Verstellter Blick auf den Nahen Osten
Der Nahe Osten wird vor allem als Krisenregion wahrgenommen. Zumeist richtet sich der Blick auf Negatives: einen wachsenden islamischen Fundamentalismus, politische Unfreiheit oder die terroristische Bedrohung. Ein vierwöchiges Programm im Berliner Haus der Kulturen der Welt stellt diese eindimensionale Sicht in Frage.
So verheißungsvoll die Worte Orient und Morgenland einst klangen, so negativ sind die Assoziationen, die sich in den letzten Jahrzehnten mit dem Begriff Naher Osten verbinden. Das Kulturprogramm DI/VISIONS, das bis zum 13. Januar 2008 im Berliner Haus der Kulturen der Welt stattfindet, lädt dazu ein, diese stereotypische Wahrnehmung zu revidieren.
Die Besucher sollen die arabische Welt in ihrer intellektuellen, politischen und kulturellen Vielfalt kennen lernen. Die französische Kuratorin Catherine David sieht das Projekt in erster Linie als Forum des Dialogs und der kritischen Auseinandersetzung. Sie möchte dazu ermutigen, die Konflikte und Problematiken der Region aus ungewohnten Perspektiven zu betrachten.
Öffnung der Diskurse
Die Geschichte der Gewalt, der Vertreibungen und der Teilungen, die auch Titel gebend sind, wird in Gesprächen, filmischen Interviews und Retrospektiven reflektiert. DI/VISIONS, das bedeutet für die frühere Dokumenta-Kuratorin vor allem: "Ein Theater der Stimmen. Platz bieten für eine Vielstimmigkeit, für Tiefgründigkeit. Diskursen wieder Raum geben."
Bei DI/Visions stehen die Einschätzungen und Stellungnahmen der arabischen Intelligenzia im Fokus. Vier Wochen lang kommen in Diskussionen, Dokumentationen und Filminterviews Menschen zu Wort, die in ihrem politischen und kulturellen Wirken die gängigen Klischees über den Nahen Osten nachhaltig widerlegen.
Catherine David hat Künstler, Filmemacher, Intellektuelle und Journalisten aus 10 Ländern zur Mitwirkung eingeladen. So konträr die vertretenen Positionen dabei im Einzelnen sind, in einem sind sich die Beteiligten einig: Es sei an der Zeit, von simplen Zuweisungen abzurücken, und ein differenziertes Bild der Lage im Nahen Osten zu zeichnen.
Säkularismus im Orient
So wies der irakische Politikwissenschaftler und Soziologe Sami Zubaida in seiner Einführungsrede auf die grundlegende Fehleinschätzung hin, säkulares Denken sei im Orient traditionell nicht beheimatet. Der gebürtige Iraker, der in London an der School of Oriental and African Studies lehrt, erklärte in Berlin:
"Die Idee, dass die Gesellschaften der Region nie säkularisiert waren und seit jeher auf Religion basierten, zeugt von einem äußerst verzerrten Blickwinkel."
Ob dieser historische Irrtum und andere westliche Vorurteile durch DI/VISIONS ausgeräumt werden können, bleibt abzuwarten. Doch eines ist gewiss: der vierwöchige künstlerische und intellektuelle Austausch bietet überraschende Einblicke in die derzeitige geistige und kulturelle Produktivität der Länder des Nahen Ostens. In den Dokumentationen, Diskussionen und Interviewprojektionen werden brennende Fragen auf ungewohnt komplexe Weise beantwortet.
Und auch Musikveranstaltungen und Lesungen sorgen für ungewohnte Töne. Die Kuratorin wünscht sich, dass die Besucher der Veranstaltungsreihe "abhängig von ihrem Wissensstand, aber auch abhängig von ihren Erwartungen und Ambitionen die gegenwärtige Situation im Nahen Osten wahrscheinlich neu einschätzen werden."
Ariana Mirza
© Deutsche Welle/Qantara.de 2007
DI/VISIONS läuft bis zum 13.01.08 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin.
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