Soziale Außenseiter im Mittelpunkt
Etliche Beobachter gehen davon aus, dass es unter der neuen konservativen Regierung Irans zunehmend schwieriger werden wird, gesellschaftspolitische Filme zu produzieren. Rachschan Bani-Etemad will jedoch hartnäckig an der Arbeit zu ihrem neuen Spielfilm "Mainline" (auf Persisch: "Khunbazi") festhalten und ihn wie geplant umsetzen.
"Wie auch immer sich die Situation entwickelt, ich werde meinen Weg fortsetzen, denn ich bin überzeugt, dass es einen Weg gibt, auf dem wir weiter auf unsere Ziele hinarbeiten können", sagt Bani-Etemad. "Die Entscheidungsträger können meine Werte nicht ändern. Ich versuche alles, mir als Mensch treu zu bleiben."
In ihren auch international preisgekrönten Filmen thematisiert Rachschan Bani-Etemad soziale Themen im Kontext der iranischen Gesellschaft. Ihre Aufmerksamkeit gilt Unterprivilegierten, die aufgrund des soziokulturellen Umfelds oder wirtschaftlicher Realitäten in Konflikte geraten.
Ideelle und materielle Perspektivlosigkeit
Im bereits gedrehten Film "Mainline" greift sie die Thematik der Drogenabhängigkeit auf: Vor ihrer Heirat muss Sara (dargestellt von Bani-Etemads Tochter Baran Kosari) ihre Heroinabhängigkeit überwinden und wird von der Mutter in eine Entziehungsklinik gebracht. Die Sequenzen lassen einen Film erwarten, der in neorealistischer Tradition sichtbar macht, wie ideelle und materielle Perspektivlosigkeit eine wachsende Zahl junger Menschen in die Drogenabhängigkeit treibt.
"In allen Ländern der Welt ist die Drogenabhängigkeit ein Problem", sagt Bani-Etemad: "Da im Iran zwei Drittel der Bevölkerung jünger als 25 Jahre sind, erachte ich die Drogenabhängigkeit in unserem Land allerdings als besonders gravierend."
Nach dem Studium in Filmregie arbeitete Rachschan Bani-Etemad, 1954 in Teheran geboren, in den siebziger Jahren fürs nationale Fernsehen. 1987 entstand ihr Spielfilmerstling "Jenseits der Grenzen" ("Kharej az mahdudeh"), eine Satire über die iranische Bürokratie.
Mit "Nargess", einer Dreiecksgeschichte zwischen der alten Afaq, der jungen Nargess und dem arbeitslosen Adel, der sich mit Diebstahl über Wasser hält, wurde Bani-Etemad als erste Frau beim Fadjr Festival 1992 für die beste Regie ausgezeichnet, zudem fand sie mit dem Film auch breite internationale Anerkennung.
Es folgte "Das blaue Kopftuch" ("Rusari-je abi") von 1995, ein Film über Liebe und Tabus: Der wohlhabende und verwitwete Tomatenproduzent Rahmani verliebt sich in seine Angestellte Nobar und stößt mit seiner die Konventionen sprengenden Liebe seiner Familie vor den Kopf. Für den Film erhielt sie auf dem Filmfestival in Locarno den "bronzenen Leoparden". Doch auch wenn Bani-Etemad im Iran kritisch mit dem Regime auseinandersetzt und auch im westlichen Ausland ausgezeichnet wird – eine klassisch liberale Filmemacherin nach westlichen Maßstäben ist sie nicht; so hat sie sich beispielsweise dezidiert kritisch über die Freizügigkeit europäischer und amerikanischer Filme geäußert.
Frauen und Politik im Fokus
Neben Spielfilmen drehte Bani-Etemad auch Dokumentarfilme. Die zweiteilige Reportage "Unsere Zeiten" ("Ruzegar-e ma") berichtet über junge Frauen und Männer, die im Umfeld der Präsidentenwahlen von 2001 für die Fortsetzung der Reformen kämpfen.
Der zweite Teil des Filmes konzentriert sich dann auf Arezu Bayat, eine 25-jährige, geschiedene Frau, die ihre Tochter alleine großziehen und ihre blinde Mutter versorgen muss. Nachdem sie ihren Job verloren hat, muss sie zu allem Überfluss auch noch ihre Wohnung räumen. Allen Umständen zum Trotz meldet sie sich als Präsidentschaftskandidatin an, wird dann aber über eine "Streichungsliste" kurzerhand abgelehnt.
Rachschan Bani-Etemad begleitet Arezu Bayat überall hin und hält einige erschütternde Momente fest, die das eigentliche Hauptproblem in der iranischen Gesellschaft zeigen: die wirtschaftliche Aussichtlosigkeit vieler Menschen, das ewige "Suchen" in der riesigen Stadt.
Blick für die sozialen Probleme
Elemente jener Bildgestaltung, die für den Dokumentarfilm typisch sind, finden sich in den Spielfilmen "Unter der Haut der Stadt" ("Sir-e pust-e shahr") aus dem Jahr 2000 und "Mainline": Die Inszenierung und vor allem eine der Handlung und den Personen folgende Handkamera evozieren ein Gefühl von Authentizität.
Auch in dem Spielfilm "Unter der Haut der Stadt", der im Iran ein großes Publikum fand, sind perspektivloser Alltag und soziales Elend die beherrschenden Themen. Und wieder ist es eine gesellschaftliche Außenseiterfigur, die bei Bani-Etemad im Mittelpunkt steht. Die Textilarbeiterin Tuba verliert Heim und Familie. Ihr Sohn Abbas lässt sich von einer Gaunerbande, die ihm einen Weg zum Auswandern verspricht, übers Ohr hauen und fällt der Drogenmafia in die Hände.
Internationales Lob erntete Bani-Etemad mit dem vor einem Jahr vorgestellten Film "Gilaneh": Am Tag, an dem das Fernsehen über den Angriff der USA auf Irak berichtet, sieht sich die verarmte Landfrau Gilaneh mit ihrem Sohn allein gelassen, den der irakisch-iranische Krieg in den achtziger Jahren zum Schwerstbehinderten gemacht hat.
In den Filmen, die Bani-Etemad in den letzten Jahren gedreht hat, stehen immer wieder Frauen im Mittelpunkt, die von der Gesellschaft im Stich gelassen werden: Von der Präsidentschaftskandidatin Aresu Bayat über die Textilarbeiterin Tuba bis zu Gilaneh.
Trotzdem will sich Bani-Etemad nicht als feministische Regisseurin einordnen lassen; ihr geht es um einen weiter gefassten Ansatz: "Meine Filme sollen nicht nur vom Blickpunk 'Geschlecht' eingeschätzt werden. Ich setze mich mit den sozialen Problemen und den Schwierigkeiten der Frauen und Männer in der Gesellschaft auseinander."
Robert Richter
© Qantara.de 2006
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