Feindbild Ersthelfer
Das Grauen scheint in diesen Tagen im syrischen Ost-Ghuta kein Ende zu nehmen. Der Bombenregen des Assad-Regimes ist für die Menschen in der belagerten Stadt zum Alltag geworden. Tagtäglich wird der Boden aufs Neue mit unschuldigem Blut getränkt. Dabei kann jeder zum Ziel werden: Frauen, Kinder, Journalisten, Ärzte und andere Zivilisten.
Die Schilderungen aus den Krankenhäusern des Landes können wohl nicht fürchterlicher sein. Jeden Tag suchen Eltern nach ihren toten Kindern oder Kinder nach ihren toten Eltern. Während die Welt wegsieht, wird Ost-Ghuta ausgelöscht. Nichts anderes liegt dem Assad-Regime im Sinn. Von manchen Beobachtern wird dieses kolossale Verbrechen gegen die Menschlichkeit bereits mit dem spanischen Guernica oder dem bosnischen Srebrenica verglichen.
Allerdings gibt es auch in Ost-Ghuta Menschen, die gegen das Grauen ankämpfen. Tagtäglich retten die syrischen Weißhelme Menschenleben. Sie warnen, evakuieren, bergen Menschen aus den Trümmern und leisten jene Ersthilfe, die sonst kaum vorhanden ist. In allen Fällen riskieren sie dabei ihr eigenes Leben. Zahlreiche Weißhelme fanden in den Bomben bereits den Tod.
Der Zivilschutz, der in Syriens Rebellengebieten agiert, ist mittlerweile weltbekannt. Es gab Filme und Preise, darunter einen Oskar und eine Friedensnobelpreisnominierung – und auch wenn diese Dinge nur wenig bis gar nichts an Syriens Realität verändert haben, so ist zumindest eines klar: Von vielen Menschen werden die Weißhelme für ihren Einsatz und ihre Tapferkeit bewundert – allerdings nicht von allen.
Denunziert als "Terroristen"
Seit dem Auftreten der Weißhelme kursieren zahlreiche Gerüchte, Lügen und Verschwörungstheorien über die Organisation. Es ist offensichtlich, dass die Ersthelfer für zahlreiche Akteure ein Dorn im Auge geworden sind. Besonders beliebt ist etwa das Gerücht, dass die Weißhelme "Terroristen" seien, die mal mit Al-Qaida, mal mit dem IS oder irgendeiner anderen extremistischen Gruppierung gemeinsame Sache machten.
Diese Behauptung wird regelmäßig nicht nur von Syriens Diktator Baschar al-Assad oder seinen Unterstützern in Moskau und Teheran verbreitet, sondern auch von vielen alternativen Nachrichtenseiten im englisch- und deutschsprachigen Raum.
Auch viele Medien, die sich selbst als "links" oder "anti-imperialistisch" verorten, haben es auf die Weißhelme abgesehen. Anstatt über die Verbrechen Assads zu berichten, zieht man es vor, Rettungskräften zu diskreditieren – und dies ist mittlerweile einiges.
Denn in jenen Regionen, die von Assads Armee und seinen Unterstützern angegriffen wurden, gehörten die Weißhelme zu den Wenigen, die die Gräuel dokumentierten. Dass jemand zur Stelle ist, der nicht nur Menschenleben rettet, sondern auch Kriegsverbrechen des russischen Militärs aufdeckt, passt vor allem dem Kreml nicht. Aus diesem Grund gehörte das russische Staatsmedium RT ("Russia Today") von Anfang an zum medialen Goliath, der sich gegen die Weißhelme stellte und die Organisation regelmäßig diffamierte.
Besonders berühmt wurde ein Video der Bloggerin Eva Bartlett, die im Rahmen einer Pressekonferenz bei der UNO mit ein wenig rhetorischem Dreh vermeintliche Fakten präsentierte. Im Grunde genommen waren diese Fakten allerdings nur die offizielle Darstellung des Regimes in Damaskus. Dies ist wenig verwunderlich, wenn man Bartletts "Karriere" in Betracht zieht: In den letzten Jahren hielt sie sich mehrfach in Gebieten des Regimes auf, wo sie neben Soldaten posierte und aus ihrer Bewunderung für Assads Machtapparat keinen Hehl machte.
Fake-News à la Bartlett, Beely & Co.
Bartletts Video, das durch RT "virale Höhenflüge" erfuhr, wurde mittlerweile mehrfach widerlegt. Die Lügen, die sie verbreitete, sind allerdings bis heute präsent. Selbst in diesen Tagen, in denen in Ost-Ghuta die Hölle herrscht, beziehen sich zahlreiche Facebook-Nutzer unter Beiträgen von renommierten Nachrichtenseiten auf die Aussagen Bartletts. Egal, ob CNN, der Spiegel oder Al-Jazeera – alle würden nur "Fake-News" verbreiten. Lediglich Assad und RT seien im Recht.
Den womöglich größten Beitrag hierzu hat Vanessa Beeley geleistet, eine weitere Propagandistin aus dem Assad'schen Dunstkreis. Beeley, die regelmäßig für das Verschwörungsportal "21st Century Wire" publiziert, gehört mittlerweile zu den prominentesten "Kritikern" der Weißhelme. Vor Kurzem meinte sie abermals, dass Bombenangriffe auf die Helfer legitim seien, da es sich bei ihnen um "Terroristen" handele. Journalisten und etablierte Medien bezichtigt sie regelmäßig der Verbreitung von "Regime-Change-Propaganda".
Wer Beeleys Zeilen liest, könnte fast meinen, all die Syrer, die über die letzten Jahre hinweg malträtiert und gefoltert wurden, seien eigentlich die größten Unterstützer Assads. Stattdessen seien die Golfstaaten, die Türkei, Israel und die westlichen Staaten Schuld an dem Konflikt. Assads Todesschwadronen, vom Iran unterstützte Milizen, der russische Bombenterror – all das scheint in den wirren Köpfen von Beeley & Co. nur ein Märchen zu sein, zu dem konsequent geschwiegen oder gelogen wird.
Hybride Kriegsführung
Eine Daten-Recherche des britischen "Guardian" machte Ende 2017 deutlich, dass nahezu jegliche Propaganda, die im Internet gegen die Weißhelme kursiert, auf Beeley und Bartlett zurückzuführen ist. Experten sprechen in diesem Kontext von einer "hybriden Kriegsführung", die von russischen Staatsmedien systematisch gegen die Ersthelfer betrieben wird. Dass die Weißhelme, denen stets unterstellt wird, "westliche Agenten" zu sein, unter anderem auch Kriegsverbrechen des US-Militärs aufgedeckt haben, wird bewusst ignoriert.
Stattdessen fließt auch Islamophobie mit ein. Viele Weißhelme haben einen Vollbart, Frauen tragen oftmals ein Kopftuch. Für selbsternannte Kritiker reicht dies aus, um die Retter als "extremistisch" einzustufen und mit Al-Qaida und Co. in einen Topf zu werfen. Den Rest übernimmt der Schatten des postfaktischen Zeitalters.
Alle seriösen Berichte über die Organisation werden ausgeblendet. Sie gelten immer per se als falsch. Stattdessen sieht man hinter jedem Weißhelm westliche Geldgeber, skrupellose Golfscheichs, die CIA, George Soros oder andere reiche Juden oder gar – wie es etwa die russische Botschaft in Großbritannien – Osama bin Laden. Als eine Dokumentation über die Weißhelme im vergangenen Jahr mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, teilte die Botschaft eine Karikatur bin Ladens, einen weißen Helm tragend, auf ihren Twitter-Account.
Es ist wohl nicht vermessen zu behaupten, dass niemals zuvor eine Hilfsorganisation, die Tausende von Menschenleben gerettet hat, derart diffamiert wurde wie die Weißhelme. Selbst während beider Weltkriege galten Helfer als Helfer und blieben meistens von Diffamierung verschont. Doch der Syrien-Krieg hat auch das verändert.
Emran Feroz
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