Pop und Politik im Sinne des Propheten
Der groß plakatierte Star ist tatsächlich ein Publikumsmagnet. "Wir sind hier, um Sami Yusuf zu sehen!", heißt es bei vielen jungen Besuchern des Inssan Festivals. Die Yusuf-Fans Murat, Deniz und Amira vertreiben sich die Zeit bis zum Auftritt ihres Stars mit einem Gang über das weitläufige Festivalgelände.
Den improvisierten Gebetsraum haben sie noch nicht entdeckt. Aber sie sind schon über den "Orientbasar" geschlendert, wo zwischen Kunsthandwerk und Kleingewerbe sogar die Berliner CDU einen Infostand aufgestellt hat. Muslime sind eben auch Wähler.
Um Wählerstimmen und demokratische Gesinnung wird auch auf der Festival-Bühne gestritten. Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien, darunter Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD), diskutieren über das Bild, das Medien und Politik über den Islam verbreiten.
Der Berliner Innensenator mahnt an, die Muslime in Deutschland seien dringend gefordert sich nicht "abzukapseln". Auch vermisse er in muslimischen Gemeinden noch zu häufig das klare Bekenntnis zur Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Inssan für kulturelle Interaktion e.V.
Die Sprecher von Inssan für kulturelle Interaktion e.V., Imran Sagir und Shaban Salih, verweisen hingegen auf die mangelnde Wahrnehmung des muslimischen Engagements. Sie stellen ihre Initiative gegen Zwangsehen, die Kooperation mit der Deutschen Knochenmarkspenderdatei und eine Umweltkampagne für Jugendliche vor.
Auf der Bühne präsentieren sich Vertreter eines islamischen Glaubens, der ganz natürlich in der deutschen Gesellschaft beheimatet sein will. "Deshalb sprechen wir deutsch und wollen als Muslime in Deutschland Verantwortung übernehmen." Auch vereinsintern werde ausschließlich deutsch gesprochen, heißt es.
Inssan e.V. wurde 2001 mit dem Ziel ins Leben gerufen, Muslime in Deutschland aus den verschiedenen ethnischen Gemeinden zusammenbringen und für einen bewusst deutschsprachigen Islam zu werben.
Ihr Hauptaugenmerk legt Inssan dabei unter anderem darauf, sich selbstbewusst in der deutschen Gesellschaft zu engagieren und sich durch verschiedene Programme aktiv gegen die Bildung von Parallelgeselschaften und Gewalt sowie für den interkulturellen Dialog, die Modernisierung und Öffnung muslimischer Gemeinden und für verschiedene Frauenprojekte einzusetzen.
Inssan e.V. hofft so an der Entstehung eines Islam und einer muslimischen Gemeinschaft in Deutschland mitzuwirken, die als selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft wahrgenommen und akzeptiert wird.
Mittlerweile hat Inssan gute Kontakte zu anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Institutionen aufgebaut, unter anderem zur Heinrich-Böll-Stiftung und der Viadrina Universität in Frankfurt an der Oder.
"I love my prophet"
Die 19-jährige Lisa stöbert unterdessen an den Bücherständen mit islamischer Literatur. Die Schülerin ist vor einem Jahr zum Islam konvertiert und begeistert von der Festivalidee. Begleitet wird die junge Frau von ihrer Mutter Marlies (42). Sie begrüßt es, dass das einseitige Bild vom Islam auf dem weltoffenen Festival zurecht gerückt wird, doch gleichzeitig bedauert sie, "dass nichtmuslimische Bürger von dem Festival ja gar nichts mitkriegen."
Tatsächlich wurde das Festival im Vorfeld nur in geringem Maße außerhalb der islamischen Gemeinschaften beworben, aber auf dem Festivalgelände ist von "Werbeabstinenz" nichts zu spüren. Konsumgüter, Werbeflächen und Merchandising sind hier genauso präsent wie auf jedem anderen Festival.
Der 19-jährige Omar und sein 15-jähriger Freund Taha verkaufen an einem Merchandisingstand Musik-CDs. Sie haben sich als freiwillige Helfer gemeldet und wurden hier eingeteilt.
Die beiden Schüler gehören zum Verband "Muslimische Jugend". Zunächst etwas schüchtern, berichten sie bald ganz unbeschwert von den positiven Erfahrungen mit ihrem Jugendverband. Sie erzählen von Sommercamps mit Jugendlichen aus ganz Deutschland, von selbst organisierten Grillabenden und Sportseminaren. Taha ist sichtlich stolz auf sein cooles T-Shirt: "I love my prophet."
Vorne auf der Bühne geht es hoch her. Soeben wirbeln die deutschen Meister im Breakdance unter tosendem Beifall durch die Luft, begleitet vom Trommeln des gambischen Perkussionisten Bubajammeh. Zuvor standen schon asiatischer Schwertkampf, deutschsprachiger Rap von Ammar114 – einem in Äthiopien geborenen Christen, der später in Deutschland zum Islam übertrat – und Kabarett auf dem Programm:
Murat Topal, einem deutschen Türken, der die Eigenheiten der Kreuzberger Türken aufs Korn nimmt. Darüber hinaus wird Musik und Tanz aus den unterschiedlichsten Regionen der Erde dargeboten. Der Islam ist eine weltumspannende Religion, das macht auch das Unterhaltungsprogramm dieses Festivals klar.
Smarte Koranrezitation, moderner Islam
Bemerkenswert ist der Auftritt des "Weltmeisters der Koranrezitation" Mustafa Günesdogdu. Der in Deutschland aufgewachsene Imam der "Zentrum Moschee" in Hamburg präsentiert sich als geborener Entertainer und erinnert eher an einen smarten Schlagerstar als an einen vergeistigten Gelehrten.
Sicher kein Zufall, denn auf dem Inssan-Festival wird das "moderne" Antlitz des Islam stark betont. Auch die vor einigen Jahren konvertierte Ex-MTV-Moderatorin Kristiane Backer und ihr Ehemann, der Al-Jazeera Journalist Rachied Jaafar, die an diesem Tag gemeinsam moderieren, symbolisieren einen "modernen Islam", einen Glauben, der klare Grundsätze und Verhaltensregeln vermittelt, aber weder Marketing noch Popkultur ablehnt.
Wie eine islamische Popkultur funktionieren kann, das wird endgültig klar, wenn die Jugendlichen bei Sonnenuntergang "Sami, Sami" skandieren und der Musiker mit gehöriger Verspätung die Bühne betritt. In diesem Moment erinnern die feuchten Augen der Mädchen einfach nur an den entrückten Blick, den ihre Altersgenossinnen überall auf der Welt ihren Stars zuwerfen.
Ariana Mirza
© Qantara.de 2006
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