Streitfall Kuppelbau
Der jüngste Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria wirft ein Schlaglicht auf die zunehmenden konfessionellen Spannungen am Nil und die Benachteiligung von Christen im öffentlichen Leben. Ein Beispiel dafür ist auch der Baustopp einer Kirche im Kairoer Stadtteil Omraneya. Beobachtungen von Amira El Ahl
Die Kathedrale in Kairo ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als das Oberhaupt der koptischen Kirche, Papst Shenouda III. die Weihnachtsmesse hält.
3.000 geladene Gäste sind gekommen, unter ihnen prominente Muslime wie die Söhne des ägyptischen Staatspräsidenten, Gamal und Alaa Mubarak, sowie Minister, Schauspieler und sogar der umstrittene Fernsehprediger Amr Khaled. Die Geburt Jesu soll an diesem Abend gefeiert werden, doch wirklich fröhlich kann in diesen Tagen niemand in der koptischen Gemeinde sein.
Seit dem Anschlag auf die St.-Markus-und-Petri-Kirche in Alexandria am Neujahrstag, bei dem 23 Menschen starben und über 100 verletzt wurden, ist den Kopten nicht nach feiern zumute. Der Anschlag kam nicht völlig überraschend. Schon im Oktober hatte al-Qaida im Irak angekündigt, koptische Kirchen in Ägypten anzugreifen.
Grund waren Berichte über zwei Koptinnen, die zum Islam konvertieren wollten und deshalb von der Kirche versteckt worden seien, um sie daran zu hindern. Islamistische Gruppen in Ägypten hatten daraufhin Demonstrationen organisiert; und al-Qaida rechtfertigte mit der Geschichte ihre Angriffe auf Christen im Irak.
Chronik der konfessionellen Spannungen
Die Spannungen zwischen den Konfessionen in Ägypten steigen seit Jahren, doch die vergangenen 24 Monate waren besonders hart für die koptische Gemeinde. Es fing damit an, dass die Regierung vor zwei Jahren 250.000 Schweine schlachten ließ, um die Schweinegrippe zu bekämpfen.
Eine fragliche Aktion, die die Lebensgrundlage zigtausender Müllsammler zerstörte. Die sogenannten Zabaleen sind Kopten, die diese Aktion als verdeckten Angriff auf ihre Gemeinschaft verstanden.
Genau vor einem Jahr wurden in Naga Hammadi nach der Weihnachtsmesse sechs Kopten erschossen. Im Laufe des Jahres kochten die Emotionen immer wieder wegen der angeblichen Konvertierung von zwei Christinnen zum Islam hoch.
Im November dann kam es zu Straßenkämpfen zwischen Kopten und Sicherheitskräften, als diese einen nicht genehmigten Kirchenbau einreißen wollten. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben. Und nun der Anschlag in Alexandria, der schwerste seit einem Jahrzehnt.
Besonders der Vorfall im November in Omraneya, einem informellen Viertel im Süden der Stadt, stellte einen Wendepunkt für die koptische Gemeinschaft dar. "Was dort passierte, ist beispiellos", sagt Bahey al-Din Hassan, Direktor des Kairo Institut für Menschenrechtsstudien. "Zum ersten Mal sind tausende wütende Christen auf die Straße gegangen, um Regierungsinstitutionen anzugreifen. In der Vergangenheit haben sie immer in Kirchen demonstriert oder bei ihrer Kathedrale."
Zu den heftigen Demonstrationen in Omraneya war es gekommen, nachdem die Bereitschaftspolizei in den frühen Morgenstunden des 23. Novembers den Bau einer Kirche mit Gewalt gestoppt hatte. Das Gebäude steht direkt an der großen Ringstraße, die sich um die 18-Millionen-Metropole zieht.
Der Rohbau steht bereits groß und mächtig, unübersehbar für die vorbeifahrenden Autos. Seit Monaten laufen die Arbeiten an dem Gebäude, doch erst im November sahen die zuständigen Behörden, dass eine Kuppel das Gebäude krönt. So jedenfalls hieß es von offizieller Seite.
Das Problem: Die Kirche hatte eine Baugenehmigung für ein Gemeindehaus, jedoch nicht für ein Gotteshaus. Die Kuppel weise daraufhin, dass der Bau als Kirche genutzt werden solle und nicht, wie in der Baugenehmigung vorgesehen, für Gemeindezwecke, also Kindergarten, Klinik, Sonntagsschule und anderes.
Mit zweierlei Maß
"Ich gebe zu, dass die Kopten gegen die Baugenehmigung verstoßen haben", sagt Yousef Sidhom, Chefredakteur der koptischen Wochenzeitung Watani. "Doch die Frage ist, warum sie das getan haben." Fakt sei, dass es Christen fast unmöglich sei, Kirchen zu bauen.
Seit 1934 gibt es ein Dekret, das zehn Voraussetzungen für den Bau einer Kirche diktiert. Unter anderem darf keine Kirche neben oder in der Nähe einer Moschee gebaut werden. Außerdem dürfen keine Bahnhöfe, Postämter oder Elektrizitätswerke in der Nähe sein. "So wollte man verhindern, dass sich Kirchen im Stadtzentrum ansiedeln", erklärt der Journalist.
Auch die muslimischen Bewohner des Viertels müssen den Kirchenbau befürworten. Erst wenn alle Kriterien erfüllt sind, wird der Antrag vom Staatssicherheitsdienst dem Präsidenten vorgelegt, der über jeden Kirchenbau im Land entscheidet. Eine Moschee hingegen kann ohne solch einen Beschluss gebaut werden, die Genehmigung hierfür ist unkompliziert.
Präsident Mubarak betont immer wieder, dass er noch nie einen Antrag abgelehnt habe, der seinen Schreibtisch erreicht hat. "Aber das ist das magische Wort", sagt Sidhom. "Der Antrag muss erstmal seinen Schreibtisch erreichen, was oft genug nicht der Fall ist."
Um all diese Schwierigkeiten zu umgehen, behelfen sich die Kopten seit langem damit, Gemeindehäuser zu bauen, in denen auch Gottesdienste abgehalten werden. Es sei eine Art Deal, erklärt es Sidhom.
Die Sicherheitskräfte wissen davon und dulden den Gesetzesbruch, weil im Gegenzug keine neue Kirche entsteht, die möglicherweise die immer mehr an Einfluss gewinnenden konservativen Muslime im Land provozieren könnte. Doch in Omraneya wurde dieses unausgesprochene Abkommen von den Kopten gebrochen als sie eine Kuppel auf den Gemeindebau setzten.
"Was sich ändern muss, sind die Gesetze!"
Die Christen fühlen sich seit langem benachteiligt. Der "Spießrutenlauf", eine Kirche zu bauen, stellt nur eines der offensichtlichsten Schwierigkeiten dar. "Das Problem sind nicht die Kirchen", sagt der Christ Samih Sami, Journalist bei der unabhängigen Tageszeitung Al-Shorouk. "Vor allem innerhalb der Stadt gibt es genug Gotteshäuser. Was sich wirklich ändern muss, sind die Gesetze."
Die Kopten stellen etwa zehn Prozent der 80 Millionen Ägypter. Obwohl einige der einflussreichsten Geschäftsmänner und Minister Kopten sind, hat es die Mittelschicht schwer, Karriere zu machen. Viele wichtige Posten in der Regierung und im öffentlichen Leben sind für Christen unerreichbar.
"Ein koptischer Verteidigungsminister oder gar Staatspräsident wäre völlig undenkbar", sagt Samih Sami. Nicht eine der großen Universitäten im Land wird von einem koptischen Rektor geführt, im Alltag fühlen sich die Kopten immer wieder benachteiligt.
Nur in der Privatwirtschaft sind die Kopten überdurchschnittlich vertreten und dabei sehr erfolgreich. "35 Prozent der ägyptischen Privatwirtschaft sind nach Angaben der amerikanischen Handelskammer in der Hand von Kopten", sagt Yousef Sidhom. "Die Ratio ist so hoch, weil die Kopten in anderen Bereichen marginalisiert werden."
Ein landesweiter Weckruf
Es scheint, als sei der Anschlag auf die Kopten in Alexandria für viele Muslime in dieser Hinsicht ein Weckruf gewesen. Der Schock über die Tat sitzt bei allen Ägyptern tief, die Beileidsbekundungen der Muslime sind keine Phrasen, sondern zeigen echte Anteilnahme.
Die Solidaritätskampagnen, die seit dem Anschlag im Internet und auf der Straße stattfinden haben alle den gleichen Tenor: Ägypten für alle! Die meisten Muslime scheinen endlich verstanden zu haben, dass es Probleme im Land gibt und sich etwas Grundlegendes verändern muss. Die Attentäter haben mit ihrem Anschlag offenbar genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie ursprünglich bezweckt hatten.
Anstatt Christen und Muslime noch mehr zu entzweien hat der Anschlag sie näher zusammengebracht. "Es ist eine goldene Chance für das Regime, das Richtige zu tun und die Dinge nun zu ändern", sagt Sameh Sami.
Amira El Ahl
© Qantara.de 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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