Vertrauensverlust als Folge des 11. Septembers
Viele der 3,2 Millionen Muslimen sind als Einwanderer nach Deutschland gekommen oder stammen von Einwanderern - meist ehemaligen Gastarbeitern - ab. Über 300.000 Muslime besitzen mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft. Bereits vor den Attentaten in New York und Washington gab es viele Vorbehalte der nicht-muslimischen Bevölkerung. Vor allem kurz nach dem 11. September 2001 war die Situation kritisch, erinnert sich Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland: „Es gab sehr viele Drohungen gegen Muslime bis hin zu Morddrohungen, Beschimpfungen auf offener Straße. Besonders Kinder und Frauen mit Kopftuch haben sehr darunter gelitten“, berichtet Elyas. Drohungen und Angriffe habe es auch gegen islamische Institutionen sowie Moscheen gegeben. Jedoch habe dann eine große Welle der Solidarität mit den Muslimen eingesetzt, die Hoffnung gemacht habe, so Elyas: „Es gab ein große Interesse für den Islam, für die Muslime unter uns. Wir haben schon damals darauf hingewiesen, dass dieses Interesse nicht eine Eintagsfliege sein darf, sondern dass dies uns nachdenklich machen müsste, wie wir das jetzt meistern sollten.“
Kein Interesse an Alltagsleben der Muslime
Diese Welle der Solidarität ist mit einem Boom interkultureller Begegnungsprojekte einhergegangen. Kirchengemeinden, Kommunen und Universitäten organisierten Gesprächskreise, Dialogforen und Podiumsdiskussionen mit Muslimen. Diese wiederum begrüßten und unterstützen meistens solche Veranstaltungen. Das neu entfachte Interesse am Islam richtet sich allerdings wenig auf das Alltagsleben der Muslime, sondern vor allem auf den Terrorismus im Namen Allahs.
Als Folge der Attentate sind auch in Deutschland die Sicherheitsgesetze drastisch verschärft worden. Nadeem Elyas betont, dass der Zentralrat der Muslime in Deutschland diese Maßnahmen unterstützt habe, genau wie die Kontrollen von Studenten arabischer Herkunft. Die praktische Umsetzung dieser Gesetze und das Vorgehen der Sicherheitskräfte kritisiert er allerdings vehement: „Es gab unendlich viele Pannen. Moscheen wurden während des Freitagsgebets durchsucht, Moscheen wurden mit Stiefeln durchsucht, manchmal zur Mitternachtsstunde. Das alles bringt unbescholtene muslimische Bürger in eine schwierige Situation. Sie fragen sich, warum müssen wir das alles erleiden, nur weil wir Muslime sind, obwohl wir zu diesem Staat, zu diesem Grundgesetz stehen. Die Vertrauenslage ist sehr in Mitleidenschaft gezogen worden.“
Pauschale Urteile über den Islam
Noch immer sind die Vorstellungen, die sich viele Menschen in Deutschland vom Islam machen, geprägt von Gewalt, die im Namen dieser Religion verübt wird: von der Unterdrückung der Frauen in Ländern wie Saudi-Arabien oder dem Iran und von der Intoleranz religiöser Fanatiker gegenüber Anhängern anderer Religionen oder westlichen Wertvorstellungen. Mehmet Aksar, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des Türkisch-Islamischen Kulturvereins Bonn, glaubt, dass die Bilder Ängste erzeugen, die zu Ressentiments und pauschalen Urteilen über den Islam und die Muslime führen: „Es sind vor allem Hemmschwellen, die die Leute offenbar nicht so einfach überschreiten können. Hierbei muss den Menschen offenbar geholfen werden."
Und eine wachsende Zahl von Muslimen erkennt, dass das Überschreiten dieser Hemmschwellen von den Nichtmuslimen in Deutschland nicht allein geleistet werden kann. Die muslimische Gemeinschaft muss sich selbst mehr in das öffentliche Leben der Gesellschaft einbringen, sagen sie, um ihre Standpunkte zu vermitteln. „Man müsste als Muslim viel engagierter sein, viel mehr machen, um auch selber weiter zu kommen“, meint Mehmet Aksar. Seine Hoffnung ist, dass sich die muslimischen Mitbürger aktiver in der Politik und im öffentlichen Leben beteiligen, um ihre Rechte wahrzunehmen und um ihre Rechte vielleicht auch manchmal durchzusetzen.
Andreas Pesch
© Deutsche Welle 2003