Keine Lehren aus Fukushima
Im Nahen Osten wollen die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien in die Atomenergie einsteigen. Am konkretesten aber sind die Planungen in Jordanien, das 2019 seinen ersten Atommeiler in Betrieb nehmen will.
Nach dem Willen von König Abdullah II und der "Jordanic Atomic Comission" (JAEC) unter der Leitung des ehemaligen Energieministers Khaled Toukan soll die Kernenergie bereits im Jahr 2020 ein Drittel des nationalen Strombedarfs decken, insgesamt sind vier Meiler geplant.
Der erste Meiler sollte zunächst in der Nähe der Hafenstadt Aqaba am Roten Meer entstehen, doch nachdem seismische Studien das Gebiet für ungeeignet befunden hatten, wird der Reaktor in Mafraq geplant, nur rund 40 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Amman.
Kostenexplosion und Schuldenspirale
Über die voraussichtlichen Kosten des gesamten Projekts herrscht noch Unklarheit. Vorgesehen ist eine Eigenbeteiligung an 30 Prozent der Kosten bei 70 Prozent Kreditfinanzierung durch den Investor. Während der JAEC-Vorsitzende Toukan mit Kosten in Höhe von rund fünf Milliarden US-Dollar rechnet, gehen Kritiker von der doppelten Summe aus und befürchten eine Kostensteigerung von bis zu zehn Milliarden Dollar, die das hochverschuldete Land noch tiefer in die Schuldenspirale treiben würden.
Welches Konsortium den Zuschlag für Bau und Betrieb eines 1000-Watt Leichtwasserreaktors der dritten Generation erhalten soll, wollte die JAEC ursprünglich schon im November 2011 verkünden. Drei Konsortien stehen in der engeren Auswahl. Neben dem kanadischen Unternehmen "Atomic Energy of Canada Limited" (AECL) kämpfen "Atomstroy Export" aus Russland und ein japanisch-französisches Konsortium aus "Areva" und "Mitsubishi Heavy Industries" um den milliardenschweren Auftrag.
Doch die Entscheidung wurde mehrfach verschoben und soll noch im März gefällt werden. Ob das tatsächlich passiert, ist jedoch fraglich, denn ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima ist dieser Monat ein besonders sensibles Datum für eine derart gewichtige Entscheidung.
Widerstand gegen die Atompläne des Königs
Nach der Reaktorkatastrophe in Japan und dem Beginn des arabischen Frühlings sind Teile der jordanischen Öffentlichkeit nicht mehr bereit, die Atompläne des Königs einfach hinzunehmen. Das Nuklearprogramm hat erhebliche Kritik von Wissenschaftlern, Parlamentariern, Umweltschützern und Medien hervorgerufen.
Für Kritiker wie dem bekannten Umweltaktivisten Basil Burgan von der Organisation "Friends of the Environment" ist die Sache klar: "Wenn wir von den Folgen für die Umwelt, für die Gesundheit der Menschen und den Kosten des Projekts ausgehen, macht es einfach keinen Sinn."
In den arabisch- und englischsprachigen Medien des Landes gibt es eine ungewöhnlich lebhafte und kritische Debatte. Selbst in regierungsnahen Zeitungen wie der "Jordan Times" kommen die Atomkritiker offen zu Wort. Auch im Parlament ist das Programm umstritten. Im Januar kritisierte ein Abgeordneter in einer Anfrage den von der JAEC vorgelegten Kostenplan als fragwürdig. 2011 hatten mit 64 Abgeordneten mehr als ein Drittel der 120 Parlamentarier in einem offenen Brief gegen das geplante Atomkraftwerk Stellung bezogen. Allerdings ist der politische Einfluss des Parlaments begrenzt.
Auch innerhalb der Zivilgesellschaft rührt sich zunehmend Widerstand. In Amman wurde eine Gruppe von ehrenamtlichen Greenpeace-Aktivisten gegründet. Greenpeace-Gruppen gibt es in der arabischen Welt sonst nur im relativ freien Libanon. "Dass nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima bei uns ein Atomkraftwerk gebaut werden soll, hat mich schockiert", sagt Safaa al-Jayoussi. Die 25-Jährige hat die neue Greenpeace-Gruppe ins Leben gerufen.
Kritik am Königshaus unerwünscht
In der Stadt Mafraq bildet das Netzwerk "Irhamouna" (arab.: "Erbarmen mit uns"), eine lose Koalition von Atomkraftgegnern, Anwälten, Geologen und Vertretern des Stammes der Beni Hassan. Gemeinsam mit Greenpeace macht "Irhamouna" mit Sit-ins vor dem Energieministerium, mit Protestbannern an zentralen Plätzen in Amman sowie Info-Veranstaltungen auf ihr Anliegen aufmerksam.
Die Aktivisten legen sich in weißen Schutzanzügen und öffentlichkeitswirksamen gelben Fässern vor das Ministerium, um auf die Gefahren von radioaktivem Müll und mögliche Alternativen hinzuweisen.
"Wir wollen die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass Solarenergie für Jordanien eine echte Alternative ist", sagt Safaa al-Jayoussi von Greenpeace. In politische Fragen im Königreich wollen sich die Freiwilligen von Greenpeace lieber nicht einmischen. Ihnen geht es darum, eine zukunftsfähige Energieversorgung für Jordanien zu propagieren.
Am Tropf ausländischer Hilfe
Jordanien ist im Gegensatz zu seinen ölreichen Nachbarn ein ressourcenarmes Land. Es besitzt keine Erdölvorräte, leidet unter massivem Wassermangel und hängt am Tropf ausländischer Hilfe vor allem aus den USA und Saudi-Arabien. Derzeit ist es fast vollständig von Energieimporten abhängig, die rund 20 Prozent des Staatshaushalts verschlingen und es auch politisch verletzlich machen.
Erdöl aus Saudi-Arabien und dem Irak sowie ägyptisches Erdgas decken momentan den Energiebedarf zu über 90 Prozent. Die JAEC begründet die Notwendigkeit eines eigenen Atomprogramms mit dem wachsenden Energiebedarf, steigenden Preise für Öl und Gas sowie neuen Uranfunden im Land, die seit 2010 vom französischen "Areva"-Konzern ausgebeutet werden. Diese Vorkommen will man zur Eigenversorgung und zum Export von Energie nutzen.
Ob die Uranvorkommen wirklich so umfangreich sind wie die Regierung behauptet, wird von Kritikern bestritten. Sicher ist, dass die Energieimporte den Staatshaushalt über die Maßen strapazieren. Seit 2001 haben sich die Kosten verdreifacht und lagen 2011 bei mehr als vier Milliarden US-Dollar.
Die Folge der politischen Krise
Dazu kommt die unsichere politische Lage, die sich auf die Energiepreise auswirkt. Seit dem Sturz Mubaraks im Februar 2011 gab es mehrere Anschläge auf die Gaspipeline aus Ägypten, wodurch jeweils die Zufuhr von Erdgas unterbrochen wurde. "Wir haben nur begrenzte Optionen", behauptet Professor Kamal Araj, stellvertretender Vorsitzender der JAEC, in einer Präsentation für die Internationale Atomenergieagentur IAEA.
Erneuerbare Energien werden als Option nicht wirklich ernst genommen. Sie sollen nach dem aktuellen "Energy Master Plan" bis zum Ende des Jahrzehnts nur zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs ausmachen. Dieses Ziel ist nur wenig ambitioniert, außerdem kommen die Projekte nicht so recht voran.
Windparks sollen 2020 600 Megawatt Strom generieren und 30 Prozent der privaten Haushalte ihr Warmwasser aus Solaranlagen beziehen. Bei diesem Tempo ist das Ziel bis 2020 kaum zu schaffen. Ein erster Windpark mit einer Leistung von 90 Megawatt soll laut Plan 2014 in Fujeij, zwischen Kerak und Maan, eröffnet werden.
Die Windkraftanlage in Kamsheh sollte schon vor Jahren in Betrieb gehen, kommt aber nach Angaben der "Jordan Times" wegen Streitigkeiten zwischen Ministerium und der Betreiberfirma nicht in Gang. Energieeffizienz ist überhaupt kein Thema, obwohl die arabische Welt zusammen mit Sub-Sahara Afrika als die Region mit der weltweit geringsten Energieeffizienz gilt.
Die politischen Veränderungen im Nahen Osten haben auch das gesellschaftliche Klima in Jordanien verändert. Der König hat hierauf bisher nur mit marginalen Veränderungen reagiert, aber er läßt kritischen Stimmen mehr Freiräume als bisher. Immer wieder fordern Demonstranten relativ unbehelligt in der Innenstadt von Amman mehr Bürgerrechte und ein Ende der Korruption.
Politischer Aufbruch der jüngeren Generation
Auch in Jordanien bilden eine Arbeitslosenquote von real um die 30 Prozent, mangelnde Zukunftschancen für junge, oftmals gut ausgebildete Menschen, sowie steigende Preise für Mieten und Benzin eine explosive Mischung. Korruption und Selbstbereicherung der politischen Klasse sind weit verbreitet und werden anders als noch vor ein paar Jahren heute offen angesprochen.
An der wachsenden Anti-Atombewegung lässt sich ablesen, dass gerade junge Menschen mehr Mitbestimmung einfordern. Dieses Verlangen äußert sich im Protest gegen ein zweifelhaftes Großprojekt, der sich nicht mehr ohne weiteres eindämmen lässt. Falls die Regierung ihr geplantes Nuklearprogramm dennoch ohne Zustimmung der Bevölkerung weiter fortsetzen sollte, wonach es derzeit aussieht, wird dies den Unmut mit Gewissheit weiter anheizen.
Claudia Mende
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de