"Im wahren Leben werden wir ignoriert"
Sie begannen Ihren Facebook-Blog mit den Worten "Ich bin der klügste Mensch im Facebook". Was hat Sie dazu veranlasst, über den Bürgerkrieg in Syrien zu schreiben?
Aboud Saeed: Zunächst muss ich sagen, dass ich zwar meine Blogeinträge mit diesen Worten begonnen habe, dass diese Worte aber ironisch gemeint waren. Ich wollte mich damit über jene Leute lustig machen, die denken, dass sie die klügsten Menschen auf diesem Planeten sind. Diese Menschen, die von sich denken, dass sie alles wissen. Sie werden es Ihnen nicht direkt ins Gesicht sagen, aber an ihrem Verhalten sieht man, dass sie so von sich selbst denken. Ich begann auf Facebook zu posten, weil ich meine eigenen Gedanken und Meinung sagen wollte, denn im wirklichen Leben werden wir ignoriert.
Also begann ich, über mein tägliches Leben zu schreiben. Darüber, was um mich herum geschieht, über meine Familie und wie wir leben. Erst später stellte ich fest, dass ich eigentlich literarische Texte schrieb. Aber das war nicht meine ursprüngliche Absicht. Da gab es diesen freien Platz auf Facebook, der danach fragte: "Was machst du gerade?" Mir gefiel, dass es dort keine Kontrolle gab. Niemand sagte mir, was ich tun, schreiben oder denken sollte.
Als ich mit dem Schreiben begann war es nicht mein Ziel, die Menschen darüber zu informieren, was in Syrien vor sich geht. Schließlich bin ich kein Journalist. Ich wollte einfach nur meine Gefühle ausdrücken – meine Angst, meinen Zorn usw. Auch der Dialog, die Interaktion mit den Leuten, die Kommentare schrieben, war sehr wertvoll für mich. Oft inspirierten sie mich dazu, neue Dinge zu schreiben.
Jemand schrieb über Sie, Sie seien aufgrund Ihres Schreibstils, der sehr direkt ist und von schwarzem Humor zeugt, der "Charles Bukowski Syriens". Welche Erfahrungen reflektieren Sie in Ihren Einträgen?
Aboud Saeed: Ich denke, dass die Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, einen großen Einfluss auf mein Schreiben hat. Ich bin in einem Dorf in der Nähe von Aleppo groß geworden, fernab bestimmter Ideologien. Das Leben auf dem Land ist sehr einfach. Es ist sehr direkt. Diese Umgebung hat mich häufig inspiriert und dazu veranlasst, offen und ironisch zu schreiben.
Natürlich hat der Syrienkrieg mein Schreiben beeinflusst. Alles was ich niederschrieb zeugte von dem, was um mich herum geschah. Manchmal schrieb ich direkt über das, was passierte. Meistens aber konzentrierte ich mich nicht auf den Krieg selbst, sondern auf die Auswirkungen, die er auf die Menschen in meiner Umgebung hatte. So schrieb ich über die täglichen Details in ihrem Leben. Zum Beispiel darüber, was sie machen mussten, um etwas zum Essen zu finden oder wie unser Sexualleben davon beeinflusst wurde – all diese normalen, einfachen Dinge des Lebens im Krieg.
In Ländern wie Ägypten boomten die sozialen Medien zu Beginn der Aufstände gegen das Mubarak-Regime. Junge Menschen benutzten sie, um einander zu informieren oder sich zu organisieren. Gab es etwas Vergleichbares in Syrien?
Aboud Saeed: Ja, auch in Syrien haben sich die Menschen über die sozialen Medien organisiert. Die Internetnutzung nahm wegen der Schwierigkeiten die es gab, miteinander in Verbindung zu treten und wegen der Kontrolle durch die Autoritäten stark zu. Aber ich habe das Internet immer anders verwendet. Ich war immer weit entfernt von diesen Dingen. Meine Absicht war nicht politisch.
Wurden Sie bedroht oder wurde das Internet zensiert?
Aboud Saeed: Das Schreiben bedeutet nichts verglichen mit dem, was mit den anderen Menschen um mich herum geschah. Es wurde gemordet, viele Syrer haben bis heute ihr Leben gelassen. Etwas zu schreiben und es im Internet zu teilen, ist viel leichter als andere Formen von Publikationen wie Bücher oder Zeitschriften, weil diese von Zeit zu Zeit verboten werden können. Der Vorteil von Facebook ist, dass man frei schreiben kann und es unkomplizierter ist, etwas auf seine Wand zu schreiben als ein Buch zu veröffentlichen. Es ist auch viel einfacher und direkter. Häufig war das Internet abgeschnitten, aber wir haben immer andere Wege gefunden, online zu gehen wie etwa den Internetempfang über Satelliten. Zum Glück wurde ich nicht wirklich bedroht, aber die Angst war immer da, besonders am Anfang. Das Dorf, aus dem ich komme, war nur vier, fünf Monate lang unter der Kontrolle des Regimes und als es schließlich seine Kontrolle verlor, verlor ich auch meine Angst.
Sie leben seit Kurzem in Deutschland. Wie hat sich Ihr Schreiben verändert – jetzt wo Sie Syrien von außen betrachten?
Aboud Saeed: Mein Schreiben hat sich stark verändert. Vorher war es von großer Bedeutung für mich, über mein Leben in Syrien zu schreiben. Doch jetzt, wo ich so weit weg bin, hat das Schreiben über mein Leben in Syrien irgendwie an Bedeutung verloren. Als ich noch in Syrien war, schrieb ich darüber, was ich Tag für Tag erlebte, was ich in der Wirklichkeit sah. Ich war mittendrinn und schrieb über das, was ich erfuhr, was ich durchlebte. Jetzt bin ich draußen und weit weg von den Geschehnissen. Ich habe nicht mehr denselben Drang wie früher, über Syrien zu schreiben. Ich betrachte mich auch nicht als Internetaktivist. Ich bin Schriftsteller und arbeite im Moment an einem Roman – ein Roman, der nicht nur von Syrien handelt.
Das Interview führte Ceyda Nurtsch.
© Qantara.de 2014
Aboud Saeed wurde 1983 geboren und wuchs in einem Dorf in der Nähe von Aleppo auf. Er arbeitete als Schweißer und Schmied und gewann durch seine Facebook-Statusmeldung zum Leben im syrischen Bürgerkrieg immer mehr als Popularität. Sein Buch "Der klügste Mensch im Facebook. Statusmeldungen aus Syrien" erschien auf Deutsch und wurde ins Englische und Spanische übersetzt.