''Wir alle hatten Sehnsucht nach Demokratie''
An der Universität Ain Shams in Kairo sprechen die Studenten gerne über die Ereignisse, die das Gesicht der arabischen Welt für immer veränderten. Sie blicken mit Stolz auf den Arabischen Frühling, der sich auch auf das studentische Leben in Ägypten nachhaltig auswirkte.
Noch vor zwei Jahren war die Stimmung auf dem Campus eine ganz andere. Damals achtete das Regime noch penibel darauf, die Universitäten apolitisch zu halten und die Bildung einer Oppositionsbewegung zu verhindern. "Das damalige System verbot jegliche Politik an der Universität", meint Mohamed Mansour.
Der Student an der Fakultät für Sprachen der Uni Ain Shams blickt mit finsterer Miene zurück in die Tage des Regimes: "Wir hatten damals große Angst, wirklich frei zu reden. Überall konnten Spitzel des Regimes lauern."
Spitzeldienste für Mubarak
Selbst unter den jungen Studenten hatte der Staatsapparat ein funktionierendes Netz aus Informanten errichtet, die nicht selten ihre Kommilitonen denunzierten, wenn diese sich kritisch über den Machthaber und seine Politik äußerten. "Sie versuchten jegliche Demonstrationen sofort im Keim zu ersticken", so Mohamed.
Nicht selten sei es daher vorgekommen, dass Polizisten Hausbesuche bei Familien kritisch gesonnener Studenten abstatteten, um sie einzuschüchtern. Obwohl Mubarak gegenüber den Studenten oftmals beschworen hatte, ein "Beschützer vor Israel und dem Iran" und ein "Unterstützer Palästinas" zu sein, verfügte das Regime bei der Mehrheit der Studierenden über nur geringen Rückhalt. "Die meisten unterstützten die Revolution. Wir wollten endlich frei sein, unsere eigene Meinung bilden und mitreden können", meint Mohamed Mansour.
Mubarak musste sich dem Druck der Straße beugen und trat am 11. Februar 2011 offiziell von seinen Ämtern zurück. Sofort begannen die Menschen mit der Gründung neuer Parteien. Auch an den Universitäten setzte eine nie dagewesene Dynamik ein, verschiedene politische Kräfte begannen sich zu formieren.
Mohamed Mansour, der Anglistik und Deutsch studiert, entschied sich, nach dem Ende der Diktatur politisch aktiv zu werden. Mit Gleichgesinnten gründete er eine Hochschulgruppe "Hadota Masrya Family". "Wir haben die Gruppe nach einem Song des berühmten ägyptischen Musikers Muhammad Munir benannt, in dem er sich für Freiheit und Gerechtigkeit ausspricht."
Inzwischen finden an den Universitäten auch wieder regelmäßig Demonstrationen statt. Am 8. Oktober dieses Jahres kam es zu einem landesweiten Streik der Angestellten für die Erhöhung ihrer Gehälter. Im Zuge dessen protestierten auch Studenten im ganzen Land für eine Verbesserung der Studienbedingungen in Ägypten.
Wind des Wandels an den Universitäten
Nach der Revolution gelang es den Studenten mit ihren Protesten den ehemaligen Universitätspräsidenten Maged el-Deeb zum Rücktritt zu zwingen. Dieser war zuvor unter dem Mubarak-Regime aktiv gewesen. Da sein direkter Nachfolger bei einem Autounfall tödlich verunglückt war, wählte die Universität am 3. Juni 2012 Hussein Essa aus der Medizinischen Fakultät zum neuen Universitätspräsidenten. Zum ersten Mal in der Geschichte konnten die Studenten – ohne Gängelungen durch das Einparteiensystem Mubaraks – in einer freien und geheimen Wahl abstimmen. Die Revolution hatte endlich auch auf dem Universitätsgelände Einzug gehalten.
Nun sollen spätestens Mitte Dezember neue Hochschulwahlen für die Studentenvertreter stattfinden. Einer der Organisatoren der letzten und kommenden Wahlen ist Moataz Mohamed, Oberassistent an der Abteilung für Germanistik der sprachlichen Fakultät an der Universität Ain Shams. "Vor der Revolution gab es keine richtigen Wahlen. Regimetreue Beamte nominierten vier oder fünf Studenten, und die Verwaltungen der jeweiligen Fakultäten waren gezwungen, einen dieser Studenten als Vorsitzenden des Studentenverbandes zu wählen", berichtet Moataz über die gängige Praxis in der Ära Mubarak.
De facto befand sich das damals recht entpolitisierte Leben an der Universität unter der vollständigen Kontrolle des Staatsapparates. "Wir alle hatten Sehnsucht nach Demokratie", erklärt Moataz. Bei diesen Worten lächelt er und kann seine Freude über diese für ihn historischen Errungenschaften nicht verbergen, denn an der Universität ist dieser frische Wind derzeit spürbar.
Die Verwaltungen der Fakultäten haben bereits mit der Bildung von Komitees begonnen, deren Rolle es nun ist, die Durchführung der kommenden Wahlen des Studentenverbandes im Dezember zu organisieren und zu überwachen. Über eine Facebookseite und Aushänge werden den Studenten die neuesten Informationen mitgeteilt, die Kandidaten können so auch ihre jeweiligen Programme vorstellen. Aufgrund der hohen Studierendenzahl wird der eigentliche Wahlprozess an der Universität zehn Tage dauern.
Mohamed Mansour von der Hochschulgruppe "Hadota Masrya Family" weist auf die unterschiedlichen Studentengruppierungen hin, die sich an jeder Fakultät um eine Kandidatur bewerben. Seine Gruppe beispielsweise habe kein explizit politisches Programm. Während sie sich ausschließlich um die Verbesserung der Studienbedingungen an den Universitäten bemühten und die Studenten bei ihrer Forderung nach Freiheit und einer Verfassung gegenüber Staat und Militär unterstützen, gebe es aber auch noch Ableger der im Parlament vertretenen politischen Parteien.
Die Muslimbrüder vom Campus
"Auch die Muslimbrüder versuchen sich hier einzubringen", bemerkt Mansour. Der kritische Punkt hierbei sei für ihn, dass die mit ihnen sympathisierenden Hochschulgruppen über größere finanzielle Spielräume verfügen als die kleineren Organisationen, die nur von den eigenen Mitgliedern ihr Geld erhalten. Die Muslimbrüder wollen unter dem Namen "Shabab al-Tahrir" (Jugend der Befreiung) bei den kommenden Wahlen an der Universität antreten.
Eine eher reservierte Meinung nimmt Abdo Nasser, Blogger und Student der Sprachwissenschaften, gegenüber den Errungenschaften der Revolution des 25. Januar ein. "Wir haben es zwar geschafft, die Revolution in die Universitäten zu tragen, doch zufrieden bin ich damit noch lange nicht." Zwar gebe es jetzt im Vergleich zur Mubarak-Ära heute ein viel größeres Maß an Presse- und Meinungsfreiheit, doch seien immer noch zahlreiche Gesetze aus der Ära Mubarak in Kraft, die den Fortschritt sabotierten, betont Nasser. Seiner Meinung nach habe Ägypten noch einen langen Weg vor sich.
Über 40 Prozent der Ägypter könnten weder lesen noch schreiben, es herrsche eine immense Wohnungsknappheit und auch die seiner Meinung nach oft polemisch ausgetragenen Debatten unter den Politikern führten meist zu keinem sinnvollen Ergebnis. "Am meisten stören mich die Menschen, die die Revolution für das jetzige Chaos verantwortlich machen", sagt Nasser. Es ändere sich nichts von heute auf morgen, das sei klar. Geduld sei daher das Gebot der Stunde. Was er sich am meisten wünsche? "Dass Ägypten ein neues Land wird."
Fabian Schmidmeier
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de