Zurschaustellung einer aufgesetzten Religiosität

Der ägyptische Kulturminister Farouk Hosni hatte jüngst erklärt, die zunehmende Zahl der Kopftuchträgerinnen in Ägypten sei ein Zeichen von Rückschrittlichkeit. Interview mit Nabil Abdel-Fattah über die Hintergründe des Kopftuchstreits

Kopftuchträgerinnen in Kairo; Foto: DW
Nicht alle Kopftuchträgerinnen sind religiös motivert, meint Nabil Abdel-Fattah

​​Warum riefen Ihrer Meinung nach die Äußerungen des Kulturministers Farouk Hosni so heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit hervor?

Nabil Abdel-Fattah: Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass die regierende Nationaldemokratische Partei, die die Mehrheit im Parlament hat, und die oppositionellen Muslimbrüdern um die Bedeutung der Religion für die Politik feilschen.

Die Reaktionen auf die Äußerungen des Kulturministers machen deutlich, dass es eine Übereinstimmung darüber gibt, dass der Islam "verstaatlicht" werden soll und dass seine juristischen Auffassungen zur Pflicht gemacht werden sollen. Dies sind allerdings Auffassungen von Menschen, die missionarisch und mahnend daherkommen und behaupten, die islamische Religion zu repräsentieren.

Wir haben es hier mittlerweile mit einem Klerus zu tun und mit einer Regierung, die klerikale Züge trägt, wie man das von anderen Religionen kennt. Bei allem Respekt davor, aber es widerspricht der islamischen Tradition.

So versuchen inzwischen all diese Gruppierungen, Institutionen und diese Missionare, die man als Religionsgelehrte bezeichnet, sich in die Politik einzumischen, Posten zu ergattern und ihre eigenen Interessen zu verfolgen.

Nun hat man sich also auf das Kopftuch verlegt. Das ist Teil einer Strategie zur Islamisierung des privaten Lebensbereichs und als Vorbereitung, auch den öffentlichen Raum zu kontrollieren. Im Privatbereich ist die Art der Kleidung von entscheidender Bedeutung, und die verschiedenen Kleidungsstile sind Teil der Vermarktung des religiösen Phänomens geworden, wie etwa das Kopftuch, das nun modischen Ansprüchen unterliegt.

Es gibt Leute, die sagen, das Tragen des Kopftuchs gehöre zu den religiösen Pflichten und sei fester Bestandteil des islamischen Rechts. Andere meinen, dies sei keineswegs Pflicht, sondern weise auf den noblen Charakter der Trägerin hin und sei Teil individueller Freiheiten. Wer sich verschleiern will, solle dies tun, wer es nicht will, sei vollkommen frei in der Entscheidung, allerdings innerhalb der gesellschaftlichen Moralvorstellungen.

Besonders heikel jedoch ist der Versuch, anderen eine Meinung aufzuzwingen, die höchstens einen juristischen oder missionarischen Standpunkt ausdrückt, und diese Meinung dann als eine vom Islam vorgeschriebene Pflicht und als Bestandteil der Glaubensgrundsätze zu erklären – mit der Folge, dass das Mädchen, das den Schleier nicht trägt, als außerhalb der Religion stehend betrachtet wird, wie es der Präsident der Azhar-Universität bedauerlicherweise ausdrückte.

Ich denke, man muss rechtswissenschaftliche Auffassungen sorgfältig prüfen, nach dem Motto: Dem Islam zu folgen ist einfach, nicht schwer. Im Islam soll keiner gezwungen werden, denn die Religionsfreiheit und das Glaubensbekenntnis aus Überzeugung sind die Grundsätze der islamischen Religion. Daher darf man niemandem etwas vorschreiben und behaupten, nur so habe er den wahren Glauben.

Tief verschleierte Frauen in Kairo; Foto: AP
Tief verschleierte Frauen in Kairo

​​Schließlich leben wir in einem modernen zivilisierten Land und nicht in einem Staat, der von Religionsgelehrten und Predigern regiert wird. Hier gilt die Verfassung, die den Frauen ihre Freiheit und die gleichen Rechte wie den Männern zusichert.

Die Ereignisse im ägyptischen Parlament zeigen, dass Befürworter der Religion und religiöse Organisationen versuchen, den säkularen Staat auszuhöhlen. Stattdessen wollen sie einen Staat mit einer Ideologie errichten und in ihm ihre eigene Interpretation des Islam zur Staatsdoktrin erheben.

Das ist äußerst gefährlich, denn es bedeutet das Ende der Idee eines säkularen ägyptischen Staats und der Idee einer ägyptischen Moderne, die ihre Wurzeln in der Vielfältigkeit des ägyptischen Erbes hat. Auf diese Weise wird jeglicher Versuch verhindert, die kulturelle, politische, ethnische und konfessionelle Vielfalt des Landes wieder aufleben zu lassen.

Wie erklären Sie, dass die Zahl der Kopftuchträgerinnen in Ägypten so enorm gestiegen ist?

Abdel-Fattah: Auch hier kommen verschiedene Faktoren zusammen. Da ist zum einen die Politisierung der Religion und der Versuch, bestimmte Auffassungen in den Privatbereich hinein zu tragen. Kopftuchträgerinnen sind keineswegs immer nur religiös motiviert.

Das Kopftuch war einmal eine Art gesellschaftliches Schutzschild im Kampf gegen die Armut und Mittellosigkeit der aus Arbeitern und Bauern bestehenden Mittel- und Unterschicht. So verschleierte sich in den 1970er Jahren die Medizinstudentin vom Lande, denn sie hatte einfach nicht genügend Geld, um zum Friseur zu gehen oder sich schicke Kleider zu kaufen.

Nun sehen wir uns mit einem neuen Phänomen konfrontiert. Das Kopftuch wandelte sich von einem gesellschaftlichen Schutz für anständige, aber aus ärmeren Verhältnissen stammende Mädchen, sowohl auf dem Lande wie auch in den Städten, zu einer religiösen Maske.

Wie sollte man anders mit der Korruption in Ägypten umgehen? Im Dienstleistungsbereich herrscht Korruption, ja eigentlich in allen Lebensbereichen, und jeder gibt das zu, sogar die Führungsschicht. Wir haben es hier also zu tun mit der Zurschaustellung einer aufgesetzten Religiosität, nicht mit persönlichen Glaubensbezeugungen, denn der Glaube ist ja im Grundsatz eine individuelle Erfahrung.

Es wird behauptet, der Wirbel um das Kopftuch wurde inszeniert, um die Leute abzulenken von der Arbeitslosigkeit, davon dass Mubarak plant, seinem Sohn die Regierungsnachfolge zu übertragen, und von anderen Missständen.

Abdel-Fattah: Ich glaube nicht, dass hier etwas inszeniert wurde. Es handelt sich vielmehr um einen schwerwiegenden Fehler der Parlamentarier der regierenden Nationaldemokratischen Partei und der Organisation der Muslimbrüder.

Allerdings werden dadurch in der Tat die Ägypter davon abgelenkt, sich ernsthaft mit der Zukunft des konstitutionellen Regierungssystems auseinanderzusetzen sowie mit der geplanten Machtübergabe von Mubarak an seinen Sohn, von der sich manche die Sicherung ihrer politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen versprechen.

Dossier: Der Streit ums Kopftuch

Kopftuchträgerin; Foto: dpa

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Ich glaube, dass die Muslimbrüder für das, was sich da im Parlament ereignet hat, politisch bezahlen müssen. Denn sie haben dadurch die Sympathie bestimmter Gruppierungen verloren, die sich in ihre Organisation integrieren wollten.

Die ägyptischen Kopten fürchten nun, die Muslimbrüder könnten an die Regierung kommen, oder es könne zu einem Bündnis zwischen ihrer Organisation und einigen Mitgliedern der Nationaldemokratischen Partei kommen. Denn es hatte im Kopfstuchstreit ja tatsächlich eine Parlamentsmehrheit gegeben, als diese Mitglieder die Islamisierungsoffensive der Muslimbrüder unterstützten.

Interview: Nelly Youssef

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

© Qantara.de 2007

Nabil Abel Fatah forscht zum politischen Islam am "Al-Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien" in Kairo

Qantara.de

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