Falsche Nase, neue Blume

Nasenoperationen, Geschlechtsumwandlungen oder das Wiederherstellen der Jungfräulichkeit – kosmetische Eingriffe sind in Iran nicht ungewöhnlich. Die Jugend sucht nach Nischen, um die Langeweile zu bekämpfen.

Von Charlotte Wiedemann

​​Die jungen Mädchen im Teheraner "Café Brasillia" sehen sich alle verdächtig ähnlich. Auf den ersten Blick mag das an der Mode liegen: eng taillierte Blusenkleider, spitze Schuhe, ein Hauch von Schal über dem Haar. Der zweite Blick trifft indes die Nasen: Sie sind identisch klein und hübsch, und sie verleihen den Gesichtern eine schwer unterscheidbare, stupsnäsige Naivität.

Das "Café Brasillia" gehört zum Foodcourt "Jaam-e-jam", hier trifft sich die wohlhabende Jugend aus dem Teheraner Norden, schick und entsetzlich gelangweilt. Die falsche Nase ist ein Accessoire dieser Szene, so selbstverständlich wie der Wagenschlüssel und das Mobiltelefon neben dem Becher Caffè Latte.

Es gibt solche typischen Nasen-Orte in der iranischen Hauptstadt; auch der Vanak-Platz gehört dazu. Eine Gegend mit vielen Arztpraxen; "Haut, Haare, Schönheit, plastische Chirurgie" steht auf den Schildern am Straßenrand. Junge Frauen mit einem Pflasterverband auf der Nase bummeln an den Schaufenstern vorbei.

Es ist keine Schande, sich die Nase korrigieren zu lassen, ganz im Gegenteil. Das Pflaster ruft den Passanten zu: Seht her, ich konnte es mir leisten!

Eine Standard-Operation kostet etwa 700 Euro, das sind zwei bis drei Monatsgehälter eines iranischen Lehrers. Aber dafür bekommt man nur die Nase von der Stange; eine Korrektur nach individuellen Wünschen kostet leicht tausend Euro und mehr.

"Arisches Schönheitsideal"

Am Vanak-Platz steht eine Frau vor dem "Zentrum für Gesichtschirurgie", ihr Blick fährt suchend über die Schilder der Ärzte. Nase? Nein, Brust!, antwortet sie ohne Zögern; das sind mindestens neun Lehrergehälter. Die Frau trägt über ihrem suchenden Blick bereits künstliche Augenbrauen: Sie sind eintätowiert. "Schönheit ist wichtig für uns Iraner", sagt sie.

Die falsche Nase ist ein Phänomen der städtischen Mittel- und Oberschicht. Je weiter weg Du von Teheran bist, so lautet ein iranischer Spott, desto größer werden die Nasen. Der Zwang, ein Kopftuch zu tragen, wird häufig als Grund genannt, wenn man Frauen nach den Motiven für eine Operation fragt: Eine große Nase falle mehr auf, wenn das Haar nicht gezeigt werden darf. Ältere wohlhabende Frauen lassen sich Liften und Gel unter die Haut spritzen und verweisen dazu gleichfalls auf das Kopftuch.

Tatsächlich hat der Boom der kosmetischen Chirurgie aber wohl einen ganz Strauß von Ursachen. Schon zur Zeit der Schah-Herrschaft geisterte ein so genanntes "arisches Schönheitsideal" durch den persischen Geschmack.

Die Jugend von heute kann mit dem Begriff Arier nicht mehr viel anfangen, kopiert eher, was ihnen westliche Filmchen als Schönheit vorführen. Die Hollywoodisierung orientalischer Gesichter. In Los Angeles, wo viele Exil-Iraner leben, machen manche iranischen Ärzte wiederum ein Vermögen mit Schönheitsoperationen. Niemanden wundert das im Falle Hollywood.

Kleine Fluchten

Wenn ein westliches Publikum indes so sehr staunt über falsche Nasen oder falsche Brüste in der Islamischen Republik, dann zeigt das nur, wie wenig wir übereinander wissen. Schließlich lassen sich die bleiernen politischen Verhältnisse im Iran sogar als zusätzlicher Faktor verstehen, warum dort herum manipuliert wird, wo Veränderung eben möglich ist: Eine Nase lässt sich leichter korrigieren als ein System.

Die Herstellung makelloser Schönheit - oder was man dafür hält - ist eine von vielen kleinen Fluchten aus Stillstand und Langeweile. Wie das Herumgurken im Auto. Wie Drogenkonsum.

Angeblich gibt es heutzutage in Teheran mehr als hundert niedergelassene Schönheitschirurgen. Ältere unter ihnen haben die plastische Chirurgie unter düsteren Vorzeichen gelernt: an den Verstümmelten aus dem iranisch-irakischen Krieg.

Schönheitsoperationen sind heute eine gute Einkommensquelle für Ärzte - unvergleichlich besser bezahlt als die medizinische Behandlung gewöhnlicher Patienten. Der wachsende Markt kosmetischer Korrekturen wird also nicht nur von einem gesellschaftlichen Bedürfnis geschaffen, sondern auch von den Anbietern, die nach den Bedürfnissen fahnden.

Blumensticken auf dem Land

So wichtig wie einem Stadt-Mädchen die Korrektur der Nase ist, so dringend kann für ein Land-Mädchen die Reparatur der Jungfräulichkeit sein. Golduzi, Blumensticken nennt es der Volksmund poetisch, wenn ein verschwiegener Arzt zur Nadel greift. 250 Euro kostet die neue Blume, ein Vermögen für ein Mädchen aus der Provinz. Der Verdacht liegt nahe, dass hier außer der Stickkunst auch das Schweigen bezahlt wird.

Manchmal will eine Braut dem Bräutigam ihre sexuellen Erfahrungen verheimlichen. Doch oft bezahlt der Bräutigam die neue Blume, nachdem er die erste selbst zerstörte - das junge Paar wahrt den Schein für den Rest der Familie, die nach einem befleckten Laken verlangt. Und manche Mädchen kommen mehrfach zum Golduzi, so wirr sind die Zeiten.

Ob der Körper der Sitten wegen, der Schönheitsideale wegen oder des Genusses wegen korrigiert wird: Die Grenzen sind fließend, und nichts scheint unmöglich im Land der Mullahs. Vagina-Verengung mag in der Schweiz gerade erst auf dem Markt der plastischen Chirurgie entdeckt werden - im Iran ist es ein laut geflüstertes Geheimnis, wie viele Männer sich eine derartige "Verjüngung" ihrer Frauen wünschen.

Und selbst Geschlechtsumwandlung ist im Iran legal möglich: Transsexualität gilt als Krankheit und als heilbar.

Es wäre dennoch eine falsche Verallgemeinerung zu glauben, jeder und jede im Iran giere nach körperlichen Korrekturen. Manche verachten diese Mode. Manche sind aus religiösen Gründen dagegen. "Gott hat uns so geschaffen, wie wir sind", sagt eine Studentin in Kerman, "und für ihn sind wir alle schön."

Als in einem Teheraner Schwulencafé ein junger Mann über seine falsche Nase spricht, unterbricht ihn sein Partner zärtlich: "Ich würde Dich auch mit der alten Nase lieben."

Charlotte Wiedemann

© Qantara.de 2006

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