''Dann sind sie eben keine Terroristen mehr''
Die US-Außenministerin Hillary Clinton hat soeben angekündigt, die iranische Oppositionsgruppe der Volksmodjahedin von der Liste der Terrororganisationen zu streichen. Offensichtlich bereitet sie damit die Aufnahme der 3.200 Kämpfer, die einst als Gäste und Verbündete des Diktators Saddam Hussein in den Irak gekommen waren, in die Vereinigten Staaten vor.
Diese Leute, die in der politischen Terminologie der USA bislang "Terroristen" waren, sollen jetzt wohl in den USA eine neue Heimstatt erhalten, um dort glücklich bis ans Ende ihrer Tage zu leben. Anders ist Clintons Ankündigung nicht zu verstehen. Der Epilog kommt pünktlich zum 10. Jahrestag der Invasion im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus und unterstreicht das Fiasko, das mit dem Abzug der allermeisten US-Streitkräfte im vergangenen Jahr eben doch nicht ganz endete.
Ein Verbündeter der USA und eine Speerspitze der Demokratie und der Freiheit im Mittleren Osten sollte die neue irakische Führung sein. Aber spätestens seitdem Nuri al-Maliki Premierminister in Bagdad ist, steht fest, dass die USA den Weg freigebombt haben für Macht und Einfluss der Islamischen Republik Iran im Zweistromland.
Der Irak gehört jetzt zur Einflusssphäre des großen östlichen Nachbarn und ärgsten Feindes der USA in der Region, ja in der Welt. An nichts ist dies besser abzulesen als am Schicksal der Volksmodjahedin. Diese iranische Politsekte, die sich persisch "Modjahedin-e Khalgh" nennt, hatte einst im Namen einer kruden Mischung aus Marxismus und Islamismus den Schah bekämpft.
Nach dessen Sturz lieferte sie sich einen blutigen Machtkampf mit Ayatollah Khomeini und ging als Verlierer daraus hervor. Ihre Kämpfer nahmen Zuflucht im Irak und zogen 1980 an der Seite Saddam Husseins in den Krieg gegen die Islamische Republik.
Auf verlorenem Posten
Der Sieg blieb bekanntlich aus, die Volksmodjahedin blieben im Irak. Saddam Hussein wies ihnen ein Lager nördlich von Bagdad zu, das sie "Ashraf" nannten. Dort waren sie noch, als die Amerikaner 2003 kamen. Ihre Hoffnung, vielleicht doch noch die ersehnte historische Rolle in einem weiteren Krieg gegen den Iran zu spielen, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil, unter Premier Maliki gerieten die iranischen Guerilleros im Lager Ashraf zunehmend in Bedrängnis. Zwischen 2009 und 2011 töteten irakische Streitkräfte in pogromartigen Gewaltausbrüchen Dutzende Volksmodjahedin. Die Botschaft war klar: "Wir wollen Euch hier nicht mehr!"
Inzwischen steht die Gruppe unter Obhut der Vereinten Nationen. Das Lager Ashraf haben die "Modjahedin-e Khalgh" fast komplett geräumt, sie wurden transferiert in das ehemalige Camp Liberty der US-Streitkräfte neben dem Bagdader Flughafen.
Die UNO-Leute registrieren sie als schutzbedürftige Flüchtlinge. Und nach Clintons Ankündigung deutet alles darauf hin, dass sie bald in den Flieger Richtung Los Angeles, Atlanta und New York steigen werden. Den Gefallen, die oppositionellen Kämpfer unversehrt und straffrei wieder im Iran aufzunehmen, wird die Islamische Republik den USA nicht erweisen.
Ambivalente Außenpolitik
Dieses zu erwartende Ergebnis wird in den USA von einer Diskussion begleitet, die ein grelles Licht auf die Ambivalenz, ja Schizophrenie amerikanischer Außenpolitik wirft.
Die quälende Abwicklung der Volksmodjahedin illustriert die Schmach eines Jahrzehnts desaströser Irakpolitik, einerseits. Wer dies in Washington erkannt hat, schwiege am liebsten schamvoll und wünscht, alles ginge jetzt lautlos und ohne Aufsehen vonstatten. Diesen Restposten der Bush-Politik einfach im Irak zu lassen, geht aber nicht, weil dann die Gefahr eines neuen Massakers lauert, das auch negativ auf die USA zurückfiele.
Andererseits gibt es die ehemaligen CIA- und FBI-Chefs, die Kongressabgeordneten und einflussreichen Publizisten, die das Terrorlabel der Volksmodjahedin schon immer als irreführend und störend betrachtet haben, weil die iranische Oppositionsgruppe doch ein wichtiger und wertvoller Verbündeter im Kampf gegen das Mullahregime sei.
In der Agenda dieser Fürsprecher spielt die Terrorvergangenheit der "Modjahedin-e Khalgh" ebenso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass die Gruppe mit ihren Kämpfern und ihrer politischen Führung in Paris intern wie eine obskure, verbohrte Politsekte funktioniert. Sie strebe eine "säkulare, friedliche und demokratische Regierungsform" im Iran an, glaubt Dana Rohrabacher, republikanischer Kongressabgeordneter aus Kalifornien.
An der Rhetorik sind solche Lobbyisten der globalen Freiheit noch nie gescheitert. Für Leute wie Rohrabacher sind die Volksmodjahedin eben keine Terroristen, sondern Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus, genau wie die iranisch-kurdische Splittergruppe "Pjak", die "Jundullah" aus Belutschistan, azerische Separatisten, genau wie Gaddafi und Assad nach 09/11.
Kampfausbildung im Dienste der USA
Nach Recherchen des Magazins "The New Yorker" haben US-Spezialeinheiten ab 2005 ausgewählte Kämpfer der Volksmodjahedin in der Wüste des US-Bundesstaates Nevada heimlich in den Methoden des Guerillakrieges trainiert. Möglicherweise sind die Eliteguerilleros dann zu Sabotageakten in den Iran eingesickert. Dass die Gruppe gleichzeitig offiziell auf der US-Terrorliste stand, verhinderte diese geheime Zusammenarbeit nicht.
Das Lobbying einschlägiger US-Promis für die Volksmodjahedin beruht allerdings nicht auf dem rein selbstlosen Einsatz für Freiheit und Demokratie im Mittleren Osten. Für Redeauftritte zu Gunsten der iranischen Exilgruppe kassierten die Fürsprecher Honorare in fünfstelliger Höhe, der frühere Gouverneur des Bundesstaates Pennsylvania, Edward G. Rendell, streichte sogar mehr als 150.000 Dollar ein.
Einer, den dieses Engagement freut, ist Martin Kobler, Chef der UN-Mission im Irak. Er hofft, dass die Abwicklung jetzt schnell über die Bühne geht. Der deutsche Diplomat hatte zuletzt lamentiert, dass die jahrelange Beschäftigung mit den Volksmodjahedin zu viele Ressourcen der UN-Mission im Irak verschlinge. Um die Evakuierung zu beschleunigen, hatte er sogar die Aufnahme eines kleinen Teils der 3.200 iranischen Exilkämpfer in Deutschland angeregt. 294 unter ihnen hätten familiäre oder andere Verbindungen in die Bundesrepublik, ließ Kobler wissen.
Im Sinne der historischen Ironie könnte man sagen, dass dieser Anteil in etwa dem Schuldanteil Deutschlands am Irakkrieg entspricht. Er war nicht groß, aber auch nicht unbedeutend. Schließlich hat der BND den USA kräftig dabei geholfen, die Notwendigkeit des Feldzuges 2003 zu begründen.
"Tod auf Rädern"
Die USA suchten Beweise dafür, dass Saddam Massenvernichtungswaffen besaß. Diese Beweise lieferte der Bundesnachrichtendienst, der die Berichte seines Informanten Rafid Alwan, ein aus dem Irak nach Deutschland geflohener Chemieingenieur, über angebliche biologische Massenvernichtungswaffen in der Hand Saddams an die USA weiterleitete.
Die Bush-Regierung nutzte diese deutschen Berichte zur Rechtfertigung des Krieges. In Erinnerung geblieben ist die Rede von US-Außenminister Powell vor dem UN-Sicherheitsrat am 5. Februar 2003, wenige Wochen vor der Invasion. Powell präsentierte Zeichnungen von Lastwagen, die mit Milzbranderregern bestückt werden konnten.
Diese Berichte über den drohenden "Tod auf Rädern" sind als eine der folgenreichsten Geheimdienstlügen in die jüngere Geschichte eingegangen. Trotzdem half der BND Rafid Alwan dabei, in Deutschland als Flüchtling anerkannt zu werden und dann sogar unter einem neuen Namen einen deutschen Pass zu bekommen.
Wenn es die Freundschaft mit Amerika verlangt, würde Deutschland das im Falle der 294 iranischen Volksmodjahedin sicher auch hinbekommen.
Stefan Buchen
© Qantara.de 2012
Stefan Buchen arbeitet als Fernsehjournalist für das Politikmagazin Panorama. Er ist Autor der ARD-Dokumentation "Die Lügen vom Dienst – der BND und der Irakkrieg."
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de