Theologischen und rituellen Anforderungen gewachsen
Samstagmittag im Pfarrhaus der Sankt Mauritius Kirche in Köln-Buchheim: Für Katrin Vossoughi findet hier die letzte Trainingseinheit zur Notfallbegleiterin für Muslime statt, bevor sie ihren ersten Einsatz haben wird, nämlich Menschen in größter seelischer Not beizustehen, bei plötzlichem Kindstod, Selbstmord, oder anderen Notsituationen.
Allerdings wird die 30 Jahre alte Ärztin aus Köln vor allem muslimischen Betroffenen beiseite stehen, als Muslimin, die ihre Sprache spricht, ihre Religion kennt und die Betroffenen deshalb ganz anders erreichen kann.
Strukturen müssen noch aufgebaut werden
Seit gut einem Jahr gibt es im Kölner Raum eine Gruppe muslimischer Notfallbegleiter, die in Krisensituationen vor Ort erste Hilfe für die Seele leisten. Ehrenamtliche Begleiter, die in einem sechstägigen Grundkurs ausgebildet werden, den die Christlich-Islamische Gesellschaft in Zusammenarbeit mit den Kirchen und muslimischen Organisationen anbietet.
Zum zweiten Mal erst findet solch eine Ausbildung statt, bei der jetzt auch Katrin Vossoughi die Qualifikation zur Zusammenarbeit mit örtlichen Notfallseelsorgediensten erwirbt.
Bislang gibt es keine Strukturen einer muslimischen Notfallseelsorge in Deutschland, erklärt Thomas Lemmen, Geschäftsführer der Christlich-Islamischen Gesellschaft.
"Seelsorge ist ein christlich geprägter, theologisch geprägter Begriff. Ein Äquivalent, das genau passt, gibt es im Islam nicht. Aber es gibt im Islam die Pflicht des Einzelnen und der Gemeinschaft, Menschen in Not beizustehen." Daher werde auch begrifflich differenziert, auf muslimischer Seite spricht man von "Notfallbegleitung".
Hilfreiche Sprachkompetenz
Bei der Kölner Notfallseelsorge, die seit 2010 mit der muslimischen Notfallbegleitung kooperiert, ist man überzeugt, dass gemeinsame Religion und Sprachkompetenz mehr Möglichkeiten im Einsatzfall bieten. Das bestätigen Hülya Dogan und Miyesser Ildem.
Beide sind muslimische Notfallbegleiterinnen der ersten Stunde. "Ich habe einer jungen Frau beigestanden, die ihr Kind verloren hat. Da wir beide denselben Migrationshintergrund haben und auch dieselbe Religion, konnte ich mich besser in ihre Lage versetzen, ihr bei der Bewältigung der Situation helfen", sagt Hülya Dogan.
Ihre Kollegin Miyesser Ildem wurde wegen des Suizids eines Familienvaters zu Hilfe gerufen. "Ein wichtiger Schlüsselmoment in dieser Familie war die Sprache, da sie nicht stark religiös orientiert war. Es war ein Schlüssel um an diese Personen heran zu kommen. Es gibt andere Familien, wo die Religion einen größeren Stellenwert hat, denen es dann hilft, ein Gebet zu sprechen", berichtet Miyesser Ildem.
Besondere Anforderungen
Gemeinsame Sprache, Religion oder Migrationshintergrund können in Notfallsituationen helfen, um die Betroffenen zu erreichen, um sie zu stützen. Eine längere fachmännische Begleitung über psychosoziale Dienste etwa, wird auf Wunsch hin vermittelt.
Die Einsätze zu denen Hülya und Miyesser gerufen werden, sind für Christen wie Muslime zwar dieselben, dennoch gibt es besondere religiöse Rituale, die Sanitäter vor Ort nicht wissen können. Weibliche Leichen etwa dürfen nicht von Männern berührt werden; ein um die Tote gewickeltes Tuch, kann hier schon zur Beruhigung der Angehörigen beitragen.
Über die unterschiedlichen Anforderungen eines Seelsorgers vor Ort werden die muslimischen Kursteilnehmer in Tagesseminaren informiert. Dort erfahren sie, wie man sich vor Ort verhält, was für ein helfendes Gespräch unabdingbar ist oder wie man Todesnachrichten überbringt.
Was im Kölner Raum schon seit einem Jahr praktiziert wird, soll nun nach gleichem Muster auch in Bonn aufgebaut werden. Die Seminare dazu werden ebenfalls von der Christlich-Islamischen Gesellschaft in Köln angeboten.
Finanziert werden die Schulungen mit Unterstützung des Landespfarramtes für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland, durch Spenden sowie der ehrenamtlichen Tätigkeit der Mitarbeiter.
Ulrike Hummel
© Deutsche Welle 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de