Vorgezeichnete Konflikte
Im Sudan finden in Kürze zwei wichtige Wahlen statt, die jedoch von einer katastrophalen humanitären Lage und einer fragilen Sicherheitslage überschattet werden. Experten warnen daher bereits jetzt: Wahlen allein machen ein Land nicht zur Demokratie. Christian Jahn berichtet.
Im kommenden April muss die sudanesische Bevölkerung gleich eine ganze Anzahl von Rollen neu verteilen.
Sie muss den Staatspräsidenten für Gesamtsudan, den Präsidenten für Südsudan, die Gouverneure der 26 Bundesstaaten im Norden und Süden sowie die Mitglieder der Parlamente der Nationalversammlung in Khartum und in den Bundesstaaten neu wählen.
Wenn im Januar 2011 die Übergangszeit nach dem Friedensabkommen von 2005 endet, wird die südsudanesische Bevölkerung in einem Referendum zudem entscheiden, ob sie sich vom Norden trennen und einen eigenständigen Staat bilden will.
Es ist zu erwarten, dass die Mehrheit für Unabhängigkeit votiert. Ob die Machthaber in Khartum das hinnehmen, ist fraglich: Im Süden liegt der Großteil der Ölvorkommen des Sudans. Khartum hat großes Interesse, den Zugriff auf diese Ressourcen zu behalten.
Der Norden hat sich im Friedensabkommen von 2005 verpflichtet, einer möglichen Sezession zuzustimmen. Zuvor gibt es jedoch viel zu klären. Etwa die noch offene Grenzziehung zwischen Norden und Süden und die Verteilung der Öleinnahmen, sollte es zur Sezession kommen.
Die Rahmenbedingungen sind denkbar schwierig. Die humanitäre Lage ist verheerend und vor Angriffen sind nicht einmal mehr internationale Helfer sicher.
Verheerende Sicherheitslage
Zudem hat 2009 der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) einen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Umar Hasan Ahmad al-Bashir – und damit erstmals gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt – erlassen. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit in fünf und Kriegsverbrechen in zwei Fällen zur Last gelegt.
Der UN-Sicherheitsrat hatte den Internationalen Strafgerichtshof 2005 beauftragt, die Vorkommnisse in Darfur zu untersuchen. Durch die UN-Resolution ist der Sudan rechtlich zur Zusammenarbeit mit dem IStGH verpflichtet. Die Regierung verweigert dies aber bislang.
Der Sudan ist das größte afrikanische Land und wie kaum ein anderes von Leid und Not geplagt. In Darfur bekämpfen sich Rebellengruppen, sudanesisches Militär und bewaffnete Milizen.
Seit Konfliktausbruch 2003 sind dort laut UN mehr als 300 000 Menschen ums Leben gekommen. Es gibt 2,7 Millionen Binnenvertriebene, Hunderttausende sind in den Tschad und die Zentralafrikanische Republik geflohen.
Die Auseinandersetzungen haben zwar abgenommen, die Sicherheitslage bleibt aber verheerend. Blauhelme der UN und der Afrikanischen Union können die Menschen kaum beschützen.
Die sudanesische Regierung überlässt Versorgung und Schutz der Bevölkerung in Darfur weitgehend internationalen Hilfsorganisationen, kümmert sich aber nicht um deren Schutz. Immer häufiger werden Helfer von Banditen angegriffen. Derweil führt die Regierung weiter Krieg gegen etliche Rebellengruppen.
Im Südsudan gab es 2009 noch mehr Tote durch gewaltsame Konflikte als in Darfur – mindestens 360 000 Menschen mussten fliehen. Die Lord's Resistance Army (LRA) – eine Rebellengruppe aus Norduganda, die in den letzten Jahren auch aus dem Kongo und der Zentralafrikanischen Republik agiert – dringt immer wieder in den Südsudan vor, brennt Dörfer nieder und verschleppt Kinder und Frauen. Auch gibt es immer mehr Stammeskonflikte, die über die üblichen Konflikte wegen Weide- und Wasserrechten hinausgehen.
Ferner nehmen die Spannungen zwischen Norden und Süden zu, je näher das Referendum rückt. Der Süden wirft dem Norden vor, die Konflikte durch Waffenlieferungen an einzelne Gruppen gezielt zu verschärfen. Der Norden verspottet die südsudanesische Übergangsregierung für ihre Unfähigkeit, ihre eigene Bevölkerung zu schützen.
Kein Frieden in Sicht
Seit der Unabhängigkeit 1956 haben die Sudanesen keinen andauernden Frieden erlebt. Heute leben 39 Millionen Menschen im Land. 1989 putschte sich der damalige Leutnant Bashir an die Macht. Seither regiert er das Land nach islamisch-fundamentalistischem Muster.
22 Jahre dauerte der längste Krieg zwischen der Regierung im Norden und den Rebellen im Süden – er endete im Januar 2005 mit Unterzeichnung des Friedensabkommens. Ein Jahr später wurden Friedensabkommen für die Regionen im Osten unterschrieben und auch für Darfur – dort allerdings beteiligten sich nicht alle Rebellengruppen.
Zahlreiche Binnenflüchtlinge im Sudan sind auf ausländische Hilfe angewiesen. Für den Süden ist die ersehnte Friedensdividende kaum ersichtlich. Die Infrastruktur ist zerstört. Mehr als zwei Millionen Flüchtlinge sind seit 2005 in den Südsudan zurückgekehrt, dort aber oft schlechter versorgt als in den Lagern in den Nachbarländern. Es gibt nicht genügend Schulen und Lehrer und keinen Zugang zu Basisgesundheitsversorgung.
Nirgendwo auf der Welt ist die Kinder- und Müttersterblichkeit größer als im Südsudan. Schnelle Abhilfe kann auch die internationale Entwicklungszusammenarbeit nicht schaffen.
Es fehlt nicht das Geld – die internationale Gemeinschaft hat in verschiedenen Finanzierungsinstrumenten Mittel zur Verfügung gestellt – doch häufig wird es nicht schnell genug eingesetzt. Die Vielzahl von Finanzierungsinstrumenten verzögert oft die Umsetzung von Maßnahmen; es findet keine Abstimmung statt, die Verfahren sind häufig zu bürokratisch.
Auch fehlt es der erst seit 2005 für die Entwicklung des Südens verantwortlichen Übergangsregierung auf allen politischen und administrativen Ebenen an ausgebildetem Personal. Mehr als 20 Jahre Bürgerkrieg haben ihre Spuren hinterlassen.
Verpasste Chancen
Bashir betrachtet den Konflikt in Darfur als inneres Problem. Durch den Haftbefehl jedoch hat sich der Druck erhöht: Sämtliche Unterzeichnerstaaten des Römischen Statuts – davon allein 30 aus Afrika – sind verpflichtet, Bashir auszuliefern, sollte er sich in ihrem Land aufhalten. Bisher konnte Bashir sich jedoch immer durch politische Allianzen retten.
Das belegt auch eine Analyse der International Crisis Group vom Juli 2009 (Sudan: Justice, Peace and the ICC. Africa Report No. 152). Darin wird deutlich, dass Bashir und seine Partei, die National Congress Party (NCP), es bislang immer geschafft haben, ihre Interessen durchzusetzen. Zugleich wurde nie jemand für die Verbrechen in Darfur verantwortlich gemacht.
Bashir und die NCP konnten aus sämtlichen Friedensabkommen die Fragen nach Gerechtigkeit und Verantwortung heraushalten. Die International Crisis Group warnt daher davor, jetzt, wo alle Welt auf die Wahlen und die Einhaltung des Friedensabkommens schaut, erneut die Chance zu verpassen, Bashir und andere Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Man solle Bashir und der NCP auch keine kurzfristigen Zugeständnisse machen. Und ohne konkrete Bedingungen dürfe der Haftbefehl gegen Bashir auf keinen Fall durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats für ein Jahr ausgesetzt werden.
Alles dreht sich um die Wahlen im April und das Referendum im kommenden Jahr. Dabei muss nicht nur vor Zugeständnissen an die Regierung in Khartum gewarnt werden, sondern auch vor der Idee, dass die Wahlen im Sudan automatisch zu mehr Demokratie führen. Noch heute werden lokale und nationale Entscheidungen häufig entlang ethnischer Zugehörigkeiten getroffen.
Paul Collier belegt in seinem neuesten Buch "Wars, Guns, and Votes. Democracy in Dangerous Places" (2009), dass Wahlen in Post-Konfliktstaaten nicht unbedingt mehr Demokratie bringen. Im Gegenteil erhöhen sie unter Umständen sogar das Risiko eines erneuten Kriegsausbruchs. Es ist also wichtig, Erkenntnisse aus anderen Post-Konfliktstaaten genau zu analysieren. Wahlen dürfen nicht um jeden Preis abgehalten werden.
Für die Bevölkerung ist – unabhängig von den Wahlen – eines wichtig: dass schnellstmöglich zumindest die Basisversorgung sichergestellt wird. Die Regierung im Süden braucht Unterstützung, um die Bedingungen für wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern. Während des Bürgerkriegs wurde dort wesentlich mehr zerstört als im Norden.
Mitbestimmung der Bevölkerung bedeutet, sie an Entscheidungen zu beteiligen. Die internationale Gemeinschaft muss im Sudan mehr Geduld für Veränderungsprozesse aufbringen als in anderen Entwicklungsländern, und diese behutsam begleiten.
Am wichtigsten ist es, die junge Regierung im Südsudan beim Aufbau neuer Strukturen zu unterstützen und die Lebenssituation der Menschen zu verbessern. Zugleich muss verhindert werden, dass die Menschen sich an die ausländische Hilfe gewöhnen und ihre eigenen Fähigkeiten nicht entwickeln.
In Post-Konfliktsituationen wie dieser ist für den entwicklungspolitischen Ansatz "Hilfe zur Selbsthilfe" ein besonders langer Atem nötig.
Christian Jahn
© Zeitschrift Entwicklung & Zusammenarbeit 2010
Qantara.de
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