"Ihr legt euch mit der falschen Generation an"
"Ihr legt euch mit der falschen Generation an" ist einer der populären Slogans der vielen jungen Menschen, die seit Wochen in Myanmar demonstrieren. "Mein Ex ist schlimm, aber das Militär ist schlimmer" oder "Ich will keine Diktatur, sondern einen Liebhaber" sind weitere Parolen der jungen Generation. Denn ihr Protest richtet sich auch gegen eine konservative Gesellschaftsordnung, für die die Generäle und viele buddhistische Mönche stehen.
Immer mehr Bewohner aus armen Stadtvierteln und Angehörige ethnischer Minderheiten beteiligen sich an den Aktionen der Studierenden. Auch Beamte und Angestellte schlossen sich der "Generation Z" und ihrer "Bewegung des zivilen Ungehorsams" an, viele legten dafür sogar die Arbeit nieder. Bisheriger Höhepunkt war der Generalstreik am 22. Februar, an dem sich trotz der Gewaltandrohungen der Militärs Hunderttausende beteiligten.
"Generation Z" steht für die jungen Menschen, die um die Jahrtausendwende geboren wurden und durch die wenigen Jahre der vorsichtigen Öffnung des Landes geprägt worden sind. Offiziell haben die Streitkräfte erst 2015 die politische Macht an die Zivilbevölkerung abgetreten, nachdem sie das Land jahrzehntelang unterdrückt hatten.
Seitdem hat die Partei "National League for Democracy" (NLD) unter der Führung der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi versucht, den Einfluss des Militärs allmählich zu reduzieren.
Die Meinungs- und Pressezensur konnte sie etwas abmildern, es gab freie Wahlen, aber die Generäle kontrollieren bis heute große Teile von Wirtschaft und Justiz. Noch immer gilt die Verfassung von 2008, die den Militärs unabhängig von Wahlergebnissen ein Viertel der Sitze in den beiden Kammern und drei Schlüsselministerien garantiert: Verteidigung, Inneres und Grenzkontrollen.
Die Wahlen im November letzten Jahres endeten dennoch in einem Debakel für die militärnahe Partei USDP: Die NLD gewann 80 Prozent der Sitze bei den Parlamentswahlen. Vor der geplanten Parlamentseröffnung im Februar putschten die Militärs dann schließlich und inhaftierten Aung San Suu Kyi.
Situation der Rohingya
Keine Verbesserungen brachte die Regierung der NLD für die 1,5 Millionen muslimischen Rohingyas im Westen des Landes. Die Rohingyas werden in Myanmar als "bengalische Flüchtlinge" bezeichnet, allein das Wort Rohingya in den Mund zu nehmen, gilt in vielen Kreisen als anstößig.
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Als 2017 das Militär mit brutalen Mitteln 740.000 Rohingyas nach Bangladesch jagte, angeführt vom jetzigen Juntachef Min Aung Hlaing, schwieg die Friedensnobelpreisträgerin. Bereits die pogromartigen Angriffe buddhistischer Nationalisten 2013 auf die muslimische Minderheit rechtfertigte sie in einem Interview mit der BBC und leugnete den Völkermord an den Rohingya.
Viele Bamar – sie stellen mit knapp 70 Prozent die größte Ethnie in Myanmar - sehen die gegenwärtige Krise als einen Konflikt zwischen den Generälen und Aung San Suu Kyi. Aber mit der jungen Generation, die mit Smartphone und Internet aufgewachsen ist, könnte es mehr Veränderung geben als nur die einfache Rückkehr zur Machtteilung zwischen der NLD und dem Militär.
Die jungen Leute sind international vernetzt, einige orientieren sich an den studentischen Massenprotesten in Hongkong und Thailand. Die sozialen Medien spielen eine kaum zu unterschätzende Rolle: Bisher sei das Internet und hier vor allem Facebook, das in Myanmar als Synonym für das Netz gilt, für die Generation Z ein wichtiger Resonanzraum, den sie auch zur Mobilisierung nutzt.
Das schreibt die Tageszeitung taz, die seit 2013 insgesamt 45 Journalistinnen und Journalisten aus Myanmar zu Workshops nach Berlin eingeladen hatte und über zahlreiche Quellen in Myanmar verfügt. Als das Militär wenige Tage nach dem Putsch versucht habe, erst Facebook und dann das ganze Netz zu sperren, habe das die jungen Menschen aufgebracht und erst recht mobilisiert. Für viele sei ein Leben ohne Facebook nicht vorstellbar.
Andererseits waren die sozialen Medien bisher auch ein wichtiges Propagandainstrument buddhistischer Nationalisten, die Facebook für ihre islamophobe Propaganda nutzten und etwa den islamfeindlichen Film "Fitna" des Niederländers Geert Wilders burmesisch untertitelten. "Fitna" erfreute sich größter Beliebtheit unter jungen Leuten.
Als großer Fan von Geert Wilders und seinem Film bezeichnet sich auch der buddhistische Mönch Ashin Wirathu, den das Time Magazin 2013 als das "Gesicht des buddhistischen Terrors" bezeichnete. Er war maßgeblich verantwortlich für die anti-muslimischen Pogrome 2013. Wirathu ist nur die Spitze des Eisbergs – viele buddhistische Mönche in Myanmar halten den Islam für eine große nationale Bedrohung, obwohl der Anteil der Muslime an der Bevölkerung weniger als fünf Prozent ausmacht.
Nicht alle der 500.000 Mönche im Land sind so radikal wie Wirathu und rufen zur Gewalt gegen die muslimische Minderheit auf. Aber viele argumentieren in ihren Predigten mit der Geschichte und behaupten, dass Länder wie Afghanistan oder Indonesien früher buddhistisch gewesen seien und Myanmar das gleiche Schicksal einer "Islamisierung" drohe, wenn man nichts dagegen unternehme. Mitte Februar hat die Militärjunta im Rahmen einer Massenamnestie auch Ashin Wirathu aus dem Gefängnis entlassen.
Buddhistischer Nationalismus
"Die buddhistischen Mönche können die Menschen bei uns beeinflussen, kein Spitzenpolitiker kann es sich leisten, sie zum Gegner zu haben", sagt der 69-jährige Khin Zaw Win. Der politische Analyst lebt mit seiner Familie in Bauktaw, einem Vorort von Yangon. Dort hatte die radikale 969-Bewegung mit ihrem Anführer Wirathu vor wenigen Jahren noch zum Boykott muslimischer Geschäfte aufgerufen.
"Leider bin ich einer der wenigen Buddhisten in Myanmar, die ihren Mund gegen die Extremisten aufmachen. Das ist schon sehr frustrierend", so Win. Er hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich: In den 1980er Jahren hatte er sich der Demokratiebewegung angeschlossen und während der Militärdikatur Berichte für internationale Menschenrechtsorganisationen geschrieben. Dafür hat er elf Jahre im Gefängnis gesessen.
Die aktuellen Proteste machen ihm Hoffnung. "Alle religiösen Konfessionen haben sich zu den Protesten zusammengefunden, alte Mauern der Ausgrenzung brechen ein", so Win. Auf den Demonstrationen seien zunehmend Plakate zu sehen, die sich für die jahrelange Gewalt an den Rohingya entschuldigen und die Militärs eines Genozids bezichtigen.
Auch in den sozialen Medien nimmt die Zahl der solidarischen Stimmen mit den Rohingya zu. Spätestens seit die 33. Infanteriedivision am 20. Februar zwei Teilnehmer einer Demonstration in Mandalay, der zweitgrößten Stadt Myanmars, erschoss. Sie ist eine der zwei Divisionen, die sich bei der Hetzjagd auf die Rohingya 2017 mit Gräueltaten, Morden und dem Niederbrennen von Dörfern hervorgetan haben.
Auch wenn die Solidarität mit den Rohingya noch kein Massenphänomen ist: Sie macht Hoffnung. Auch den Rohingya, die in den Flüchtlingscamps in Bangladesch leben müssen. Viele schicken Bilder mit dem Drei-Finger-Zeichen, dem Symbol der Bewegung. In Yangon beteiligen sich sogar kleinere Gruppen von Rohingya offen an den Aktionen gegen die Generäle und werden von den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern freundlich begrüßt.
Khin Zaw Win und viele seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus der "Generation 88", die in den 1980er und 1990er Jahren gegen die Militärjunta protestierten, haben sich der aktuellen Bewegung ebenfalls angeschlossen. Beschäftigte, vor allem im Gesundheits- und Bildungsbereich, haben die Arbeit niedergelegt, außerdem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsmedien, des Transportwesens und der Energieversorgung.
Bemerkenswert ist die große Beteiligung von Beamten und Staatsangestellten, die früher den Generälen als Büttel dienten. Die Militärs haben nicht damit gerechnet, dass ganze Belegschaften von Behörden, Instituten, Versorgungsbetrieben und Krankenhäusern gegen ihren Putsch aufbegehren.
Noch unerwarteter für die Putschisten und deshalb von der Protestbewegung besonders bejubelt, sind Polizistinnen und Polizisten, die plötzlich den Drei-Finger-Protestgruß zeigen oder wie in der Stadt Pathein ihre Barrikaden wegräumen und den Demonstranten den Weg bahnen. Am 4. Februar hat eine 40-köpfige Polizeieinheit in Loikaw, eine Stadt an der Grenze zu Thailand, die Seite gewechselt. "Das hat es früher nicht gegeben", so Khin Zaw Win.
Es ist viel im Umbruch in Myanmar. Ob Aung San Suu Kyi als Gewinnerin oder Verliererin aus dem Konflikt hervorgeht, ist nicht ausgemacht. Sie sei zwar jetzt wieder in der "Rolle des Underdogs" und damit Sympathieträgerin, so Khin Zaw Win, "aber trotz ihrer Erfolge in der Vergangenheit hat sie das Land und seine Bevölkerung regelmäßig im Stich gelassen". Möglicherweise ergibt sich eine neue Perspektive jenseits von NLD und Militärs. Die junge Generation scheint das Potential dafür zu haben.
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