Aktivisten befürchten stärkere Cyber-Überwachung
Im August 2016 erhielt der emiratische Menschenrechtsaktivist Ahmed Mansur an zwei aufeinanderfolgenden Tagen merkwürdige SMS-Nachrichten. Es gebe "neue Geheimnisse zur Folter in staatlichen Gefängnissen der Emirate", war dort zu lesen, verbunden mit einem Link zu einer Webseite. Er klickte nicht darauf.
Mansur hatte allen Grund, skeptisch zu sein. Im Frühjahr 2011 hatte er, beflügelt vom "Arabischen Frühling", demokratische Reformen in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gefordert. Wegen "Beleidigung der Führungskräfte der VAE" war er zu drei Jahren Haft verurteilt, kurz danach allerdings begnadigt worden. Gleichwohl zogen die Behörden seinen Pass ein und verboten ihm Reisen ins Ausland. Mansur gab sich unbeeindruckt und trat in den folgenden Jahren weiterhin offen für politische Reformen in den VAE ein.
Cyber-Angriffe auf Menschenrechtsaktivisten
Mansur reichte die verdächtige SMS an das Analyse-Institut "Citizen Lab" an der Universität Toronto weiter. Dessen Techniker analysierten zusammen mit dem auf digitalen Datenschutz spezialisierten Unternehmen "Lookout Security" die möglichen Auswirkungen der Spyware. Wäre sie installiert worden, resümierte "Citizen Lab" später, "hätte sich Mansurs iPhone in einen digitalen Spion in seiner eigenen Tasche verwandelt". Sein Handy war mit der Software des hoch spezialisierten und in Cyber-Fachkreisen überaus bekannten israelischen Unternehmens "NSO Group" infiziert worden.
Die NSO Group steht nicht nur wegen digitaler Dienstleistungen für die autoritäre Regierung in Abu Dhabi seit längerem in der Kritik. Laut einer Recherche der New York Times soll sie auch die saudische Regierung dabei unterstützt haben, den später ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi zu überwachen. Auch der in Kanada lebende saudische Dissident Omar Abdulaziz gibt an, sein Telefon sei mit Hilfe von NSO-Technologie gehackt worden.
NSO selbst verweist darauf, dass es Kunden nur dann beliefere, wenn die israelische Regierung die entsprechenden Verträge genehmigt habe.
Vereinfachte Geschäfte
Bisher standen Verträge zwischen der NSO Group und den VAE unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die israelische Regierung. Offen ist nun, wie sich der kürzlich vereinbarte historische Deal über die Aufnahme bilateraler Beziehungen zwischen beiden Ländern auf solche digitalen Spionage-Dienstleistungen auswirken wird. Klar scheint jedoch: Der Zugriff auf digitale Spionage-Programme dürfte sich für die Emirate nach der Aufnahme offizieller Beziehungen und dem Wegfall noch bestehender Handelsbeschränkungen eher vereinfachen als verkomplizieren.
Interesse daran hätten beide Seiten, meint Andreas Krieg, Verteidigungsexperte am Londoner "King's College". Während die israelische Technologie weltweit führend sei, strebten die VAE immer bessere Kontrollmöglichkeiten im Inneren an. "Der Überwachungsstaat der Emirate wurde mit israelischer Technologie, Know-how und Fachwissen ausgerüstet", so Krieg im DW-Gespräch. Dafür seien schon früher "hunderte ehemalige israelische Cyberspezialisten und Informationskrieger" rekrutiert worden.
Menschenrechtler besorgt
Menschenrechtler befürchten, dass die vereinbarte Aufnahme diplomatischer Beziehungen den Verkauf israelischer Überwachungstechnologien an die Emirate und deren Einsatz im Lande weiter vorantreiben wird. Im Ergebnis könnte dies auf eine noch effektivere Überwachung und eine noch stärkere Unterdrückung missliebiger politischer Aktivisten in den VAE hinauslaufen - mit technologischer Unterstützung aus Israel.
Hiba Zayadin, Golfregion-Expertin bei "Human Rights Watch", betont, die VAE hätten sich in den vergangenen zehn Jahren zu einem der autoritärsten Staaten in der Region entwickelt: "Sie betrachten jede Äußerung, die sie auch nur im entferntesten als kritisch oder negativ empfinden, als kriminellen Akt." Die Bürger der VAE zählten zu den am stärksten überwachten Bevölkerungen weltweit - "und das zu Teilen durchaus auch aufgrund des Erwerbs israelischer Technologie, Expertise und Spionage-Software", so Zayadin.
Menschenrechtsaktivist Khalid Ibrahim vom "Gulf Center for Human Rights" mit Sitz im vergleichsweise sicheren Beirut sieht die Situation in den Emiraten ähnlich düster. "Es ist eine sehr feindliche Umgebung." Diese Erfahrung hat der emiratische Menschenrechtsaktivist Ahmed Mansur am eigenen Leib gemacht. Die Software mit dem Namen "Pegasus", mit der sein Handy infiziert worden war, hätte Zugriff auf nahezu alle Funktionen seines Handys gehabt, darunter E-Mails, SMS- und WhatsApp-Nachrichten, sämtliche Kontakte, Kamera und Mikrofon. Auch über Mansurs Aufenthaltsorte hätte die Software konstant informieren können.
Zwar scheiterte die Cyber-Attacke an Mansurs Wachsamkeit. Doch juristisch half ihm das nicht: Im Mai 2018 wurde er zu zehn Jahren Haft und einer Geldstrafe von umgerechnet gut 225.000 Euro verurteilt. Das Gericht sprach ihn unter anderem schuldig, "falsche Informationen zum Schaden der VAE im Ausland" verbreitet zu haben.
Kersten Knipp & Tom Allinson
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