminologie ist, die in diesem Zusammenhang gebraucht wird.

Eine Gruppe von Intellektuellen aus unterschiedlichen muslimischen Gesellschaften führte eine Art Bestandsaufnahme in der islamischen Welt durch. Sie klärten ihre Positionen in Hinblick auf die westliche Welt und den Islam selbst sowie hinsichtlich der Demokratiefrage, wobei sie insbesondere ihre Sichtweise und ihre Kritik an der westlichen Politik diskutierten.

Was ist 'die islamische Welt'?

Der Begriff "islamische Welt" ist vieldeutig. Was kann er beinhalten? Handelt es sich um die geographischen Gebiete mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit oder sind die siebenundfünfzig Mitgliedsstaaten der Organisation der islamischen Konferenz (OIC) gemeint? Oder sind alle diese Länder gemeint, zuzüglich der muslimischen Gemeinden in Europa und den USA?

Weiterhin wird die Definition noch schwieriger, weil diese Länder nur selten, wie in Saudi-Arabien und im Iran, nach "islamischem Recht" regiert werden. Doch die Verfasser des Buches verwenden – trotz ihrer Abneigung gegen den Begriff "islamische Welt"– gleichfalls diesen Terminus und formulieren keinen alternativen.

Der Begriff "muslimische Gesellschaften" würde der Realität wohl am nächsten kommen. Gemeint sind hiermit die Menschen, deren vorrangigste und wichtigste kulturelle Grundlage der Islam bildet. Im Gegensatz dazu richten sich die Staaten – seien sie islamisch oder nicht – nach ihren wirtschaftlichen, bzw. sicherheitspolitischen Interessen, jedoch nicht nach der jeweiligen Religion.

Wie sonst ist die iranische Unterstützung der indischen Politik gegen Pakistan oder gar der damalige Krieg des Irak gegen den Iran mit Beistand der Golfstaaten zu erklären? Nicht zu vergessen, die saudisch-amerikanische Annäherung.

Auch der Westen ist nicht homogen

Gleiches gilt für den Begriff des "Westens". Der Terminus definiert keinen kongruenten Zusammenschluss als homogene Einheit. "Der Westen existiert als homogene Einheit nicht; er ist eine vage Vorstellung voller Widersprüche."

Fragen wir nach den konstituierenden kulturellen Grundlagen des Westens: Ist es das Christentum oder die Aufklärung? Eine Symbiose von Staat und Kirche wird die Antwort sein.

Der heutige Konsens ist, dass der Glaube Privatsache ist. Dennoch finden sich seit der Aufklärung zwei Formen der Beziehung zwischen Staat und Kirche. Während im laizistischen Frankreich eine absolute Trennung zwischen Staat und Kirche besteht, treffen wir in Deutschland auf eine Teiltrennung. So wird z.B. in der BRD die Kirchensteuer vom Staat eingezogen.

Doch das Wichtigste in der Auseinandersetzung mit den westlichen Staaten - gemeint sind die westeuropäischen und die nordamerikanischen Länder - sind ihre unterschiedlichen Positionen zu den primären arabischen und islamischen Fragen: Palästina und Irak, wie es in "Der Westen und die islamische Welt" thematisiert wird. Hier können und dürfen wir nicht alle Länder in einen Topf werfen.

Die Krise entschärfen

Zweifelsohne durchlebt die Beziehung zwischen der "islamischen Welt" und den westlichen Ländern eine wahrhafte Krise. Ohne um den heißen Brei herumzureden und ohne sich eines irrealistischen Wunschdenkens zu bedienen, sehen die Verleger drei eindeutige Gründe für diese Krise: "Unterschiedliche Interessen, konkrete Politik und kulturelle und psychologische Faktoren."

Sie beteuern, dass diese Gründe während des Dialoges nicht aus dem Blickfeld geraten dürfen, genauso wenig die Kräfteverhältnisse, die sich zu Gunsten des Westens neigen. Den Verfassern und Verlegern ist es ein Anliegen mittels des Werkes einen konstruktiven Dialog anzuregen und den hinderlich engen Blick zu weiten, um die Krise zu entschärfen.

"Es ist zu hoffen, dass ein Dialog unter solchen Bedingungen imstande wäre, negative Wahrnehmungen und Stereotypen abzubauen sowie Feindseligkeiten und ablehnende Haltungen durch Verständnis und Kooperation zu ersetzen."

Vorschläge für eine Veränderung

Hierauf bauen die Vorschläge auf, die die Journalisten und die Medien einerseits sowie Intellektuelle, Lehrkräfte und Bildungswesen andererseits betreffen. An dieser Stelle wird gesagt, dass Kommunikation die Basis für Veränderung ist und die genannten Institutionen eine Vermittlerrolle zwischen Wahrheit und Öffentlichkeit spielen sollen. Die Hauptverantwortung tragen eben diese, neben dem Staat mit seinen Einrichtungen.

Thematisiert wurden die sensibelsten und wirkungskräftigsten Fragestellungen in Hinblick auf die Beziehung zwischen den islamischen Gesellschaften und dem "Westen". Hierbei rangiert die israelische Besatzung auf dem ersten Platz und die westliche Voreingenommenheit im Nahost-Konflikt wird an den Pranger gestellt.

"Es ist immer eine Konstante amerikanischer Politik im Nahen Osten gewesen, Israel sämtliche Verletzungen humanitärer Rechte zu verzeihen, während sie massiven Druck auf die viel schwächere palästinensische Seite ausübt."

Auf Platz zwei steht die Besatzung des Iraks. Sie demonstriert die Doppelwertigkeit im Umgang, und provoziert so die islamische und arabische Welt. Während "Iraks mögliche Nicht-Befolgung von UN-Resolutionen (...) mit einem schnellen umfassenden Krieg bestraft wird", ignoriert Israel seit vier Jahrzehnten UN-Resolutionen, "und die Unterdrückung in Palästina wird noch immer mit Militär- und Finanzhilfen sowie offener politischer Unterstützung belohnt."

Hinzu kommen die Einmischung und die zweifelhafte "Verbreitung der Demokratie" sowie die "Befreiung" der Frau, etc.

Dialog auf Augenhöhe

Der Geist, in dem das Buch geschrieben ist, scheint jedoch das Bedeutsamste zu sein. "Der Westen und die islamische Welt" lässt die konventionellen Dialogformen mit den freundlichen Floskeln oder der Werbung für die eigene Meinung, die die wirkliche Auseinandersetzung vermeiden, hinter sich.

Ausgehend von der Ebenbürtigkeit aller Dialog führenden Parteien und treu dem Grundsatz, dass keine Position oder Meinung die alleinige Wahrheit für sich beansprucht und dass niemand das Recht hat, seine Position seinem Gegenüber zu aufzuzwingen. Die Autoren gehen noch weiter, indem sie auf den Versuch verzichten, ihr Gegenüber zu überzeugen.

Hierbei ist nicht relevant, wer besser oder überlegen ist, sondern wer sein Gegenüber anerkennt, so wie es ist. "Es kommt allerdings darauf an, sich um gemeinsame Maßstäbe zu bemühen, die nicht allein dem eigenen Vorteil und der eigenen kulturellen Tradition entsprechen, ganz gleich, ob westlich oder muslimisch."

Youssef Hijazi

© Qantara.de 2004

Der Westen und die islamische Welt (PDF) .
Lesen Sie auch das Interview mit Hanan Kassab-Hassan auf Qantara.de