"Korrupte Regierungen kennen keine Rechtstaatlichkeit"
Wie haben Sie sich gefühlt, nachdem Sie erfahren haben, dass Ihre mehr als vierzehnjährige Haft in Guantanamo ein Ende finden wird und Sie freigelassen werden?
Mohamedou Ould Slahi: Ich saß an jenem Tag in meiner dunklen Zelle als eine Angehörige des US-Militärs zu mir kam. Sie sah mich freundlich an und fragte mich: "Weißt Du, dass Du nach Hause gehst?" Ich starrte auf ihren Mund und konnte ihr nicht glauben. Obwohl es sich nur um wenige Momente handelte, brauchte ich sehr lange, bis ich diese Nachricht verdauen konnte. Es wirkte auf mich völlig surreal. Bis heute kann ich es immer noch nicht fassen, endlich in Freiheit zu sein.
Hatten Sie die Hoffnung auf Freiheit schon aufgegeben?
Slahi: Als ich jenes falsche Schuldeingeständnis, welches mir immer wieder vorgelegt wurde, nach all der Folter unterschrieben hatte, dachte ich, dass es nun endgültig sei. Ich war mir sicher, Guantanamo nie wieder zu verlassen. Doch gleichzeitig hatte ich auch einen inneren Frieden mit mir geschlossen. Ich habe in meinem Leben keinen einzigen Menschen getötet. Das wusste ich. Was die Amerikaner über mich dachten, war mir letztendlich egal. Außerdem war ich nach der Unterzeichnung nicht mehr besorgt um meine Familie. Meine Peiniger drohten mir nämlich immer wieder, auch meine Mutter in Guantanamo einzusperren. Das war für mich die grausamste Folter.
Was war für Sie die schlimmste Erfahrung, die Sie in Guantanamo machen mussten?
Slahi: Meine Familie ist sehr arm. Es war meine Aufgabe, sie nach meinem Studium zu ernähren und mich um sie zu kümmern. Ich wollte ein Haus für meine Mutter bauen. Letztendlich konnte ich aber überhaupt nichts für meine Familie tun. Alle meine Träume gingen den Bach runter. Für mich war das sehr schlimm. Das waren die besten Jahre meines Lebens – und sie wurden mir genommen. Meine Mutter starb, während ich in Haft saß. Ich konnte mich nie von ihr verabschieden.
Während Ihrer Haft wurden Sie immer wieder gefoltert. Glauben Sie, dass Ihre Informationen den Peinigern im Endeffekt irgendetwas gebracht haben?
Slahi: Es gab zwei Phasen während meinen "Anhörungen". Anfangs beteuerte ich immer wieder, dass ich keine Straftat begangen habe und kein Terrorist, sondern lediglich ein gläubiger Muslim sei. Doch nach der Folter änderte sich das. Ich wurde zu Geständnissen gezwungen und bekannte mich zu allem, was man mir vorwarf. Ich behauptete, ein Terrorist zu sein – genauso wie alle anderen Personen, mit denen ich angeblich in Verbindung stand. Die Behörden analysierten daraufhin meine Aussagen, unter anderem mit einem Lügendetektortest, und fanden schnell heraus, dass mein Schuldeingeständnis und all meine Angaben falsch waren. Das habe ich auch ausführlich in meinem Buch dargelegt. Allerdings wurde dieser Abschnitt von der US-Regierung zensiert, bevor sie mein Manuskript endlich freigab.
Das Einzige, was man Ihnen wirklich nachweisen konnte, war, dass Sie sich in den 1990er Jahren in Afghanistan aufgehalten haben. Warum waren Sie dort?
Slahi: In den 1980er- und 1990er Jahren war es eine Art Trend, nach Afghanistan zu gehen. Die Szenen von russischen Soldaten, die unschuldige Afghanen töten, waren omnipräsent. Auch ich habe diese Bilder damals gesehen und sie haben mich sehr mitgenommen. Ich wollte unbedingt nach Afghanistan gehen, um mit den Menschen dort gemeinsam gegen die Besatzung zu kämpfen. Mir wurde damals gesagt, dass es ein zuständiges Informationsbüro in Bonn geben würde. Das war damals eine inoffizielle Botschaft der afghanischen Mudschaheddin. Ich habe das Büro aufgesucht und erhielt ein Empfehlungsschreiben für den Kampf. Mit diesem Schreiben erhielt ich ein pakistanisches Visum.
Über Pakistan reiste ich nach Khost im Osten Afghanistans. Dort wurde ich im Camp Al-Farouq ausgebildet. Zurückblickend war mir damals überhaupt nicht bewusst, was in dem Konflikt eigentlich vor sich ging. Nachdem meine Ausbildung zu Ende war, kehrte ich nach Mauretanien zurück. Meine Mutter machte sich zu große Sorgen. Später ging ich ein weiteres Mal nach Afghanistan, und zwar nach Gardez in der Provinz Paktia. Nachdem die Russen nicht mehr im Land waren, bekämpften sich die Mudschaheddin gegenseitig und begannen das Land zu zerstören. Daraufhin kehrte ich Afghanistan endgültig den Rücken.
Denken Sie, dass Guantanamo sowie der "Krieg gegen den Terror" im Allgemeinen den Amerikanern im Endeffekt irgendetwas gebracht hat? Wer hat von all dem profitiert?
Slahi: Die sogenannte muslimische Welt hat jedenfalls sehr viel verloren. Dieser Krieg wird von verrückten, machtbesessenen Menschen geführt, und zwar auf beiden Seiten. Die einfachen Menschen – seien sie nun in Mauretanien oder anderswo – wollen mit all dem nichts zu tun haben. Sie wollen einfach in Frieden leben. Es gibt nur sehr wenige Profiteure des "Krieges gegen den Terror". Zu ihnen zählen etwa Waffenproduzenten oder private Sicherheitsfirmen, die staatlichen Militärs und Geheimdiensten ihre Dienste anbieten sowie der militärisch-industrielle Komplex im Allgemeinen. Die Extremisten von Al-Qaida und anderen Gruppierungen brauchen den Krieg ebenfalls. Ohne den Krieg würde es für sie keine Existenzberechtigung geben. Sie brauchen den Krieg, andernfalls würden sie gar nicht existieren können.
Welche Rolle spielen die Regierungen der betroffenen Staaten, etwa jene Mauretaniens, Jordaniens oder Afghanistans, im Verhältnis zu den USA? Sie führen in Ihrem Buch Vergleiche zum Neokolonialismus an.
Slahi: Es ist sehr offensichtlich, dass die Regierungen dieser Staaten korrupt sind, ihre Bevölkerungen ausbeuten und nach den Interessen der US-Amerikaner handeln. Es ist sicherlich falsch, immer nur mit dem Finger auf Washington zu zeigen. Ein großes Problem liegt in den Staaten der arabischen Welt und in Afghanistan. Die mauretanische Regierung etwa entschloss sich damals, ihr eigenes Grundgesetz zu brechen, indem sie mich auslieferte. Dieses Handeln war rechtswidrig und kriminell. Ähnlich verhält es sich auch mit den anderen besagten Staaten. Das Problem ist, dass es keine Rechtsstaatlichkeit gibt. Unsere korrupten Regierungen haben nicht verstanden, was dieses Wort bedeutet.
Während der Präsidentschaft Barack Obamas hieß es immer wieder, dass Guantanamo geschlossen wird. Gab es während Ihrer Haftzeichen denn irgendwelche Anzeichen hierfür?
Slahi: Als Obama gewählt wurde, haben auch wir Gefangene von seinem Vorhaben erfahren. Ich war sehr glücklich, als ich davon hörte. Doch meine Euphorie fand ein jähes Ende. Der zuständige Geheimdienstleiter sagte einmal zu mir, dass es zu keiner Schließung kommen werde. Der Grund: Obama hätte überhaupt nicht die nötige Macht dazu. Ich persönlich denke, dass Obama Guantanamo wirklich schließen wollte. Er hat das damals wirklich ernst gemeint. Allerdings bemerkte er erst später, dass ihm die Hände gebunden waren. Es gab zu viele Interessensgruppen im Kongress, vor allem seitens der Rechten und innerhalb des militärisch-industriellen Komplexes, die gegen eine Schließung waren.
Donald Trump meinte, dass er Guantanamo wieder mit Gefangenen füllen wolle. Denken Sie, dass wir eine Schließung des Gefängnisses noch erleben werden?
Slahi: Der Präsident eines Landes muss die Verfassung schützen. Was würde geschehen, wenn ein Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers sagt, dass er oder sie als Erstes das Grundgesetz brechen wolle? Die Anwendung von Folter sowie widerrechtliche Inhaftierungen sind in den Vereinigten Staaten ganz klar verboten. Der US-Präsident muss sich daran halten. All diese Ankündigungen sind absolut undemokratisch und rechtswidrig. Ob Trump all dies tatsächlich in die Tat umsetzen wird, wird sich noch zeigen. Es ist ja mittlerweile allgemein bekannt, dass er sehr paradox agiert und Gegensätzliches von sich gibt. Man kann nur hoffen, dass das amerikanische Volk Trump bändigt und nicht zulässt, dass sich die Hölle von Guantanamo wieder mit unschuldigen Menschen füllt.
Das Interview führte Emran Feroz.
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