Heimkehr nach dem Tod

Die meisten Muslime in Deutschland lassen ihre verstorbenen Angehörigen nach wie vor in ihren Herkunftsländern bestatten. Doch immer mehr Friedhöfe in Deutschland richten eine Abteilung für Muslime ein.

Von Tobias Mayer

In Deutschland leben rund 3,2 Millionen Muslime. Entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung gibt es jährlich etwa 30.000 Todesfälle unter den muslimischen Mitbürgern. Nach wie vor werden die Leichname der meisten verstorbenen Muslime in ihre Herkunftsländer überführt.

Aber der Wunsch, sich in der Wahlheimat Deutschland beerdigen zu lassen, wächst stetig. Dem tragen viele Kommunen inzwischen Rechnung, indem sie auf den Friedhöfen islamische Gräberfelder einrichten.

Von Überführung Abstand genommen

Behiç Özsavas ist 75 Jahre alt und lebt seit fast 40 Jahren in Deutschland. Bis zu seinem Ruhestand arbeitete der einst als Gastarbeiter nach Deutschland gekommene Türke als Ingenieur bei Thyssen in der westdeutschen Industriestadt Duisburg.

Wegen der guten medizinischen Versorgung blieb Behiç Özsavas hier. Im vergangenen Jahr starb seine Frau Suna. Für den Todesfall hatte das Ehepaar finanziell vorgesorgt, aber eine Überführung in die Türkei wollten sie nicht:

"Zuerst hatte meine Frau die Absicht, sich in der Türkei bestatten lassen", erzählt Behiç Özsavas. "Kurz vor ihrem Tod hat sie noch einmal den Ort besucht, wo ihr Vater und ihre Ahnen liegen. Aber als sie das gesehen hatte, wollte sie es nicht mehr. Die Gräber dort sind verwahrlost, keiner kümmert sich darum. Deshalb wollte sie sich dann doch lieber in Deutschland beerdigen lassen."

Nach Mekka ausgerichtet

Damit ist die Familie Özsavas immer noch eher die Ausnahme. Nur etwa jeder zehnte Muslim, der in Deutschland stirbt, wird auch hier beerdigt. Genaue Zahlen existieren nicht. Dabei haben inzwischen viele deutsche Großstädte eine muslimische Abteilung auf ihren Friedhöfen eingerichtet, so auch vor fünf Jahren die westdeutsche Stadt Bochum.

"Im Einvernehmen mit Vertretern des islamischen Glaubens habe ich damals das Gräberfeld nach Mekka ausrichten lassen", berichtet Achim Schwarzenberg von der Friedhofsverwaltung, der die Anlage des Gräberfeldes überwacht hat. "Die Ausrichtungsrichtung beträgt 127 Grad und 56 Minuten. Ein Imam hat mir, bevor wir die erste Bestattung durchgeführt haben, dieses Gräberfeld auch so in seiner Ausrichtung abgenommen."

Die Regeln für eine islamische Beerdigung auf dem Bochumer Friedhof wurden in enger Kooperation zwischen Stadt, Ausländerbeirat und dem örtlichen Imam festgelegt.

Es gebe in Bochum im Hauptfriedhof eine Möglichkeit, die rituellen Waschungen durchzuführen, so Schwarzenberg. "Dort steht ein separater Raum mit entsprechender Einrichtung zur Verfügung. Wir hier in Bochum haben 1999 dieses Gräberfeld eingerichtet und haben damals gesagt, dass die Bestattung auch - wie im Islam üblich - in Leichentüchern möglich ist. Der Transport des Leichnams bis zur Grabstelle allerdings muss - nach deutschem Recht - in einem geschlossenen Behältnis - sprich: in einem Sarg - durchgeführt werden."

Angst vor der Einebnung

Die Ruhefrist des Grabes beträgt nach der Friedhofsordnung in der Regel 25 Jahre. Die mögliche Einebnung und Wiederbelegung einer Grabstelle ist es auch, die den meisten Muslimen Unbehagen bereitet.

Das islamische Recht schreibt eine ewige Ruhe des Leichnams zwar nicht ausdrücklich vor; viele Rechtsgutachten - Fatwas - haben sich mit dieser Sache beschäftigt. Trotzdem sieht Mustafa al-Founti, der in Essen ein islamisches Bestattungsinstitut betreibt, in der begrenzten Ruhefrist das Hauptproblem in Deutschland. Zumal offenbar unter älteren Muslimen auch falsche Gerüchte im Umlauf sind:

"Die Leute sagen: 'Wir haben gehört, dass nach 20, 25 oder 30 Jahren Leichname herausgeholt wurden, die noch vollständig erhalten waren. Ich will nicht, dass das mit mir passiert. Deshalb' - so sagen die Leute dann weiter - 'will ich, dass meine Leiche in die Heimat überführt wird und dort begraben wird, wo sichergestellt ist, dass das Grab nie mehr angetastet wird.'"

Auf dem islamischen Gräberfeld in Bochum fällt auf, dass etwa die Hälfte aller Grabstellen Kindergräber sind. Diese Kinder waren fast ausnahmslos auch hier in Deutschland geboren, die Verbindung zur Heimat der Eltern ist daher nur schwach. Darüber hinaus scheint für Mustafa el-Founti das Problem der Ruhefrist hier nicht so entscheidend zu sein. Ein Kind sei nicht wie ein starker Mann.

In Deutschland gibt es bisher keinen eigenständigen islamischen Friedhof, der nicht kommunalen Einschränkungen unterliegt. Sonst würden wohl deutlich mehr Muslime nach ihrem Tod auch hier beerdigt werden.

Und der Duisburger Rentner Behiç Özsavas? Die Frage, wo er sich beerdigen lässt, beantwortet er ganz weltläufig:

"Ich habe lange darüber nachgedacht. Für mich ist der Boden überall gleich. Es gibt nur eine Erde. Wenn ich mal sterbe, egal wo, dann will ich auch genau an diesem Ort bestattet werden."

Tobias Mayer

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