Schreiben im Land der Angst
"In Schweden oder Finnland Journalist zu sein, hat keine Bedeutung", sagte der ehemalige "Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar in einem Interview. "Aber es hat Bedeutung in der Türkei. In normalen Zeiten kann jeder Journalismus machen. Jetzt ist die Zeit für wahre Journalisten zu zeigen, was sie können."
Eine Aussage, der jeder Berichterstatter wohl nur zustimmen kann. Denn während wir vor den Gezi-Protesten auch durchaus hoffnungsvolle Geschichten zu erzählen hatten, sind wir mittlerweile zu reinen Krisenberichterstattern geworden, die selbst viel zu häufig Thema der Berichterstattung sind.
Nach den Gezi-Protesten berichteten wir über eine gigantische Korruptionsaffäre, den Kampf zwischen Recep Tayyip Erdoğan und seinem einstigen Weggefährten und jetzigen Feind Fethullah Gülen. Wir erlebten eine bis heute anhaltende Terrorwelle durch mutmaßliche Dschihadisten des "Islamischen Staates" (IS) und der kurdischen Arbeiterpartei PKK, das Ende des Friedensprozesses zwischen Ankara und den Kurden sowie die Inhaftierung demokratisch gewählter Abgeordneter. Wir erlebten einen Putschversuch und eine nicht enden wollende "Säuberungswelle". In keinem westlichen Land sitzen so viele Journalisten im Gefängnis wie in der Türkei. Nahezu täglich werden türkische Kollegen festgenommen, inhaftiert, Redaktionen gleich ganz geschlossen.
Die Regierung registriert alles
Wer in der Türkei als Journalist arbeitet, der hat einen ständigen Begleiter: die Regierung. Denn die registriert ganz genau, was die Auslandskorrespondenten machen. Es wird mitgelesen, mitgeschaut, mitgehört. Als Erdoğan 2003 als Ministerpräsident antrat, belegte die Türkei auf einer Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) Platz 116 von 180 Staaten.
Mittlerweile ist sie auf Platz 151 abgerutscht. 774 Journalisten wurde nach Angaben der sozialdemokratischen türkischen Oppositionspartei CHP allein 2015 gekündigt, weil sie eine unliebsame Meinung vertraten. In der Folge des gescheiterten Putschversuchs vom 15. Juli wurde die staatliche Repression noch stärker: Mehr als 140 kritische Journalisten wurden festgenommen. ROG definiert Erdoğan nun erstmals als "Feind der Pressefreiheit".
Die Regierenden suchen sich immer gezielter aus, wer berichten darf und wer nicht. Auch die Auslandskorrespondenten geraten zusehends unter Druck. Immer mehr ausländische Berichterstatter werden an der Einreise gehindert, werden bedrängt oder bekommen erst gar keinen Presseausweis vom türkischen Presseamt ausgestellt. Wer das gelbe Plastikkärtchen aber nicht erhält, dem fehlt automatisch die Arbeitserlaubnis und der bekommt auch keine Aufenthaltsgenehmigung - der muss also zwangsweise gehen.
Ein Land der Angst
Kritik aus dem Ausland interessiert den türkischen Staatschef nicht. "Mir ist es egal, ob sie mich Diktator oder irgendetwas anderes nennen - das geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus", sagte Erdoğan kürzlich. So wächst der Autoritarismus. Erdoğan hat es geschafft, dass die Türkei zu einem Land der Angst geworden ist. Kinder müssen sich davor fürchten, wegen eines Erdoğan-kritischen Facebook-Postings hinter Gitter zu kommen.
Die Türkei unter Erdoğan ist zu einem Land geworden, in dem kritische Bücher aus den Läden verbannt werden. Die Menschen müssen damit rechnen, dass sich ein Terrorist des IS neben ihnen in die Luft sprengt und die Regierung nur hilflose Maßnahmen ankündigt. Eine Studie des Global Peace Index von 2015 listet die friedlichsten Länder der Welt auf - die Türkei rangiert auf Platz 135 von 162 Ländern.
Erdoğans Kernwählerschaft - die Konservativ-Frommen - erfahren sowieso nichts von all den Negativschlagzeilen, weil Erdoğan die meisten Medien kontrolliert und weil ihnen die rhetorische Feindmarkierung gefällt. Sie wollen Teil sein von Erdoğans hyperzentralistischem System, dessen Institutionen mittlerweile bis in die Kapillaren mit seinen Leuten besetzt sind. Sie jubeln ihm sogar zu, wenn er wieder einmal die ausländische Presse als "Agenten" und "Spione" denunziert.
Die Hoffnung wohnt hier nicht
"Seit Tagen habt ihr verlogene Nachrichten produziert", beschimpfte Erdoğan die Journalisten im Juni 2013 vor tausenden seiner Anhänger in Istanbul. "Ihr habt der Welt eine andere Türkei gezeigt, aber ihr seid allein geblieben mit euren Lügen. Diese Nation ist nicht die Nation, die ihr der Welt präsentiert habt." Wie immer bei solchen Veranstaltungen jubelten ihm die Menschen zu, ertönten Rufe: "Lasst sie uns zerquetschen."
Inzwischen ist es in der Türkei so weit: Viele Journalisten sind "zerquetscht" worden - durch Entlassungen, durch Verhaftungen, durch Bedrohungen. Es ist eine Zeit gekommen, in der es tatsächlich eine Bedeutung hat, in diesem Land als Journalist zu arbeiten. Nur dass es zurzeit nicht so leicht ist, aus der Türkei hoffnungsvolle Geschichten zu erzählen.
Çiğdem Akyol
© Deutsche Welle 2016
Çiğdem Akyol (38) ist eine deutsche Journalistin und Autorin mit türkisch-kurdischen Wurzeln. Heute lebt sie in Istanbul.