Scheherazades Zensoren

In Ägypten haben jüngst konservative Anwälte gegen eine Neuauflage von "Tausendundeine Nacht" geklagt. Sie und andere finden die Märchensammlung anstößig.

Von Samir Grees

Es gibt wohl kaum ein Werk, das die Leser in der ganzen Welt so begeistert hat wie "Tausendundeine Nacht". Für manche rücken die Geschichten von Scheherazade in der Beliebtheitsskala gleich hinter die Bibel oder die Dramen von Shakespeare.

Etliche Schriftsteller berufen sich ausdrücklich auf die Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht" und erklären, von diesem aus dem Indischen, Persischen und Arabischen stammenden Werk beeinflusst worden zu sein - so zum Beispiel Voltaire oder Borges, ganz zu schweigen von Goethe, wie dies etwa Katharina Mommsen in ihrer Studie über den Dichterfürsten ausführlich dargestellt hat.

Ein rotes Tuch für Puritaner und religiöse Eiferer

Doch die Märchensammlung "Tausendundeine Nacht" war schon immer ein umstrittenes Werk, das oft der Zensur zum Opfer fiel. So entschärfte bereits der französische Orientalist Antoine Galland erotische und auch religiöse Passagen des Textes oder klammerte sie ganz aus, als er als erster Europäer Anfang des 18. Jahrhundert das Werk ins Französische übertrug.

In der arabischen Welt nahm und nimmt man bis heute vor allem Anstoß an den vielen sexuellen Details des Werkes, doch für einige ist das gesamte Werk ein rotes Tuch.

So steht "Tausendundeine Nacht" in Saudi-Arabien auf dem Index, und in Ägypten hat vor kurzem eine Gruppe von Rechtsanwälten gegen eine Neuauflage des Werkes geklagt. Eine Neufassung müsse vor einem Neudruck von "schamlosen sexuellen Worten" zu bereinigt werden, da sie "die Moral schädigten". Kinder und Jugendliche sollten sie daher nicht lesen, wie Ayman Imam, einer dieser Rechtsanwälte, in einem Interview sagte.

"Die islamische Kultur blühte erst mit der Freiheit auf"

Die umstrittene Neuauflage erschien in Kairo in einer preisgünstigen, staatlichen Reihe namens "Al-Dhakhair" (Die Schätze), die vom bekannten Romancier Gamal al-Ghitani herausgegeben wird. Al-Ghitani sieht in dieser Klage eine Kampagne der Islamisten gegen ägyptische Intellektuelle insgesamt und einen Versuch, die Regierung unter Druck zu setzen, damit sie das Werk verbietet.

​​Im Interview sagt al-Ghitani: "Die Anklage richtet sich zwar gegen 'Tausendundeine Nacht', in Wirklichkeit aber ist sie ein Teil der fundamentalistischen Bewegung in Ägypten, die einen religiösen Staat gründen will."

Die Extremisten, fügt al-Ghitani hinzu, lehnen das arabische Kulturerbe selbst ab. "Sie sprechen und beschlagnahmen alles nach ihrem Gutdünken im Namen der Religion. Dabei hat doch die islamische Kultur ihre höchste Blüte in einer Zeit der uneingeschränkten Meinungsfreiheit erlebt."

Das sei der Grund, sagt er weiter, warum er diese Reihe gegründet habe. Er wolle "die einzigartigen Texte des arabischen Erbes neu auflegen, die aufgrund des zunehmenden Einflusses der Wahhabiten in der Region kaum mehr gedruckt werden dürften".

Weltweites Interesse an Scheherazades Geschichten

"Tausendundeine Nacht ist ein Teil des menschlichen Kulturerbes, wie Homers Illias und Odyssee", sagt al-Ghitani weiter und verweist auf den internationalen Ruhm, den das Werk genießt. Deshalb interessieren sich auch viele Universitäten auf der ganzen Welt für dieses Werk, wie z.B die Universität von Erlangen, die am 25. Mai dieses Jahr diesem Werk eine internationale Konferenz widmet.

Eine andere große Konferenz fand in Abu-Dhabi im Dezember 2009 statt. "Ich war überrascht", sagt al-Ghitani, "welchen Einfluss Tausendundeine Nacht in Japan, Indien und Südostasien hatte. Das Werk ist Weltliteratur, deshalb ist es die Aufgabe aller Intellektuellen auf der ganzen Welt, dieses Buch in Schutz zu nehmen".

Dieser Meinung ist auch die deutsche Orientalistin Claudia Ott, die "Tausendundeine Nacht" aus dem Arabischen 2004 neu übersetzt hat. Die bekannte Arabistin lehnte es strikt ab, dass man unter moralischen Vorwänden Teile des Buches zensiere oder Sätze streiche.

Die Märchensammlung löst nicht zum ersten Mal heftige Diskussionen in Ägypten aus. 1985 gelang es einer Gruppe von Islamisten, dass das Werk per Gerichtsurteil vom Markt genommen werden musste. Dieses Urteil wurde jedoch im darauffolgenden Jahr durch ein Urteil auf höherer Instanz aufgehoben.

Im letzten Urteil wurden die Geschichten von Scheherazade als "berühmtestes Beispiel der arabischen und islamischen Folklore" bezeichnet. Zwar könne man einige Worte aus diesem Werk streichen, sagte der Vorsitzende Richter, doch wer sich das Buch nur deshalb kaufe, um jene sexuellen Passagen zu lesen, der sei entweder krank oder dumm.

Samir Grees

© Qantara.de 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Samir Grees hat Germanistik und Übersetzungswissenschaft in Kairo und Mainz studiert. Er arbeitet als Journalist und Übersetzer. Er hat zahlreiche Werke deutscher Literatur ins Arabische übertragen, u.a. "Ein liebender Mann" von Martin Walser, "Die Klavierspielerin" von Elfriede Jelinek und "Der Kontrabass" von Patrick Süskind.

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