Journalismus im Ausnahmezustand

Schwierig waren die Arbeitsbedingungen kurdischer Journalisten in der Türkei seit jeher. Doch seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli des Jahres wird ihre Arbeit in alarmierender Weise verhindert. Informationen von Sonja Galler aus Diyarbakır

Von Sonja Galler

Anklagen wegen vermeintlicher Terrorismusunterstützung oder Präsidentenbeleidigung, Sperrung von Twitter-Accounts und Behinderungen bei der Vorort-Recherche, Bedrohungen auf der Straße und in den Sozialen Medien, all das gehörte schon seit Jahren zum Alltag kritischer Journalisten in der Türkei.

Wer zudem aus der kurdischen Region berichtete, stand immer unter besonderer Beobachtung und wurde von Behörden und Justiz hart angefasst. Seit der Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK im vergangenen Jahr zum Erliegen kam, verschlechterten sich die ohnehin schwierigen Arbeitsbedingungen zusehends.

Und doch haben die Verhaftungen, Entlassungen und Schließungen von Medien seit dem gescheiterten Putschversuch Mitte Juli und der anschließenden Verhängung des Ausnahmezustandes eine neue Qualität erlangt, die man nicht als bloße Steigerung des Bisherigen begreifen könne. So denkt die freie kurdische Journalistin Hatice Kamer, die für die u.a. für die BBC aus Diyarbakır berichtet.

Selbst für Journalisten, die wie Kamer für internationale Medien tätig sind, ist es inzwischen fast unmöglich geworden, zu arbeiten: "An jeder Ecke werden unsere Ausweise kontrolliert, der Zutritt zum Geschehen wird uns verweigert, Kollegen werden verhaftet. Inzwischen behindert man sogar den Zugang zum Internet." In der Stimme der erfahrenen Journalistin schwingt Erschöpfung mit.

Dass kritische Autoren an Leib und Seele bedroht sind, hat sie selbst erfahren: Als sie mit Kollegen im vergangenen Juni von einem Bombenanschlag auf eine Polizeistation bei Midyat berichten wollte, wurden sie von einer Gruppe Anwohner beschimpft und tätlich angegriffen. Kamer wurde durch einen Stein schwer am Kopf verletzt. Die Polizei griff erst spät in das Geschehen ein.

Journalismus in Zeiten der Internetsperre

Seit der Verhaftung der beiden Oberbürgermeister von Diyarbakır, Gülten Kışanak und Fırat Anlı, Mitte Oktober ist im Südosten des Landes der Zugang zu Sozialen Netzwerken, wie Facebook, Twitter, aber auch WhatsApp, immer wieder gesperrt worden. Die Internetverbindung kommt nur zeitweise zustande. Nicht nur für Journalisten sind das katastrophale Zustände.

Selahattin Demirtaş; Foto: picture-alliance/AP/B. Ozbilici
Im Visier der Erdoğan-Diktatur: Die türkische Regierung hatte am Freitag mit der Festnahme von neun HDP-Politikern, darunter die beiden Parteichefs Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, international für Empörung gesorgt. Aus Protest werden die übrigen HDP-Abgeordneten ab sofort weder an Parlamentsdebatten noch an der Ausschussarbeit teilnehmen, wie die Partei erklärte. Die HDP ist mit 59 Sitzen drittstärkste Kraft im türkischen Parlament. Den neun inhaftierten Abgeordneten werden Mitgliedschaft in der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und "Terror-Propaganda" angelastet. Ankara wirft der Partei vor, der politische Arm der PKK zu sein, was die HDP zurückweist.

Auch in der Nacht vom vergangenen Donnerstag auf Freitag, als Spitzenpolitiker der HDP, darunter Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, in ihren Häusern festgenommen wurden, blieb Journalisten vor Ort nichts anderes übrig, als ihre Nachrichten per Telefon oder im SMS-Format an Kollegen im Westen des Landes zu übermitteln.

Nur Mitarbeiter der staatlichen Agentur Anadolu hätten direkt vom Tatort berichten können, als am nächsten Morgen ein Bombenanschlag in der Nähe eines Polizeigebäudes in Bağlar-Diyarbakır verübt wurde, erzählt Cihan Ölmez von der inzwischen geschlossenen Nachrichtenagentur DIHA.

Dass die Internetverbindung nicht nur gekappt wird, um den journalistischen Informationsfluss zu verlangsamen, sondern auch um eine politische Mobilisierung zu verhindern, darin sei man sich hier einig: Ist die Verhaftung der Politiker, die als Symbolfiguren der kurdischen Bewegung gelten, in der ohnehin explosiv aufgeladenen Situation ein weiterer Schlag der höchsten Brisanz.

Erst Anfang des Schuljahres waren rund 11.000 kurdische Lehrer wegen vermeintlicher Terrorunterstützung suspendiert worden, 4.000 davon allein in Diyarbakır. In rund 25 HDP-regierten Kommunen wurden inzwischen die Bürgermeister abgesetzt und die Kommunen unter Zwangsverwaltung gestellt.  

Gerade Facebook und Twitter hatten sich im letzten Jahr, als sich kurdische Kämpfer und türkische Armeeeinheiten auch in der Altstadt von Diyarbakır schwere Gefechte lieferten, als wichtige Quelle erwiesen: Zeitweise im Minutentakt, wenn auch nicht immer nachprüfbar, berichteten sie von den verschiedenen Brennpunkten der Stadt, während die Mehrheit der türkischen Medien schwieg oder auf die "tapferen Bemühungen" der Sicherheitskräfte fokussierte, und zivile Opfer indes kaum eine Erwähnung fanden.

“Die Kurden sind voller Wut und wollen ihren Protest zum Ausdruck bringen. Doch jede Form von Protest, Versammlung und Demonstration wurde per Notstandsgesetz verboten. Die Sperre zielt darauf, die Stimmen der Kurden zum Schweigen zu bringen, zu verhindern, dass die Öffentlichkeit von den Entwicklungen in der Region erfährt“, schreibt die Journalistin Nurcan Baysal ("Writing from Diyarbakır under blockade", 1.11.2016).

Medienschließung per Notstandsdekret

Erst Ende Oktober hatte die Regierung per Notstandsdekret in einer dritten Welle noch einmal 15 weitere Medienanstalten schließen lassen. Darunter überwiegend prokurdische Einrichtungen, wie die Nachrichtenagentur DIHA, die mit ihrem weitverzweigten Mitarbeiternetz in den Kurdengebieten ein wichtiges, wenn auch keineswegs immer objektives Gegengewicht zu Anadolu darstellte.

Die kurdische Journalistin Hatice Kamer; Foto: Sonja Galler
Selbst für Journalisten, die wie die Journalistin Hatice Kamer Kamer für internationale Medien tätig sind, ist es inzwischen fast unmöglich geworden, zu arbeiten: "An jeder Ecke werden unsere Ausweise kontrolliert, der Zutritt zum Geschehen wird uns verweigert, Kollegen werden verhaftet. Inzwischen behindert man sogar den Zugang zum Internet."

Damit, dass nach den Schließungen tatsächlich oder vermeintlich Gülen-naher Medien, die Repressalien nun in voller Wucht auch kurdische Medien treffen, habe man gerechnet, sagt Ölmez. Seit Schließung von DIHA versuchen er und seine Kollegen ihre Arbeit fortzuführen. Aufnahmegeräte und Videokameras kommen an öffentlichen Schauplätzen nicht mehr zum Einsatz.

Welche Schwierigkeiten sich durch den Wegfall von Agenturen für die Arbeit von Journalisten ergeben, verdeutlicht auch Kamer: "Wenn keine Agentur im Rücken steht, bedeutet das für uns ein massives Sicherheitsproblem. Veröffentlichen wir Brisantes unter eigenen Namen, werden wir unmittelbar zum Ziel."

Auch die von Frauen betriebene Agentur JINHA wurde geschlossen, ebenso wie die Tageszeitungen Özgür Gündem (in ihrer Geschichte schon 50 Mal verboten) und die kurdischsprachige Azadiya Welat. Fernsehsender wie IMC TV, Azadi TV, aber auch der kurdische Kinderkanal Zarok TV hatte man bereits Anfang Oktober geschlossen.

Die Zahl der geschlossenen Medien und Verlage, die laut Regierung "die nationale Sicherheit bedrohen", liegt damit bei rund 160. Nach mehreren Verhaftungs- und Schließungswellen im Zuge des derzeitigen Ausnahmezustands untersteht ein Großteil der relevanten Nachrichtenmedien somit direkter staatlicher Kontrolle.

"Das Ausgeliefert-Sein ist das Schlimmste"

Was dieser permanente Druck mit Journalisten macht, die in Diyarbakır zu reinen Krisenberichterstattern werden, hat die Berliner Filmemacherin Ariana Dongus untersucht, die 2015/16 für ihren Dokumentarfilm Shooting Images drei kurdische Journalisten begleitet hat: "Was mir bei meiner Arbeit mit den Journalisten immer wieder aufgefallen ist, ist die Wucht, mit der sich die politischen Konflikte in jeder Sekunde des Lebens abzeichnen. Für den Film habe ich auch mit einer Fixerin gearbeitet, die es sehr treffend formulierte: 'Es ist, als ob die Situation bis auf die Knochen in unser Gemüt einwirkt. Morgens checken wir als erstes Social Media Feeds und schalten den Fernseher ein und fragen uns: was passiert als Nächstes.' Das Ausgeliefert-Sein ist das Schlimmste."

Wie alarmierend die Zustände sind, bringt auch ein Herausgeber eines kurdischen Literaturmagazins, der namentlich nicht genannt werden will, zum Ausdruck: "Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die Schließungen nicht nur auf die Unterbindung politischer Aktivität abheben, sondern die fundamentale Schwächung der kurdischen Kultur in der Türkei, in der ganzen Region zum Ziel haben".

Die Schließung eines intellektuellen Magazins wie Tiroj mit einer kleinen Leserschaft, aber auch die Verhaftung der kurdischen Autorin und Übersetzerin Fahriye Adsay seien beispielhaft dafür, wie man versuche, Angst und Schrecken vor jeder Art der Meinungsäußerung zu verbreiten. Er spricht darüber, wie sich Anfang 2000 Diyarbakır zum kurdischsprachigen Kulturzentrum entwickelt habe, wie viele Verlage und Magazine es inzwischen gebe. "Ich hätte nicht gedacht, dass man uns all das noch mal nehmen könnte."

Sonja Galler

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