Hitlers Propaganda und Hetze für die arabische Welt
Der deutsche Gesandte in Bagdad, Fritz Grobba, berichtet im Frühjahr 1934, dass eine irakische Zeitung begonnen hat, Auszüge von Hitlers "Mein Kampf" in arabischer Sprache zu veröffentlichen. Der Diplomat regt in seinem Schreiben an das Auswärtige Amt in Berlin an, aus den übersetzten Auszügen ein Buch zu machen und dies mit deutschen Fördergeldern zu unterstützen.
"Wie alle Veröffentlichungen nationalsozialistischer Art" sei die Übersetzung "von der hiesigen arabischen Leserschaft mit allergrößtem Interesse, zum Teil geradezu mit Begeisterung gelesen worden", schreibt Grobba.
Fünf Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wird die arabische Welt von zwei westlichen Großmächten beherrscht: Frankreich und Großbritannien. Nationalistische Bewegungen, die für die Unabhängigkeit kämpfen, werden immer stärker. Dass Hitler die beiden Besatzerländer als Feinde ansieht, bringt ihm Sympathien ein, gilt der deutsche Führer doch den Arabern als starker Mann, der die verhassten Kolonialherrn in die Schranken weisen kann. Eine bekannte Parole in den Straßen von Aleppo und Damaskus lautet: "Weder Monsieur noch Mister, im Himmel Allah und auf der Erde Hitler."
Nazi-Propaganda für die arabische Welt
Der Antrag des Diplomaten Grobba findet Gehör. Den Schriftverkehr zwischen Berlin und Bagdad trägt später der Bonner Arabist Stefan Wild zusammen und schreibt einen wissenschaftlichen Artikel mit dem Titel "National Socialism in the Arab Near East between 1933 and 1939" über die Diskussion um die Übersetzung von "Mein Kampf".
Demnach diskutiert Grobba die Frage, ob einige Stellen "entsprechend der Mentalität und dem Feingefühl der Rassebewussten Araber" abgeändert werden sollten. Araber gehören selbst zu den semitischen Völkern, doch ist der Judenhass in der Region ebenfalls verbreitet. Grobba schlägt deshalb vor, das Wort "Antisemitismus" durch "Antijudaismus" zu übersetzen.
In Halle, gut 4.000 Kilometer von Bagdad entfernt, sammelt derweil ein kleiner Mann, der in Sachen Sprachen als Ausnahmetalent gilt, Tausende Zettel. Der Mann heißt Hans Wehr, ist Anfang 30 und Philologe. Infolge einer Kinderlähmung kann er seinen rechten Arm nicht bewegen, er kann weder am Wehrsport noch an NS-Schulungslagern teilnehmen.
Stattdessen vergräbt er sich in Bücher, studiert in Berlin, Leipzig und Halle orientalische und romanische Sprachen, Ägyptologie, Chinesisch, Religionsgeschichte und Philosophie. Besonders interessiert ihn der islamische Orient. So beginnt er Schnipsel mit arabischen Ausdrücken zusammenzutragen, von Zeitungen aus Ägypten, Syrien, dem Irak und Palästina, Literatur von Taha Hussein oder Gibran Khalil Gibran; er wertet Begriffe aus dem ägyptischen Staatsalmanach und Lexikoneinträgen aus für etwas, das einmal sein Lebenswerk werden soll: ein arabisch-deutsches Wörterbuch.
Im November 1936 informiert das Propagandaministerium das Auswärtige Amt darüber, dass Hitler mit der Drucklegung der arabischen Version seines Buches einverstanden sei. Passagen, die von Arabern als besonders beleidigend empfunden werden könnten, sollen "in Anbetracht der heutigen politischen Lage" ausgelassen werden.
Verfehlte Übersetzungen und drohende Falschmeldungen
Die arabische Version – es handelt sich dabei um die erste Übersetzung aus dem Irak – muss über den Tisch von Geheimrat Bernhard Moritz, Mitarbeiter der für den Orient zuständigen Abteilung Pol. VII des Auswärtigen Amtes, Arabist und zu dem Zeitpunkt fast 80 Jahre alt. Sein Urteil ist vernichtend. Die übersetzten Passagen, so findet er, seien "aus dem Zusammenhang gerissen und unkorrekt wiedergegeben, häufig unverständlich".
Auch andere arabische Übersetzungen, die zu der Zeit kursieren, werden von Moritz wegen deutlicher Mängel zurückgewiesen. In einer Ausgabe von "Mein Kampf", die in Kairo verkauft wird, liest man statt Hitlers Aussage "ich wurde zum Nationalisten" das Bekenntnis "ich wurde zum Sozialisten".
Neben solchen unautorisierten Übersetzungen drohen auch Falschmeldungen den von den Deutschen gewünschten Propagandaeffekt zunichte zu machen. So berichtet das deutsche Generalkonsulat in Beirut, dass die "erfundene Behauptung" Gehör finde, "der Nationalsozialismus habe eine Rassenskala aufgestellt, innerhalb derer die Araber auf der 14. Stufe ständen".
In der Orientabteilung im Auswärtigen Amt kommt die Idee auf, dass die Übersetzung "etwas vom Tone des Buches" haben soll, "was jeder 'Mohammed' versteht: des Korans". Berlin betraut den drusisch-libanesischen Emir Schakib Arslan mit der Aufgabe – in Zusammenarbeit mit Geheimrat Moritz.
Arslan, Großvater des heutigen Drusenführers Walid Dschumblatt, ist damals 75 Jahre alt, Nationalist und lebt in der Schweiz. Er nimmt vor allem die französische Version von "Mein Kampf" als Grundlage für seine Übersetzung, die Orientabteilung will die arabische Fassung dann kontrollieren. Schnell wird klar, dass es dafür aber kein adäquates arabisch-deutsches Wörterbuch gibt.
Im Auswärtigen Amt fällt der Name Hans Wehr, inzwischen Dozent an der Universität Greifswald, und von dem man sagt, dass er Material für ein solches Wörterbuch sammele. Da keine politischen Bedenken bestehen, arbeitet Wehr fortan auch im Auftrag der kulturpolitischen Abteilung des Ministeriums.
Akribische Übersetzungsarbeit
Er und seine Mitarbeiter tragen für das mehr als 1.000-seitige Werk in mühevoller Kleinarbeit arabische Wortwurzeln zusammen – aus drei oder vier Buchstaben – aus denen im Sprachgebrauch verschiedenste Begriffe abgeleitet werden. In seinem Team wirken unter anderem sein langjähriger Mitarbeiter Andreas Jacobi mit, dessen Vater Jude war, und die deutsch-jüdische Arabistin Hedwig Klein. Beide sollen die kommenden Jahre nicht überleben: Hedwig Klein wird in Auschwitz ermordet, Andreas Jacobi muss in den Krieg ziehen und gilt seither als vermisst.
Hans Wehr bringt das "Arabische Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart" 1945 zu Ende – es erscheint aber erst sieben Jahre später. Auch ins Englische übersetzt gilt es bis heute als eines der besten Arabisch-Wörterbücher der Welt.
Eine offizielle arabische Übersetzung von "Mein Kampf" erscheint nie. In einer internen Amtsnotiz vermutlich aus dem Jahr 1940 heißt es, die Angelegenheit sei "wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr aktuell". Die unautorisierten Fassungen werden noch immer in Kiosken der gesamten arabischen Welt verkauft.
Mey Dudin
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