"Integration ist für uns das letzte Problem"
Buchhandlung, Gepäckaufbewahrung, Basar, Restaurant, Schlafplatz, Ausstellung. Die Jalsa Salana, die Jahresversammlung der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde, ist alles zugleich. Auf dem Basar werden Mangos aus Pakistan verkauft. Daneben umarmen sich zwei Männer, die sich gerade zufällig getroffen haben. Jeder scheint jeden zu kennen, egal ob aus Afrika, Kanada oder Pakistan. Einer jungen Mutter im traditionell-indischem Gewand, dem Salwar Khamiz, sieht man die Aufregung an.
Vernetzung, Austausch, Spiritualität. All das sind wichtige Ziele des Treffens. Doch auch Heiratsvermittlung gehört dazu. Auf dem Korridor zwischen dem Bereich der Männer und dem der Frauen treffen viele Ehepartner und ihre Familien erstmals aufeinander. So, sagt Ferhad Ghaffar, habe auch er seine Frau kennengelernt. Der Imam aus Wiesbaden ärgert sich über das einseitige Bild, dass die Medien vermittelten: "Immer wieder heißt es, wir sind konservativ und haben eine strikte Geschlechtertrennung." Dabei gebe es viele andere Aspekte, die man beleuchten könne.
Islamische Reformbewegung mit Geschlechtertrennung
Die Ahmadiyya selbst versteht sich als Reformbewegung des Islam. 1889 wurde sie in Britisch-Indien von Mirza Ghulam Ahmad, der sich als Messias bezeichnete, gegründet. Die größten Ahmadiyya-Gemeinden existieren weiterhin in Pakistan und Indien. 1974 allerdings sahen sich Zehntausende Ahmadis gezwungen, Pakistan zu verlassen, nachdem sie der Staat zu Nichtmuslimen erklärt hatte. Bis heute werden sie von keiner muslimischen Autorität als islamisch anerkannt und zumeist als Sekte gesehen.
Inzwischen gibt es Ahmadiyya-Gemeinden in den meisten Ländern der Welt. In vielen von ihnen pflegt die Gemeinde gute Kontakte zu Politik und Medien. Sie ist die einzige muslimische Organisation überhaupt, die in Deutschland den gleichen Rechtsstatus wie die großen christlichen Kirchen genießt, wenn auch nur in Hessen und Hamburg.
Doch die viel zitierte Offenheit der Ahmadiyya hat offenbar ihre Grenzen. Zur Registrierung sitzen deutsche Gemeindemitglieder mit schwarzen Kappen vor ihren Laptops. Manche von ihnen senken ihre Blicke, wenn Frauen vor ihnen stehen, blicken sie sie nicht direkt an, selbst wenn sie mit ihnen sprechen - irritierend für manche Gäste.
Nicht so für ein Mitglied der Frauenorganisation der Ahmadiyya. Diese sei unabhängig von den Männern und ermögliche den Frauen sich zu entfalten, sagt die Frau, die nicht namentlich genannt werden möchte. "Bei den Männern werden einem einfach immer Blicke hinterhergeworfen. Ich persönlich fühle mich so viel wohler."
Nachdem das Kopftuch immer wieder für Gesprächsstoff in der Öffentlichkeit gesorgt hatte, wurde die Ahmadiyya-Gemeinde aktiv: Ihre Frauen gingen auf ihre deutschen Mitbürger zu und beantworteten ihnen alle ihre Fragen. "Ich fühle mich in der Pflicht, den Vorurteilen etwas entgegenzusetzen", erklärt Samera. "Deswegen wollen wir aufklären."
Austausch mit Andersgläubigen
Auch ein Softwareingenieur, der namentlich nicht genannt werden möchte, besucht das Jahrestreffen, weil er hier das Gefühl der Geschwisterlichkeit verspürt. Ob auch weltliche Themen hier Platz haben? "Bei uns gibt es Diskussionen darüber, wie das muslimische Leben zu Deutschland passen kann. Ich fühle mich absolut deutsch." Ihre Zugehörigkeit zu Deutschland stellen die deutschen Ahmadis nicht in Frage. Gerade deshalb alarmieren Vorfälle wie in Chemnitz den 35-Jährigen: "Wir sehen immer wieder, wie viele Vorbehalte es hier noch gibt."
Anders als er bekommt Heike Obregon die islamfeindliche Stimmung nur über die Medien mit. Obwohl sie, wie sie sagt, mindestens einmal pro Woche am Infostand der Ahmadiyya in Hannover steht. Seit 30 Jahren sei sie Ahmadi-Muslima, aber es sei ihr immer wichtig gewesen, mit Nicht-Muslimen in Kontakt zu treten: "Das gebietet der Islam. Es heißt, wenn dich jemand grüßt, dann sag nicht, du bist ein Andersgläubiger, sondern sprich mit den Menschen – und zwar auf Augenhöhe."
Das Karlsruher Messegelände ist schier unüberschaubar. Die Fläche der vier Messehallen und des Freigeländes entspricht rund 16 Fußballfeldern. Doch schon bald könnte dieser Ort, an dem sich die Gemeinde seit 2011 jährlich trifft, nicht mehr für diese Zwecke ausreichen. Denn die Gemeinde wächst, nicht zuletzt aufgrund der umtriebigen Missionstätigkeit.
Deshalb sucht die Ahmadiyya-Gemeinde inzwischen nach einem neuen Ort im Rhein-Main-Gebiet, denn dorthin kommen die meisten Mitglieder, erklärt Imam Ghaffar. Doch auch wenn die Türen für alle offen stehen, kommen die Menschen nicht so einfach hierher. Es werde immer schwieriger den Islam zu verteidigen, sagt er: "Der Islam wird von wenigen Personen in den Dreck gezogen. Aber wir müssen unsere positive Einstellung bewahren." Statt sich nur auf die Medien zu verlassen, sollte jeder selbst herausfinden, wer die Muslime sind und wofür ihr Glauben steht, meint er.
Eine straff strukturierte Gemeinschaft
Während alle gebannt auf das geistliche Oberhaupt warten, erklärt der Imam die straffe Struktur der Ahmadiyya: Abteilungen und Ämter auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene. "Wir haben in Deutschland bereits 52 Moscheen", sagt Ghaffar, auch die "Jalsa Salana" sei eine organisatorische Leistung der Gemeinde. "Ob Security-Dienste, Ordner, Anmeldung, Elektriker, Fahrer – alles beruht auf Freiwilligkeit und Ehrenamt".
Und ganz wichtig: Vom Kalifen gebe es direkte Anweisungen. Eine davon: "Bei uns findet alles auf Deutsch statt." Die Ahmadiyya-Gemeinde, sagt Ghaffar, sei gebildeter als der Durchschnitt der Deutschen: "Integration ist für uns das letzte Problem."
Für die Hamburgerin Rohma Pasha ist der Besuch des Kalifen Mirza Masrur Ahmad das Highlight. Sie hofft auf eine private Audienz beim spirituellen Führer der globalen Gemeinde. Aber der Andrang ist riesig. Schon eine Stunde, bevor der Kalif zu den nicht-muslimischen Gästen sprechen will, drängen sich auch die Gläubigen, um ihn zu sehen.
Der Kalif ist weltweit bekannt. Justin Trudeau, Theresa May und Martin Schulz haben ihn bei seinen Besuchen in den jeweiligen Ländern begrüßt. Zur "Jalsa Salana" kam dieses Jahr Justizministerin Katarina Barley von der SPD.
Als der Kalif wenige Minuten nach 16 Uhr endlich kommt, wird es ruhig. Alle Blicke richten sich auf den Mann mit dem weißen Bart. Seine Botschaft in Karlsruhe: Islam bedeutet Frieden. Flüchtlinge sollen Deutschland gegenüber dankbar sein und dem Land etwas zurückgeben. Auf einem großen Banner steht "Liebe für alle, Hass für keinen".
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