Alter Wein in neuen Schläuchen?
Die Unzufriedenheit über Obamas Nahostpolitik wächst: Die Mitchell-Mission befindet sich in der Sackgasse, und im Nahen Osten fragt man sich inzwischen, ob die Obama-Regierung nur gute Absichten oder auch eine wirkliche Strategie verfolgt. Aus Washington informiert Birgit Kaspar.
Während der Amtsübernahme US-Präsident Barack Obama im Januar wehte ein sanfter Wind der Hoffnung durch den Nahen Osten. Obama hatte erklärt, es sei ihm wichtig, die Nahost-Friedensverhandlungen wieder zu beleben, um einen umfassenden regionalen Frieden zu erzielen.
Doch im Nahen Osten ist das Hoffen in Bangen umgeschlagen. König Abdullah von Jordanien warnte in einem Interview mit der italienischen Zeitung "La Repubblica": "Der Horizont scheint in immer weitere Ferne zu rücken. Wenn es beim Status quo bleibt, dann gleiten wir in die Dunkelheit ab, mit allen vorstellbaren Konsequenzen."
Schon ist die Rede von der Möglichkeit einer dritten Intifada in den Palästinensergebieten.
Am zweiten Tag seiner Amtszeit hatte Obama den ehemaligen US-Senator und erfolgreichen Nordirland-Vermittler George Mitchell als Sondergesandten für den Nahen Osten ernannt.
James Pickup, ehemaliger Mitarbeiter und Vertrauter Mitchells, beschreibt ihn als äußerst zielorientiert und diszipliniert, er habe bewiesen, dass er seine Ziele erreiche, selbst wenn es sehr lange dauere. "Ich wäre sehr erstaunt, wenn Mitchell das Handtuch würfe", sagt Pickup.
Bescheidene Bilanz
Doch nach zehnmonatigen intensiven Bemühungen und sieben Vermittlungsmissionen in der Region sieht die Bilanz Mitchells bescheiden aus: Außer grundsätzlicher Absichtserklärungen zu einem Frieden und einer Zwei-Staaten-Lösung ist kein Fortschritt erkennbar.
Der für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich entschlossene Versuch, Israel zum vollständigen Einfrieren der nach internationalem Recht illegalen Siedlungen im Westjordanland zu bewegen, ist vorerst gescheitert. Washington ruderte nach der harschen israelischen Abfuhr zurück und versucht seither einen teilweisen und zeitlich begrenzten Stopp des Siedlungsbaus zu erreichen.
Doch damit schwinden nicht nur die Hoffnungen, den arabischen Staaten vertrauensbildende Maßnahmen abzuringen. Der politisch geschwächte Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, der höchstens noch für rund zwei Millionen Palästinenser im Westjordanland sprechen kann, hält zudem am Siedlungsstopp als Bedingung für eine Wiederaufnahme direkter Verhandlungen mit Israel fest.
Die radikal-islamische Hamas, die seit 2007 den Gaza-Streifen kontrolliert, lehnt Friedensverhandlungen mit Israel ohnehin ab. Es scheint, als befinde sich die Mitchell-Mission in der Sackgasse.
Immer tiefere Gräben
Im Nahen Osten fragt man sich inzwischen, ob die Obama-Regierung nur gute Absichten hat oder ob sie auch eine neue Strategie verfolgt. "Irgendwann muss die Administration der Tatsache ins Auge sehen, dass die Gräben zwischen beiden Seiten heute größer sind als gestern und selbst gestern waren sie schon unüberwindbar", meint Robert Malley, Direktor des Nahost-Programms der "International Crisis Group" und ehemaliger Nahostberater Bill Clintons.
Eine neue Strategie sei jedenfalls nicht unmittelbar erkennbar, so Malley. Es reiche nicht, beide Seiten mit mehr Nachdruck in die gleiche Richtung zu schieben, wenn sie nicht bereit seien, sich zu treffen. Nach 16 Jahren vergeblicher Vermittlungsversuche und spätestens jetzt müsse man die Frage stellen: "Welchen Teil des Puzzles haben wir vernachlässigt?"
Die Verhandlungen auf der Grundlage der Osloer Verträge (1993) und später der so genannten "Road Map" (2003) haben sich auf vertrauensbildende Maßnahmen, die Sicherheit Israels aber vor allem auf die Aufteilung des Landes konzentriert.
Der Fokus lag auf der Rückgabe der im Jahr 1967 besetzten Gebiete und dem Umgang mit Jerusalem, während die israelische Regierung eben dort den Siedlungsbau, den damit zusammenhängenden Ausbau von Siedlerstraßen und die Errichtung einer Trennungsmauer fortsetzte.
Damit wurden neue Hindernisse geschaffen. Doch Robert Malley ist der Meinung, dass es eine andere Dimension des Konfliktes ist, deren jahrelange Missachtung ein wichtiger Grund für mangelnde Fortschritte ist. Es gehe um die Wurzeln des Konfliktes von 1948: "Es gibt tief im Innern einen emotionalen, politischen und psychologischen Konflikt."
Ein niemals endender Konflikt?
Auf der einen Seite fühlten die Israelis, dass ihr Recht auf einen Staat in dem Gebiet, das sie als Heimat der Juden betrachten, niemals wirklich anerkannt worden sei, so Malley. "Die Palästinenser hingegen fühlen, dass all diese Verhandlungen letztlich das Ziel verfolgen, ihre Geschichte auszuradieren – inklusive der 1948 begründeten Ansprüche."
Nicht zuletzt deshalb sei die Forderung des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu nach Anerkennung Israels als "jüdischem Staat" in Israel so populär. Und auf palästinensischer Seite könne sich kein Politiker leisten, das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge aufzugeben. Wenn man ein Ende des Konfliktes anstrebe, dann müsse man diese Kernproblematik mit einbeziehen, betont Malley.
In Washington gibt es allerdings keinerlei Anzeichen dafür, dass die Obama-Administration derzeit darüber nachdenkt. Ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter erklärte, man habe zwar den Eindruck, der Prozess sei entgleist, aber er sei weiter zuversichtlich. Auch wenn man vielleicht nicht alles erreiche, was man sich vorgestellt habe.
Nachdem der Sondergesandte Mitchell in Sachen Siedlungsstopp in Israel auf Granit gebissen hat, versucht er nun ein Siedlungs-Kompromisspaket zu schnüren und gleichzeitig eine Einigung über die groben Linien künftiger Verhandlungen zu erzielen.
Kaum Chancen für einen Durchbruch
James Dobbins, Direktor für internationale Sicherheit und Nahostexperte der regierungsnahen "RAND-Corporation" in Washington, sieht derzeit kaum Chancen für einen Durchbruch.
Die israelische wie die palästinensische Regierung seien sehr schwach, meint Dobbins. "Außerdem akzeptiert die israelische Regierung nicht die Lösung, die von der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird. Die Palästinenserführung mag sie wollen, aber ihr dürfte der Rückhalt in der Bevölkerung fehlen."
Darüber hinaus scheint Washington nach wie vor keine Absicht zu haben, mit der radikal-islamischen Hamas, die 2006 die Parlamentswahlen in den Palästinensergebieten gewann und seit Sommer 2007 den Gaza-Streifen kontrolliert, direkt umzugehen.
Aus dem US-Außenministerium heißt es, die Hamas sei ein ernsthaftes Problem. Und solange sie die Standards des Nahost-Quartetts – das heißt vor allem eine Anerkennung Israels sowie der bisherigen Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern – nicht akzeptiere, bleibe sie für die US-Regierung eine Terrororganisation.
Das gleiche gilt für die schiitische Hisbollah im Libanon, die zudem im State Department als internationale Bedrohung angesehen wird. Beide Organisationen werden vom Iran politisch, finanziell und mit Waffen unterstützt. Letzteres dementiert Teheran allerdings.
Nahost-Konflikt und Iran-Krise
Auch deshalb ist der Nahost-Konflikt mit der Iran-Krise verknüpft und das sieht die Obama-Regierung, die in der Nuklearfrage bislang auf Diplomatie setzt. Die Wahrscheinlichkeit eines US-Militärschlages, sollten die Verhandlungen letztlich scheitern, hält Karim Sadjapour, Iran-Experte der "Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden", für gering.
Doch falls die Gespräche mit Teheran in rund einem Jahr noch ohne greifbares Ergebnis seien, könnte sich Washington in einer schwierigen Position Israel gegenüber befinden.
"Ich glaube zwar, sie werden den Israelis rotes Licht geben, weil sie keinen israelischen Angriff wünschen", so Karim Sadjapour, "aber ich denke, Israel wird gar nicht erst um Erlaubnis fragen." Dass ein solcher Militärschlag die Karten im gesamten Nahen Osten neu mischen könnte, daran hat auch in Washington kaum jemand einen Zweifel.
Einige Beobachter fragen sich inzwischen, wie viel politisches Kapital Präsident Obama im Palästinakonflikt tatsächlich einsetzen will. Stehen doch für ihn nationale Themen wie die Gesundheitsreform und die Wirtschaftskrise derzeit ganz oben auf der Tagesordnung. Gefolgt von Afghanistan, Iran und Irak. James Pickup, der Vertraute Mitchells, ist sich jedoch sicher:
"Der Friedensprozess wird als wichtig für die nationalen Sicherheitsinteressen angesehen." Deshalb bleibe er eine Priorität. Dass Mitchell sich weiter bemühen und Washington das Thema Nahost-Frieden nicht vertagen werde, das glaubt auch James Dobbins von der "RAND-Corporation".
Es liege einerseits an den ehrlichen Absichten der Obama-Regierung, aber auch an einem Public-Relations-Kalkül. "Es kostet sie nicht viel."
Fernab amerikanischer Kontrolle
Das offensichtliche Desinteresse der Bush-Regierung in den ersten Jahren sei für das Ansehen der Amerikaner in der Region sehr kostspielig gewesen, so Dobbins:
"Ich glaube, es ist wichtig zu zeigen, dass fehlende Fortschritte im Friedensprozess nicht auf mangelndem Engagement Washingtons basieren, sondern darauf, dass es Umstände gibt, die sich amerikanischer Kontrolle entziehen."
Es scheint als hätte die US-Regierung zwar keine neue Strategie im Nahen Osten, aber sie hat zumindest erkannt, dass alle Probleme irgendwie miteinander verknüpft sind und dass die Palästinafrage in der öffentlichen Meinung in der Region sowie als Motivationsfaktor oder Vorwand für diverse Radikale ein entscheidender Faktor ist.
Birgit Kaspar
© Qantara.de 2009
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